Predigt 2. Christtag, 17 Uhr, Johanneskirche
Nachdem Gott in früheren Zeiten vielfach und auf verschiedene Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er jetzt am Ende dieser Tage zu uns geredet durch den Sohn. Ihn hat Gott zum Erben von allem eingesetzt, wie er auch durch ihn die Welten erschaffen hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens und trägt das All durch sein machtvolles Wort. Hebräer 1, 1-3
Liebe Gemeinde!
I.
Hier wird dem Denken und unserer Vorstellung viel zugemutet: Der Sohn – weihnachtlich gesprochen: das kleine Krippenkind: trägt den Kosmos, alles, was ist, mit seinem kraftvollen (dynamisch steht hier wörtlich) Wort; durch dieses neugeborene Menschenkind hat Gott die Welten erschaffen!
Wem nützen diese Bilder eines ewigen Welttheaters, einer kosmischen Urtheorie, auch wenn sie in Gott verankert ist?
Ist das ein Blick hinter die Dinge, der uns weiter bringt?
Dabei sind diese ersten Worte des Hebräerbriefs schön, ein sprachliches Kunstwerk, sie öffnen einen weiten Raum, sie leuchten wie die vielen Lichter an Weihnachten. Sie können sogar faszinieren in ihrem einfach so hingesetzten Gebäude, das das Endliche und Unendliche scheinbar einfach verbindet. Und doch klingt alles starr und dogmatisch, wie Eisklumpen, die schmelzen, verflüssigt werden müssen.
Vielleicht ist ein Zugang unseres Denkens, das immer verstehen und begreifen will, das Worte gleich einordnet, aber gar nicht zielführend. Vielleicht redet dieser Beginn des Hebräerbriefs von etwas Anderem?
II.
Ich möchte diese Worte heute mit dem Bild einer Ikone vergleichen.
Wir kennen Ikonen, und sie hängen auch bei uns in nicht wenigen Häusern, obwohl man nicht immer ihren Sinn kennt. Eine steht hier in der Johanneskirche im Erlanger Westen schon längere Zeit neben dem Altar, sie hat eine besondere Geschichte und für viele dort hat sie eine spezielle persönliche Bedeutung.
Ikonen sind Bilder, die Gott, Jesus, Maria, die Heiligen darstellen; aber nun nicht so, dass ihre Züge, ihre Kleidung, ihre Gesten, ihr Schmuck konkrete Personen abbilden. Sie bilden nicht ab, sondern sie deuten, sie verweisen auf das Wesentliche, auf das, was hinter ihnen steht. Die Schönheit und die Wahrheit Gottes kommen im Symbol zusammen.
Oft sind gerade Kinder in der Lage, unbefangen Bilder mit dem Charakter einer Ikone zu malen.
Die Kirchen des Ostens, etwa die russische oder die griechisch-orthodoxe, haben in den Ikonen einen treffenden Ausdruck ihres Glaubens und ihrer Theologie gefunden. Wer die Ikone betrachtet, begegnet wirklich dem, was sie aussagt; so ist das Anschauen und Betrachten selbst Gottesdienst.
Wer die Ikone betrachtet, kommt in Beziehung zu dem, was abgebildet ist. Und er kommt in Beziehung zu Gott.
Die Ikone stellt Beziehung her im Bild.
Ikonen kann man einfach nur anschauen und sagen: Wie schön! Man kann fasziniert sein von ihrer Schönheit, oft auch von ihrer fremden Schönheit.
Um sie zu verstehen, ja manchmal zu entschlüsseln, braucht man Hinweise auf ihre eigene Bildsprache.
So ist es auch bei der Wort-Ikone am Anfang des Hebräerbriefs. Diese Worte sind faszinierend und fremd zugleich, nah und wieder unendlich fern.
Vielleicht ist es aber so mit allem, was wesentlich ist in unserem Leben. Es ist nah und fern zugleich; übermächtig groß und dann aber wieder überschaubar.
Ein kleines Kind in der Krippe – anrührend nah.
Luther sagte es so: „Wir fassen keinen anderen Gott, als den, der in jenem Menschen ist, der vom Himmel kam. Ich fange bei der Krippe an.“
Und dann aber wieder fern und verborgen: der dunkle, der sich verbergende Gott, den wir doch alle kennen - wenn überhaupt, dann kennen doch viele von uns den dunklen, verborgenen Gott - oder? - nicht da und nicht spürbar. Und auch die Krippe ist ja heute leer. Da liegt kein lebendiges schreiendes Krippenkind mehr.
III.
Michael Ende erzählt in seinem Buch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ (Stuttgart/Wien 1990, S 124ff) von einem Riesen und seinem Geheimnis. Als Lukas und Jim Knopf den Riesen am Horizont sehen, erschrecken sie und wollen weglaufen. „Bitte lauft nicht fort“, bettelt der Riese. Indem er näher kommt, wird er immer kleiner, und als er neben ihnen steht, hat er die Größe eines normalen Menschen. Die beiden schauen ihn ratlos an. Er erklärt: Jeder hat ein Geheimnis, so auch ich. Jeder andere, der sich entfernt, wird zum Horizont hin immer kleiner. Bei mir ist es umgekehrt. „Je weiter ich entfernt bin, desto größer sehe ich aus. Und je näher ich komme, desto mehr erkennt man meine wirkliche Gestalt.“
Da kommen wir Weihnachten auf die Spur - Gott – in der Ferne so unendlich groß, Furcht einflößend und wenig einladend oder aber als alles mit seiner Größe stumm verdeckend, so dass man eher gar nichts mehr sieht – schweigend zu dem, was mich umtreibt.
Gott – in der Ferne so übermächtig, rückt neben uns auf Augenhöhe.
So nahe, dass sich Gott nicht mehr von einem Menschen unterscheiden lässt und sich dadurch erst recht unterscheidet von allen Gottesbildern, die ihn nur fern und groß und unbestimmt und schweigend, wahrnehmen.
„...hat er jetzt am Ende dieser Tage zu uns geredet durch den Sohn“
Der Sohn Gottes als Bruder der Menschen, in Augenhöhe zu ihm: Anschaubar – in der anrührenden menschlichen Schönheit eines Neugeborenen. Mensch in der Verantwortung des Menschen.
Aber diese Augenhöhe birgt eine andere Gefahr in sich. Wenn Gott uns Menschen so nahe kommt, dass er sich von uns nicht mehr unterscheiden lassen will, wie bleibt er dann als Gott zu erkennen, als der, der uns hilft, der uns nützt? „Christ, der Retter ist da“ (Stille Nacht) singen wir – „hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod“ (Es ist ein Ros entsprungen).
IV.
Noch einmal müssen wir die Fremdheit und Schwere unserer Ikonen-Worte aushalten:
„Ihn (den Sohn, durch den er geredet hat) hat Gott zum Erben von allem (des Weltalls) eingesetzt, wie er auch durch ihn die Welten erschaffen hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit. und das Abbild seines Wesens und trägt das All durch sein machtvolles Wort.“
Das kann man jetzt so verstehen, wie es in der Theologie meist verstanden wird: Wenn ich es ganz einfach sage, dann lautet es ungefähr so: Da Jesus von Gott kommt, muss er auch einmal bei Gott gewesen sein, auch ganz nahe bei seinem Wesen. Wenn Gottes Wesen ewig ist, dann auch Jesus. Also war er schon existent, bevor er als Mensch geboren wurde: Prä-existent. Und aus dieser Seinsweise hat er sich dann zum Menschen erniedrigt und nahm menschliche Gestalt an.
Und wenn man das so denkt, dann kann man sagen: Jesus war schon bei der Schöpfung dabei, denn die Theologie hat sich so beholfen, dass sie sagte, er sei gezeugt, nicht geschaffen. Und dann ist er selbst auch sichtbares Wort Gottes, das die Welten trägt.
Man kann diese Worte aber auch anders verstehen. Nicht wieder so riesenhaft unnahbar in der Ferne, wie in Michael Endes Geschichte. Man kann diese Worte eben, weil sie menschliche Worte sind, auch nahe heranholen, menschlich machen – mit demselben Recht, das uns der menschgewordene Gott vorgemacht hat.
Dann klingt das noch einmal anders. Jesus ist gleichsam das Urbild des Menschen, wie von Gott gedacht.
Wenn Gott ewig ist, dann ist er mit jedem von uns immer schon gleichzeitig.
Von Anfang an, so mögen wir staunend hören, war der Mensch dann als Gottes Gegenüber mit im Spiel, das „Welt“ heißt, mit gedacht und mit angelegt.
Und wir können so weit gehen zu sagen: Mit Gott sind wir schon mit gedacht.
Wir sind keine Marionettenspieler eines spielwilligen Despoten; wir sind nicht in die Welt gesetzt, um wie die Züge einer Modelleisenbahn-Anlage zu funktionieren.
Gott hat sich selbst, sein Wesen, seinen Liebeswillen vervielfältigt; Liebe ist nicht als Selbstliebe denkbar – wo das auftritt, ist es ein Krankheitsbild der Psychiatrie. Aber Gott hat sich die Möglichkeit gegeben, sich unendlich viel und vielseitig Ebenbilder zu schaffen.
Jesus – gleichsam das Urbild dieses Liebeswillens, gleichzeitig neuer Anfang Gottes mit sich selbst und mit dieser Welt, mit uns also!
Und von allem Anfang an ist ein jeder von uns in Gott mit gedacht – als Geschöpf und als Partner Gottes.
Im Weihnachtslied Paul Gerhardts singen wir so gerne in diesen Tagen: „Eh ich durch deine Hand gemacht, / da hast du schon bei dir bedacht, / wie du mein wolltest werden.“
Wer da genau zuhört und hinsieht, dem kann schwindelig werden!
Ja, der Sohn ist zum Erben des Alls eingesetzt – damit der Mensch, Erbe der Schöpfung! Was man erbt, soll man erhalten. Was das für unsere Verantwortung für die Schöpfung bedeutet, lässt sich erschreckend deutlich ermessen!
„Je weiter ich entfernt bin, desto größer sehe ich aus. Und je näher ich komme, desto mehr erkennt man meine wirkliche Gestalt.“
Damit sind unsere Ikonen-Worte keine fremden Konstrukte mehr, sondern sie betreffen uns ganz direkt.
Eben, wie es uns betrifft, dass Liebe nur in der Nähe und durch Nähe erfahrbar ist. Daher kommt uns Gott so nahe, weil wir immer schon in ihm mitgedacht, mitangelegt sind.
V.
Die Wort-Ikone zeigt uns Goldgründe der Ewigkeit – den fernen Riesen und das nahe Krippenkind. Aber noch ist die Botschaft dieser Ikone noch nicht auf uns herunter gebrochen, noch nicht auf Augenhöhe angekommen.
Da hilft uns wieder eine Ikone – nämlich die in der Johanneskirche Alterlangen steht.
Sehen wir diese schöne Ikone einmal näher an (auf unserem Liedblatt! - VIDEO: eingeblendet.
Die Ikone stammt aus dem 7. Jahrhundert. Ihr Original hängt im Louvre in Paris. Sie trägt den Titel „Christus und Abt Menas“ oder auch „Christus und sein Zeuge“.
Roger Schütz, der ehemalige Prior von Taizé, schrieb dazu: „Die aus Ägypten stammende koptische Ikone zeigt Christus, der seinen Arm um die Schulter eines unbekannten Freundes legt. Mit dieser Geste übernimmt er die Lasten, die Schuld, die ganze Bürde, die auf dem anderen liegt. Er steht dem Freund nicht gegenüber, er geht an seiner Seite, er begleitet ihn. Jeder von uns ist dieser unbekannte Freund.“
Und wir können hinzufügen, wir sehen es leibhaft auf dieser Ikone: Christus ist auf Augenhöhe zu jedem von uns.
Der Blick des Wanderers (links) geht ins Weite, ist offen und nachdenklich, die Statur ist aufrecht. Der stützende Arm sorgt dafür, dass der Mensch aufrechten Gang üben kann. dass er nicht fällt, dass er ohne auf den Weg sehen zu müssen vorwärts blicken kann.
Die Augen sind geöffnet gegenüber dem, was kommt - da ist Hoffnung für die Zukunft. Das ist gerade heute zu hören, an einem Weihnachten, das sich die meisten von uns nicht hatten vorstellen können.
Es gibt eine Zukunft. Ihr Grund liegt darin, dass wir von Anfang an bei Gott mitgedacht sind. Und bei Gott ist der Anfang auch die Zukunft. Dafür steht die Geburt des Krippenkindes - und das ist auch sein "mächtiges Wort, das die Welt trägt".
Manchmal sieht es düster aus, und wenn wir genau hinsehen, mit Recht. „Warum sollen wir lernen für eine Zukunft, die es vielleicht gar nicht mehr gibt?“, fragten die Schüler*innen bei „Fridays- For-Future“ - Demos. Und die Zusammenhänge zwischen der veruntreuten Umwelt und dem Ausbreiten des Virus sind auch ernst zu nehmen.
Der Philosoph Slavoj Zizek sieht die Zukunft so:
„Wir werden durch Corona unsere gesamte Einstellung gegenüber dem Leben anpassen – im Sinne unserer Existenz als Lebewesen inmitten anderer Lebensformen.” Bisher haben wir eher umgekehrt gedacht: Das Leben wird sich schon unserem Fortschritt anpassen. Es wird anders werden. Ein winziges Virus scheint uns dazu zu zwingen - auf seine Weise ein wirkmächtiges Wort!
Aber: Was auch immer kommt - der Blick des Freundes auf unserer Ikone geht in eine offene Zukunft, offen, weil in ihr bereits Gott wohnt, in dessen Gedanken wir schon immer wohnen.
Ein heller Glanz umstrahlt den Kopf Jesu. Das Kreuz darin deutet seinen Weg nach Golgatha an, den menschlichen Weg bis zum Ende. Auch seinen Freund umgibt ein Schein. Dass Gott sich uns zuwendet, das macht unseren Wert aus.
Und je näher ich komme, desto mehr erkennt man meine wirkliche Gestalt.
– seinen Arm um uns gelegt, hält er uns.
So wächst Weihnachten auch in unser Leben hinein.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Amen.
Pfr. Christoph Reinhold Morath
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