Johanneskirche Erlangen Predigt am 27.02.2022 Pfarrerin Ulla Knauer
anlässlich der Gottesdienstreihe „Marriage Week“
4/4: „Einfach unglaublich: Jesus zerschneidet Familienbande! Ist das die Möglichkeit?
Andere Beziehungen sind wichtiger als die eigene Familie?“ (Markus 3, 31-35)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
- Wenn zwei Familien aufeinandertreffen Liebe Gemeinde!
Das Thema zu diesem Sonntag haben wir ausgesucht, als die Johanneskirche plante, wie in den Vorjahren, bei der „Marriage Week“ mit vier Themensonntagen mitzumachen. Was passiert eigentlich, wenn sich durch eine Partnerschaft oder Ehe zwei Familien begegnen, zwei Freundeskreise aufeinandertreffen? Der Horizont wird weiter und man muss auch sortieren: Welchen Rhythmus hat die jeweilige Familie bei Besuchen und Treffen?
Wie oft telefonieren Geschwister, Eltern, Großeltern miteinander? Passt das zu meinem Rhythmus?
Kann ich mich darauf einlassen?
Wohnen die Verwandten weit weg und möchte ich mitkommen beim jährlichen Besuch? Oder sind die Familien vielleicht sehr verschieden? Gibt es Hürden zu überwinden?
Spannend, fröhlich oder abenteuerlich kann so eine Begegnung sein. Und über diesem ganzen Beziehungsgeflecht schwebt die Frage: Was ist Familie? Wer gehört dazu? Wie gehe ich mit der neuen, großen Familie um?
- Predigttext
Schauen wir in das Neue Testament, so weitet Jesus den Familienbegriff enorm aus. Es bleibt nicht länger bei der eigenen Hausgemeinschaft oder Blutsverwandtschaft. Hören wir auf die Worte im Markusevangelium im 3. Kapitel:
„Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. 33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 34 Und er sah ringsum auf die, die um
ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“
- Christentum als neue Familienform
Wir machen eine Zeitreise. Zu den ersten Christen. Im 1. Jahrhundert nach Christi Geburt. Sie waren anders. Sie fielen auf, selbst wenn sie sich im Untergrund trafen. Was war so anders im Gegensatz zu den anderen antiken Gruppen und Gemeinschaften?
Zum Beispiel: Jeder konnte kommen, egal ob Frau, Mann, Kind, reich oder arm. Selbst Sklaven waren willkommen. Und auf ihren Treffen am Sonntag, am 1. Tag der Woche, waren sie alle gleich. Zumindest bemühte man sich darum und ermahnte sich dazu, wie wir es in den Briefen der jungen Christenheit lesen können. Und so ergab es sich, dass ein Sklave am Sonntag mit
„Bruder“ angeredet wurde und am selben Tisch saß wie sein Herr. An allen anderen Tagen der
Woche im Dienst aber weiter seine niedrigere Stellung behielt und den Chef vermutliche mit
„Mein Herr“ ansprach.
Was macht es mit mir, mit uns, wenn ein anderer Mensch wie ein Familienmitglied bezeichnet wird? In einer Reportage sagte ein Theologe im Fernsehen: Was neu gewesen sei, wäre die Fähigkeit zum Mitleid, für Menschen auch an anderen Orten, auch wenn ich sie nicht persönlich kenne.
Wenn ich mich durch Gott verbunden fühle mit den Menschen in Afrika, in Amerika, in Asien, oder Australien. Dann kann es mir nicht egal sein, wenn Hungersnöte herrschen. Dann kann es mir nicht egal sein, wenn Naturkatastrophen Ortschaften zerstören. Dann kann es mir nicht egal sein, wenn Krieg herrscht, und Menschen fliehen müssen, verletzt werden oder sich verstecken müssen. Irgendwo tief in uns empfinden wir eine europäische Familie, die seit dieser Woche massiv bedroht und angegriffen wurde. Auch wenn ich dort niemand persönlich kenne, bin ich vielleicht so stark betroffen, weil ich die Menschen sehe, Brüder und Schwestern auf der Suche nach Sicherheit.
- Jesu Weg verändert auch seine Familienkonstellation
Zurück nun aber zum Evangelium und zu unseren eigenen Beziehungsgeflechten. Warum brüskiert diese Bibelstelle erst einmal? Damals wie heute ist Familie eine heilige Sache. Eine Verbundenheit, die wenn es gut geht, von Geburt bis Tod in verschiedenen Konstellationen
erhalten bleibt. Doch Jesus kommt dem Ruf seiner leiblichen Verwandten nicht nach. Er ist beschäftigt. Und er bezeichnet seine Zuhörer als seine Familie. Eine Momentaufnahme.
Wenn man genau auf den Text achtet, wie Markus ihn zusammengestellt hat, fällt auf, dass seine Verwandtschaft nicht in das Haus hineingeht. Sie lassen ihn rufen. Sie schicken einen Boten.
Die leiblichen Familienmitglieder standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Der Text versinnbildlicht eine Art Distanz, die sich da aufgebaut hat. Wir sind im Markusevangelium erst in Kapitel 3, dem Beginn des Wirkens Jesu. Plötzlich macht Jesus etwas Anderes mit seinem Leben. Vermutlich hat er vorher bei seinem Vater mitgeholfen, der als Zimmermann arbeitete. Ging vermutlich täglich mit in die Werkstatt und mit auf die Baustellen. Dann verlässt er seine Familie. Besinnt sich in der Wüste, 40 Tage zur Vorbereitung, und fängt mit seiner Verkündigung an.
Nicht nur für Jesus verändert sich alles. Auch für seine Familie. Wo ist er? Was sind das für Leute, mit denen er sich jetzt trifft? Wozu redet er mit ihnen stundenlang? Diese neue Welt Jesu ist ihnen fremd, so dass sie sich nicht hineintrauen.
Doch Jesus bleibt sich treu. Das sei jetzt seine Familie. Jetzt sei die Zeit, sich diesen Menschen zu widmen. Kompromisslos. Doch nicht ausgrenzend. Er sagt ja nicht: „Ihr dürft nicht zu mir kommen.“ Seine leibliche Familie hätte die Möglichkeit sich zu interessieren, und sich dazuzusetzen, zu den Menschen, die er neuerdings auch als Brüder und Schwestern bezeichnet.
Soweit wir aus der Überlieferung wissen, kommt genau diese Zeit, wo sie ihn begleiten, ihn besuchen und treffen auf seiner Reise. Sein Bruder und seine Mutter erscheinen ja noch öfter in den Evangelien.
- Konfliktpotenzial und Sehnsucht nach Balance
Da wächst also eine Familie, und manche sind irritiert. Vieles muss sich neu ordnen. Eine Balance zwischen neuer und alter Familie muss gefunden werden. Nicht immer leicht, wenn sich Eltern und Schwiegereltern nicht auf Anhieb verstehen.
Diese Gefühlslage kennen auch ich. Wie halte ich Balance? Ist es ausgewogen, wie oft wir bei meiner und wie oft bei deiner Familie sind? Und sind da noch mehr Menschen, die quasi zur Familie gehören und auch Zeit brauchen?
Zwei Beispiele von mir persönlich:
- Als ich meinen Mann kennenlernte, wohnte ich noch daheim bei meinen Eltern und meinen beiden Schwestern. Jede freie Minute wollte ich bei ihm sein. Er bei mir. Nachmittage, Abende, Wochenenden verbrachten wir zusammen und mit neuen Freunden. In der ganzen für uns schönen, neuen, aufregenden Zeit, geschah es, dass sich das Gleichgewicht daheim verschob. Ich war verliebt und nicht oft da. Bis die Schwestern mir mal den Spiegel vorhielten und ins Gesicht sagten: Sag mal, bist du eigentlich auch noch mal zu Hause? Da erwachte ich, und wurde erinnert: Neben der neuen Beziehung, brauchen auch die bisherigen Beziehungen weiter Pflege und Zeit. Mit der Zeit hat sich ein neues Bewusstsein entwickelt, und wir haben ein neues Gleichgewicht gefunden. Auch wenn es nicht reibungslos verlief.
- Zweites Beispiel: Mein zehnjähriger Sohn Julian, hat einen Freund. Er ist unser Nachbarsjunge. Er ist fast gleichalt wir er. Freunde kann man fast nicht sagen. Ich würde behaupten: Sie empfinden wir Brüder. Es gab kaum einen Tag, außer in den Corona-Lockdown-Phasen, an dem sie sich nicht getroffen haben. Julian war drüben. Oder sein Freund bei uns. Er ging dort auf Ausflüge mit. Und sein Freund begleitete uns. Doch leider gab es Streit zwischen den Eltern, Trennung. Der Freund zog mit seiner Mutter nach Forchheim. Nicht mehr die Tür nebenan. Die Jungs waren und sind gewillt, sich weiter zu treffen. Nicht täglich, aber so gut wie jede Woche. Für Julian ist es wichtig, dieses Familienmitglied, diese 2. Familie zu pflegen. Hinzugehen. Für uns war es ein Lernen von einem neuen Gleichgewicht. Wochenenden ohne Julian. Zeit, die für’s Bringen und Holen draufgeht, und nicht für Haushalt, Arbeit oder die anderen Kinder da ist. Wie die Bedürfnisse bedienen? Solangsam pendelt es sich ein. Julian weiß: Er darf nach Forchheim. Aber nicht jedes Wochenende. Auch die eigene Familie und andere Freunde sind wichtig. Und: Er hat Zugfahren gelernt. So übernimmt er Verantwortung für die Zeit auf den Wegen. Auch dieser Weg entstand nicht von heute auf morgen.
Das sind nur 2 Beispiele von Konfliktpotenzial. Was kann helfen bei so einem Spagat, der ja auch Sprengstoff für Streit ist?
Da tut sich eine Schwelle auf, die es zu überschreiten gilt. Was kann helfen? Ich denke: Auf die Situation noch einmal genau hinsehen. Gucken wir auf unseren Predigttext, die Familie Jesu: Seine Verwandten kommen gar nicht auf den Gedanken, in das Haus hineinzugehen. Die Forderung: Es sei doch seine Aufgabe, zurückzukommen. Der Wille, sich in den Anderen hineinversetzen zu wollen, fehlt noch.
Den Blick wechseln. Das brauch Mut. Warum möchte mein Partner/mein Kind dorthin? Was tut ihm oder ihr daran gut? Kann ich da mitgehen? Und wann kann ich es nicht? Welches Bedürfnis steckt dahinter und will ich es mittragen?
Diese Fragen helfen sich selbst zu klären und ein Einvernehmen zu bekommen. Damit ich sagen kann: „Hör zu! Da und da kann ich dir Freiheit schenken. Aber das machen wir zusammen.“
- Botschaft: Wir Menschen sehnen uns nach Balance im Leben Mit diesem Evangelium spüren wir neu:
Die Sehnsucht nach dem Gleichgewicht in einer Beziehung. In der Familie.
Die Sehnsucht nach dem Gleichgewicht zwischen uns Menschen und auf der Welt. Im besten Fall sich zu sehen als Geschwister.
Die Sehnsucht nach Frieden untereinander. Und wo kein Friede herrscht, da schmerzt es uns umso mehr.
Weil wir mit Jesus gelernt haben, über den eigenen Tellerrand zu schauen.
Nur so und mit der Fähigkeit zur Empathie, kann der Wille zum Frieden wachsen und die Liebe bleiben. Die Hoffnung für die Welt. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.
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