Predigt
Pfarrerin Ulla Knauer
3. Advent (12.12.2021)
Predigt zum Brief des Paulus an die Korinther Kapitel 4, 1-5
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
- Einstieg, Balance auf der Waage
Liebe Gemeinde!
Als ich ein Kind war, wohnten wir in einer Innenstadtwohnung. In unsere Straße kam jede Woche ein Gemüsehändler mit seinem Lieferwagen. Wir kauften bei ihm ein. Ich war fasziniert von einer alten Waage, die der Händler verwendete. Die zwei Schalen, auf jeder Seite Eine. Und jedes Mal die Frage, ob es klappt die Gewichte so auszutarieren, dass beides im Gleichgewicht hängt. Danach war der Preis geklärt.
Ähnlich wie diese alten Waagen funktionieren große Wippen. Vielleicht haben Sie so eine schon einmal gesehen. Eine übergroße Wippe aus Holzbalken ist in Tennenlohe aufgebaut, im Walderlebniszentrum auf dem Eichhörnchenpfad für Kinder. Eine ganze Familie, ja 2 Familien passen darauf. Und egal wie alt die Kinder sind, ob 2 oder 10, jedes Mal wird ausprobiert ob man die Wippe in der Luft halten kann. Wann sie kippt. Ob Mama und Papa auf einer Seite stehen bleiben können und die Kinder gemeinsam den Ausgleich schaffen.
Im Gleichgewicht, in der Balance bleiben. Das kennen wir auch im Bezug auf das Leben. Und im Bezug auf unsere Mitmenschen. Ob in Familie oder am Arbeitsplatz: Wenn das System aus dem Gleichgewicht gerät, merken wir das sofort, werden unruhig und gestresst.
Auf so eine Stresssituation reagiert unser Predigttext. Wir machen eine Zeitreise, 2000 Jahre zurück. Der Apostel und Gemeindegründer Paulus ringt mit den Mitgliedern der Gemeinde in Korinth. Nicht nur er war als Lehrer unterwegs, inzwischen hatte er Mitarbeiter und Kollegen, wie namentlich bekannt Apolllos. Unweigerlich folgten die Reaktionen, wer beliebter war, wer vielleicht lockerer war. Wer besser ankam in der Gemeinde. Paulus hat offenbar Forderungen erhalten, sich zu ändern, seine Autorität zu senken, sich anzupassen.
Dem widersetzt sich Paulus heftig. Wir hören seine Worte im 1. Korintherbrief im 4. Kapitel:
- Predigttext, 1. Korinther 4, 1-5
Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. 2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden. 3 Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. 4 Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet. 5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und das Trachten der Herzen offenbar machen wird. Dann wird auch einem jeden von Gott Lob zuteilwerden.
- Paulus erinnert an das Beziehungsgefüge
Wie antwortet Paulus auf die Kritik in Korinth? Er stellt klar, wem er unterworfen ist und wem nicht. Er betont, welche Aufgabe und Rolle er hat. Er versucht klare Verhältnisse zu schaffen und zu zeichnen. Was ist also seine Aufgabe: Er ist ein Diener und ein Haushalter. Und als Diener und Verwalter Gottes muss er seine Aufgabe treu erfüllen. Die Treue kann das einzige Kriterium sein, an dem er beurteilt wird.
Wie pflichtbewusst ihm diese Arbeit und Berufung ist, wird durch das griechische Wort „Diener“ deutlich. Paulus benutzt hier eben nicht den „diakonos“, der helfend und zielgerichtet dient und hilft. Er verwendet das drastischere „hyperetäs“, ein Untergebener, wie ein Sklave, oder einfacher Soldat, der die Anweisung seines Herrn nicht in Frage stellt, nicht widerspricht, sondern um Pflichterfüllung bemüht ist. Die Qualität eines solchen Untergebenen ist allein die Treue zu seinem Herrn.
So will auch Paulus sich als Botschafter Christi allein durch die Treue beurteilt sehen. Treu das Wort vom Kreuz und der Auferstehung verkünden. Treu die jungen Gemeinden anleiten, in der wöchentlichen Versammlung, in der Weitergabe der Geschichten Gottes, in der Übung des Gebets und des Brotbrechens. Allein das soll Kriterium sein, nicht ob er mehr oder weniger beliebt ist als ein Kollege.
- Es gilt nicht Perfektionismus, sondern der innere Kompass
Bei all dem würde man Paulus falsch verstehen, wenn man an Perfektionismus denkt. Der Gedanke kann ja schnell kommen. Nicht die Menschen sollen ihn beurteilen, sondern allein Gott selbst. Und die Treue als Kriterium. Wie schnell kann man Angst bekommen vor so einem göttlichen Urteil.
Aber da würden wir Paulus wohl missverstehen.
Vielmehr geht es ihm mit seinen scharfen Worten, um eine Klarstellung. Die innere Grundhaltung, der innere Kompass ist wichtig. Ihm zu folgen. Und wenn es darauf ankommt, ihm treu zu bleiben. Das heißt eben, den schwierigen Kreuzestod Jesu zu verkünden, und nicht nur das, was sich die Gemeinde gerade wünscht. Für Paulus war das ungemein wichtig, dass die Menschen, denen er schreibt, diese innere Überzeugung als junge Christen haben. Denn er verstand sich ja als Wandermissionar. Er war an ganz vielen Orten tätig. Predigte, organisierte erste Gemeindestrukturen, damals noch im Privaten. Und wenn die Menschen für ihre erste Gemeindestruktur befähigt waren, zog er weiter. Und blieb über Mitarbeiter und Briefe in Kontakt. Sein Ziel war es also immer, die Menschen zum eigenständigen Leben als Christen zu befähigen, so dass sie selbständig waren.
Und das hat er ja mit Erfolg gemacht. In Korinth waren seitdem durchgehende christliche Gemeinden lebendig.
Dieses paulinische Zutrauen: „Ihr könnt das selbst!“, ist beachtlich. Er vertraut der Kraft des Heiligen Geistes, die jetzt unter diesen Menschen und jetzt auch Geschwistern herrscht. Und er kann weitergehen.
Auch heute ist es etwas Besonderes, wenn ein Team ohne Chef oder Chefin arbeitet. Vor einem Jahr arbeitete ich für einen Dachverband der Erwachsenenbildung. Ich mehr wegen Corona im Homeoffice. Das zentrale Büro war in München. Die Geschäftsleitung, eine fleißige Frau, war eine Art Work-aholicerin. Dann war sie schwanger. Und zumindest für die Zeit des Mutterschutzes musste sie pausieren. Und ich fand, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich fast noch mehr engagiert, in jenen Wochen. Sie haben ihr die Treue erwiesen.
Zweites Beispiel: Mein Mann, er arbeitet in einer mittelständischen Firma, die von 2 Chefs geführt wird. Und jeden Freitag sind beide nicht da. Jeden Freitag wird die Firma komplett in die Hände der Mitarbeiter gelegt. Und es funktioniert. Selbst wenn dringende Fragen auftauchen würden, dann müssen die eben am Montag geklärt werden. Ein Vertrauensbeweis und Treuebeweis.
So ein Zeitpunkt, ein Kairos, wo sich die Treue, der innere Kompass erweist, so einen Kairos durfte ich vor Kurzem mit meinem Sohn erleben. Ich gebe zu, ich habe wahrlich keine Wunderkinder. Bin ich zu Hause, haben wir dieselben Diskussionen, wie vielleicht andere Familien auch. Die Taschen fliegen herum, die Zimmer sind nicht aufgeräumt, die Stifte nicht gespitzt, zum Tischdecken fehlen die Freiwilligen, und die Getränke aus dem Keller will auch niemand von sich aus holen…
Dann war mein Sohn bei seinem Freund eingeladen. Beim Zurückbringen kommt die Mutter des Freundes auf mich zu: Du hast ja so einen höflichen Jungen! Er hat mir beim Einkaufen geholfen. Die Taschen getragen. Er deckt den Tisch mit ab und hilft beim Abwasch. Wow.
Das heißt nicht, dass es zu Hause nun besser liefe. Aber es hat gezeigt, dass er innerlich weiß, was unser Familienkompass zum Thema Freundlichkeit und Höflichkeit sagt, und dass er es zeigt, wenn es darauf ankommt. Sein Kompass war also im Lot.
- EG 4, o komm, der Heiden Heiland
Dass sich jemand als treu erweist, muss nichts mit Perfektionismus zu tun haben. Diese Person muss nicht 24 Stunden am Tag perfekt sein. Es geht um die innere Haltung.
Auch Paulus sagt: Ihr könnt mich nicht beurteilen. Ich kann es aber selbst auch nicht. Nur Gott allein. Und er wird es eines Tages.
Vor der Predigt haben wir das Lied „O komm, der Heiden Heiland“ angefangen zu singen. Ein altes, von Martin Luther gedichtetes, Adventslied. Schaut man auf den Text, beschreibt er nicht nur den Christus, der da kommt, der den größten Gegensatz von himmlischer Pracht mit profaner Einfachheit in einem Stall austauscht. Der Liedtext beschreibt gegen Ende auch, was das Ereignis mit den Menschen macht. Jesus rettet, Jesus macht uns lebendig, setzt uns in Beziehung zu Gott, so dass wir Lust zum Lobpreis bekommen. Mit einem Lob, der Antwort der Menschen schließt das Lied.
Wer also Gottes Herrschaft ernst nimmt -wie Paulus Gott als seinen Herrn ernst nahm, der wird unter dieser Herrschaft lebendig. Er oder sie antwortet mit gestalteter Treue. Was nicht bedeutet, nie einen Fehler zu machen. Aber das Band zwischen Gott und mir und Ihnen bleibt beständig. Gott hilft, dass wir den Weg hin zur Treue, immer wieder finden.
- Noch einmal die Wippe bzw. die Waage
Begonnen hatte ich mit dem Bild der Waage und der Wippe, auf der Menschen im Miteinander das Gleichgewicht suchen, manchmal auch ausprobieren, wie weit sie gehen können.
Es ist schön zu beobachten, dass es mehrere Konstellationen gibt, wie sich Menschen positionieren können, ohne dass es gänzlich kippt.
In Korinth war die Waage in Schieflage gekommen. Mit seinen Worten und seinen Briefen, versucht Paulus die Verhältnisse zu klären und zu beruhigen.
Wir sind nicht Korinth. Aber wie damals kommen auch heute Kirchengemeinden nicht ohne Diskussionen aus. Der Kirchenvorstand lebt davon gemeinsam nachzudenken und zu hinterfragen. Gemeinden ringen heute wie gestern um den richtigen Weg, ja um das richtige Personal. Es ist gut, wenn gerungen wird, denn dann sind wir auf der Suche nach dem guten Weg. Noch besser wird die Diskussion, wenn wir sie in dem Bewusstsein tun, dass das letzte Urteil Gott überlassen bleibt, und wir ihn im Gebet mit einbinden und mit seinem Segen rechnen.
Dieses Vertrauen in Gottes Herrschaft und sein Wirken wünsche ich Uns allen. Amen.
Und der Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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