Liebe Gemeinde!
Diese Predigt werden Sie nicht hören, sondern lesen. Das ist ein ziemlicher Unterschied. Kein Lächeln, keine Handbewegungen, kein Lauter- und Leiserwerden. Kein Augenkontakt.
Ich habe trotzdem vor meinem inneren Auge die Sicht vom Ambo auf Sie, die Gemeinde der Johanneskirche. Menschen, die ich kenne – zum Teil nur vom Sehen, zum Teil von etwas Le-bensbegleitung her. Immer auch sind Menschen dabei, die mir neu sind.
Gut, kein Augenkontakt – aber ein Herzenskontakt ist doch da.
Nun denn, es geht los:
Unser Predigttext gehört nicht zu den bekannten Ostergeschichten. Im Ranking der Auferste-hungserzählungen steht er ganz hinten. Eine ziemlich unbekannte Erzählung ist es. Und das hat natürlich seine Gründe, das merken Sie gleich, wenn Sie ihn jetzt lesen:
Lukas 24, 36-45:
36 Als sie aber davon redeten, trat er selbst mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch!
37 Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. 38 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? 39 Seht meine Hände und meine Füße, ich bin's selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. 40 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und Füße.
41 Da sie es aber noch nicht glauben konnten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? 42 Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. 43 Und er nahm's und aß vor ihnen.
44 Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen. 45 Da öffnete er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden, 46 und sprach zu ihnen: So steht's geschrieben, dass der Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; 47 und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Von Jerusalem an. 48 Ihr seid dafür Zeugen.
49 Und siehe, ich sende auf euch, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe.
Lukas, der uns diese Geschichte erzählt, besteht darauf: Der Auferstandene kann angefasst werden. Ja, er isst sogar etwas. Kein Geist ist das, was den Jüngerinnen und Jüngern da be-gegnet. Ein Geist hat weder Fleisch noch Knochen. Ein Geist kann nicht essen.
Anscheinend tut es gut, wenn die Auferstehung nicht nur ein reines Geistgeschehen ist, son-dern Fleisch und Knochen hat. Sozusagen eben nicht nur eine virtuelle Videokonferenz ist, sondern man etwas zum Anfassen und Spüren hat. Da hat der Lukas höchsten Wert drauf gelegt.
Und er setzt noch eines drauf: Als Beweis, dass er es wahrhaftig und wirklich und lebendig ist, lässt der Auferstandene sich etwas zu essen geben. Ein Stückchen gebratenen Fisch.
Und dann erklärt der Auferstandene seine Geschichte als Erfüllung der alten Schriften – so wie er es den beiden Emmausjüngern schon zuvor erklärt hatte.
Bei den Emmausjüngern – da konnten wir leichter mitgehen, dem unbekannten Begleiter un-seren Kummer und unsere Fragen stellen, seiner Schrifterklärung mit Staunen und behutsamen Erkennen lauschen, ihn einladen und den tot geglaubten Freund erkennen beim Dank und Brotbrechen. Ja, wir sind auch mitgerannt zurück nach Jerusalem voll Freude, haben atemlos erzählt von unserer Geschichte.
Aber nun, diese Erscheinung? Es ist noch ein ganzes Stückchen körperlicher hier. „Guckt sie an, meine Hände und meine Füße! Ja, richtig, ich bin es, ihr erkennt mich an meinen Wunden. Fasst mich an, ich habe Fleisch und Knochen! Und gut, wenn ihr in eurer Freude es nicht glauben könnt: Gebt mir was zu essen! Was habt ihr da? Oh, Fisch. Hmmm.“
Ich nehme mal an, das mutet vielen unter uns seltsam an. Dass der Auferstandene plötzlich erscheint wie im Vers 36 – das können wir uns noch so vorstellen. Dass er redet und erklärt, damit seine Leute endlich verstehen, wie sich die Schrift erfüllt – das können wir nachvollziehen. Aber dieses Anfassen – wir fanden es schon beim Thomas seltsam, der in die Wunden Jesu langen sollte. Und das demonstrative Essen eines Stückchens gebratenen Fisches – muss das sein?
Wir haben also Mühe mit dieser Geschichte und erzählen sie deshalb auch nicht so gerne. Aber manchmal lohnt es sich ja, sich zu mühen. Das tun wir jetzt mal.
Drei Überlegungen dazu:
1. Vom Unterschied der ersten Jesusleute zu uns
Die, von denen hier erzählt wird, sind besondere Leute. Im ganzen Neuen Testament auch unterschieden von denen, die nach ihnen kommen. Die meisten Zeugen der Auferstehung, die das Neue Testament nennt, haben den irdischen Jesus gekannt. (Nur Paulus ist die eine Aus-nahme.) Und sie alle haben den Auferstandenen in einer Form erlebt, die denen nach ihnen nicht mehr möglich war. Das sieht das Neue Testament ganz nüchtern so und das müssen wir für uns einfach auch so hinnehmen. Wir können nicht unsere Hände in seine Wunden legen, wir können ihm nicht beim Essen zugucken.
(Dafür haben wir, auch das sei festgehalten: wunderbare Osterlieder. Gottesdienste, die den Weg vom Dunkel ins Licht mit uns gehen. Die Bibel als Ganzes, die sich uns erschließt immer schon von der Auferstehung Jesu Christi her. All dies und noch viel mehr geht auf die Bot-schaft der allerersten Zeugen zurück. Ihr Zeugnis ging um die Welt, alle Christengenerationen leben davon bis heute.)
2. Von der Gemeinsamkeit der ersten Jesusleute mit uns
Diese Geschichte, so seltsam sie uns anmuten mag, hält fest: Unser Glaube ist nichts, was nur mit Unsichtbarem zu tun hat. Wir brauchen etwas zum Anfassen, wir brauchen Fleisch und Knochen. Wir brauchen das gemeinsame Essen.
Ein bisschen tiefer übertragen: Wir können in den Händen und Füßen, die ja die Wundmale Jesu tragen, einen Hinweis auf sein Leiden erkennen. Das Schwere unseres Lebens verneint der Glaube nicht. Und im Essen des gebratenen Fisches können wir eine der schlichten und schönen Freuden des Lebens sehen, die ansteckend ist. Die Lebensfreuden gehören zum Glauben dazu.
Wo und wie kriegen wir das, wenn doch der Auferstandene nicht mehr so unter uns ist wie bei der ersten Christengeneration?
Und da sind wir genau bei dem, was uns in diesem Jahr fehlt: Die Gemeinschaft der Christen-leute ist eben nichts Beliebiges, wo man mal hinkann und mal nicht. Wenn ich die Hände schüttle am Ausgang, dann spüre ich da Fleisch und Knochen. Wenn wir uns die Hände geben zum Friedensgruß, dann fühlen wir Kraft und Zartheit einer anderen Hand mit ihrer Geschich-te. Wenn von einem sterbenden Priester in Italien so viel Frieden ausgeht, dass der dienstha-bende Arzt seinen Atheismus über Bord wirft, dann waren da die Leidensmale zu spüren – und ihre Überwindung in Christus. Wenn ich mit Konfis das Glaubensbekenntnis lerne und nach dem wichtigsten Satz frage für sie und höre: „auferstanden von den Toten“ und so neu erinnert werde, was der Grund meines Glaubens ist, werde ich genährt. Wenn wir gemeinsam essen und feiern und die Freude ansteckend ist, lebt der Auferstandene unter uns.
3. Solange wir auf dieser Erde leben, gibt es Auferstehung nicht „pur“
Einen tiefen Sinn in dieser Geschichte erkenne ich darin, dass sie festhält, dass der Auferstan-dene der ist, der gelebt und gelitten hat. Wir leben hier und jetzt noch nicht im Himmel. Das Irdische ist immer dabei, unser Leben und Leiden, unser Schönes und Schweres. Hände und Füße haben Wunden. Essen erfreut. Zur Vertiefung dieses Gedankens fallen mir Beispiele aus der Kunstgeschichte ein (ich hoffe, ich beleidige niemanden, der ein breiteres Wissen hat!):
Es gibt ja Bilder, die zeigen Jesu Auferstehung. - Übrigens viel seltener als Bilder vom Ge-kreuzigten. – Ich habe unter allen diesen Bildern, die Jesu Auferstehung darstellen sollen, noch keines gefunden, das mir zusagt. Ich finde sie alle irgendwie seltsam und leicht peinlich. Warum? Sie wollen etwas zeigen, was man nicht zeigen kann.
Bei den Darstellungen des Gekreuzigten ist es anders: Da erkenne ich oft einen geschundenen Menschen und fühle mit. Da wird etwas abgebildet, das ich wiedererkenne.
Wirklich hoffnungsspendend erlebe ich Bilder, die den Gekreuzigten zeigen, der das Leid schon überwunden hat. Die Hände durchbohrt und zugleich segnend. Der Blick offen und ruhig auf die Betrachtenden gerichtet. Manchmal meine ich ein leichtes Lächeln zu ahnen. Friede geht von diesen Bildern aus.
Da ist die Auferstehung, die Überwindung des Todes da. Einerseits. Und andererseits wird das irdische Leben und Leiden nicht übergangen, nicht belanglos gemacht, sondern mit hin-eingenommen. Das irdische Leben und Leiden und die himmlische Überwindung von Schmerz und Tod, das Paradiesleben – beides zusammen können solche Bilder zeigen.
Diese eher unbekannte Ostergeschichte soll uns begleiten in diesen Tagen.
Damit wir den Frieden des Auferstandenen finden, in dem Schweres nicht verneint, aber auf-gehoben und verwandelt wird.
Damit wir die Freude des Auferstandenen finden in den schlichten und schönen Freuden des Lebens.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Der Wochenspruch: Christus spricht: Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. Offenbarung 1,18
Herr Jesus Christus, du lebst, du bist da.
Alles Schwere – du kennst es. Wir legen es dir ans Herz, helfe hindurch, gib Anteil an deinem Leben, deinem Frieden.
Alles Schöne – du schenkst es. Wir nehmen es dankbar an, genießen mit Freude in deiner Nähe. Dir sei Dank in Ewigkeit.
Amen.
Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp
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