Predigt 31.12.2022 Römer 8,31b-39
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen! Amen.
Unser Predigttext steht im Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom, im 8. Kapitel, die Verse 31b bis 39:
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
32Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
33Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.
34Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja mehr noch, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt.
35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?
36Wie geschrieben steht (Ps 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«
37Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.
38Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Wir bitten in der Stille um den Segen des Wortes.
„Herr, gib mir ein Wort für mein Herz und ein Herz für dein Wort.“
Liebe Gemeinde!
Gut 2000 Jahre ist es her, da begann eine neue Geschichte. Eine Liebesgeschichte. Gott selbst nahm das menschliche Leben auf sich, Staub und Dreck und Bosheit und Tod und Hölle. Gott durchschritt die Hölle, besiegte den Tod, schuf ewiges Leben für die Seinen. Die zahlreich wurden, eben wegen dieser neuen Geschichte: Wegen dieser Liebesgeschichte. Dass es nun nicht mehr darum geht, vor dem ewigen, heiligen Gott rein und gut zu sein, was sowieso nicht möglich ist, sondern sich von diesem Gott gut machen zu lassen, wegen Jesus Christus. Dass es nun nicht mehr darum geht, irgendwelchen Göttern es irgendwie recht zu machen, sondern dass es reicht, zu Jesus Christus zu gehören. So kommt das Heil – für alle, seien sie Sklaven oder Herrin, reich oder arm, angesehen oder verachtet. So entstand der Zusammenhalt dieser Christenleute. Eintreten füreinander, gemeinsames Aushalten schwerer Stunden. Gemeinsames Feiern, nicht nach Klassen geordnet.
Das Wissen, dass Gottes Liebe da ist – selbst wenn alles dagegen spricht. Wegen Jesus Christus.
Was für eine Zeitenwende!
Zeitenwende: Im vergangenen Frühjahr wurde wieder eine Zeitenwende ausgerufen. Voller Entsetzen über den russischen Angriff auf die Ukraine. Um deutlich zu machen, dass sich etwas grundlegend geändert hat. Da gibt es einen Staat, der Verträge und Abmachungen bricht und mit Panzern und Soldaten in ein anderes Land einmarschiert. Zitat Olaf Scholz: "Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung",
Keine Frage, es hat sich viel verändert seit dem 24. Februar 2022. Und vieles zum Schlechteren, auch keine Frage. Aber:
DIE Zeitenwende, die schon lange geschehen. Gott sei Dank. Unsere Zeitrechnung richtet sich nicht nach einem Krieg. Nicht nach einer Eroberung oder einem Blutvergießen. Nicht nach einer Kaiserkrönung oder einer echten oder gefälschten Wahl. Unsere Zeitrechnung richtet sich auch nicht nach einer bahnbrechenden Erfindung, sei es die Dampfmaschine oder der Computer. Unsere Zeitrechnung richtet sich nicht nach tollen oder völlig verrückten Wirtschaftsereignissen, sei es der schwarze Freitag (25.10.) 1929 oder die Twitter-übernahme 2022.
Unsere Zeitenwende richtet sich danach, dass seitdem gilt: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.
Dabei ist diese wunderbare Bibelstelle höchst realistisch: Denn da wird so einiges aufgezählt, was Christenleute erleiden: Trübsal – Angst – Verfolgung – Hunger – Blöße – Gefahr – Schwert. Das können wir alle ganz einfach ins Heute übersetzen. Nicht alles auf einmal, aber irgendwas aus dieser Aufzählung haben wir alle im vergangenen Jahr erlebt.
Trübsal – Angst – Verfolgung – Hunger – Blöße – Gefahr – Schwert.
Das wird hier ganz schlicht aufgezählt und noch verschärft mit einem Psalmzitat, aus einem ganz und gar bewegendem Psalm, der Gott anfleht um Hilfe – im Krieg. „Um deinetwillen werden wir täglich getötet und sind geachtet wie Schlachtschafe. 24 Wach auf, Herr! Warum schläfst du? Werde wach und verstoß uns nicht für immer! 25 Warum verbirgst du dein Antlitz, vergissest unser Elend und unsre Drangsal?“ (Ps 44,23f)
Der Psalm fragt und schreit zu Gott – auch so können wir beten.
Paulus aber zieht noch einen anderen Boden ein: wir überwinden durch den, der uns geliebt hat. Und dann zählt er nochmal auf, was uns eben alles NICHT trennen kann von Gottes Liebe, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. Diese Aufzählung enthält praktisch alle möglichen Lebensbereiche. Tod-Leben, Engel-Mächte, Gegenwart – Zukunft; Hohes-Tiefes – nichts, eben nichts kann uns scheiden...
Das ist manchmal leicht zu spüren, dass wir da eine wunderbare Verbindung haben durch Jesus Christus zu Gottes Liebe. Der Gottesdienst am 4. Advent war für mich so ein Moment des Spürens, als die vielen, die da waren, miteinander das Vaterunser gesprochen haben.
Liebespaare, die sich neu gefunden haben, die haben einen einfachen Zugang zu Gottes Liebe, aber auch die zwei, wo es furchtbar knirschte und die – in der Vergebung, die uns Jesus Christus erstritten hat- sich wieder und weiter zusammenfanden für eine gemeinsame Zukunft.
Die Verbindung mit Gottes Liebe wurde im vergangenen Jahr spürbar in der behutsamen Diskussion in unserer Gemeinde, wie nun umzugehen sei mit Krieg und Frieden – wie wir unterschiedliche Positionen einnahmen und stehen lassen konnten und auch unsere Ratlosigkeit teilten.
Ja, wir leben in einer krisenhaften Zeit, in der viele Sicherheiten weggebrochen sind, viel Angst uns begleitet. Aber:
Die Sendung zum Nachlesen:
Zeitenwende. Davon ist seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine immer wieder die Rede. Nun ist die Zeitenwende auch zum Wort des Jahres gekürt worden. Der Bundeskanzler hatte es in seine Regierungserklärung übernommen und damit zum Ausdruck gebracht: die Welt nach dem Krieg gegen die Ukraine wird nicht mehr dieselbe sein wie davor. Im Kern, so fügte er hinzu, geht es bei dieser Zeitenwende „um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf.“ (1)
Der Konflikt zwischen Macht und Recht ist nicht neu. Schon einmal hat es eine Zeitenwende gegeben, die das Leben grundlegend verändert hat. Allerdings ganz anders als der Angriff auf die Ukraine. Diese Zeitenwende liegt rund zweitausend Jahre zurück: die Geburt Jesu in Bethlehem. Und das ist wirklich eine Zeitenwende, das beweist schon der Kalender. Denn noch immer richtet sich unsere Jahreszählung nach Christi Geburt. Das Jahr 2022 ist das Jahr 2022 nach Christi Geburt.
Es war kein Krieg, keine Thronbesteigung und auch sonst keine Machtübernahme, die damals die Welt verändert hat, sondern eine Geburt. Nicht die Macht stand im Mittelpunkt, sondern der Mensch. Ein Kind. Und seine Geburt in einem Stall, weil es keinen Wohnraum gab. Im Stroh, bei den Tieren und ohne Heizung, ohne fließend Wasser und ohne elektrisches Licht.
Schon damals ging es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf. Es ist eine uralte Frage, sie stellt sich immer dann, wenn ein Despot sich anschickt, das Recht anderer zu missachten, um die eigene Macht auszubauen. Wenn Menschen geknechtet und ihrer Rechte beraubt werden bricht dieser alte Konflikt wieder auf.
Damals waren es die Römer, die ihre Macht über die Welt gnadenlos ausnutzten. Unter Kaiser Augustus war das Leben in Palästina von Gewalt bestimmt, von willkürlichen Hinrichtungen und Korruption. Rechte wurden mit den Füßen getreten und religiöse Gefühle bewusst verletzt. Die Zeit, in die Jesus hinein geboren wurde, war eine Zeit voller Bedrohung, Demütigung und Erpressung. Nicht anders heute, an vielen Stellen der Welt. Die Geburt im Stall ist dazu eine radikale Antithese: Friede auf Erden! Fürchtet euch nicht!
Von einer Zeitenwende sprechen Historiker, wenn Menschen das Gefühl haben, all ihre Werte und Ziele hätten auf einmal ihre Gültigkeit verloren. Das innere Koordinatensystem verkehrt sich ins Gegenteil, man muss nach neuen Perspektiven suchen. So war es auch zur Zeit Jesu: Die meisten hatten gedacht, Gott würde die Probleme schon richten, wenn sie nur ein frommes Leben führten. Aber dem war nicht so. Die Unterdrückung blieb, bis schließlich kaum jemand den Politikern noch eine Lösung zutraute, den Priestern aber auch nicht. Die Hoffnungssysteme verloren insgesamt ihre Bedeutung.
Wenn heute wieder von einer Zeitenwende gesprochen wird, ist genau diese Irritation gemeint, dieses Gefühl der Haltlosigkeit, die keinen Ausweg erkennen lässt. Krieg, Corona, Klima - die Verunsicherungen häufen sich. Und verlangen nach Hoffnung und Licht.
Die Zeitenwende mit Jesu Geburt gab eine nachhaltige Antwort auf die Frage, ob Macht das Recht brechen darf: Nein. Und das wird keine Macht der Welt jemals können. Damals war es der Blick auf das Schwache und Schutzbedürftige, auf das Kind in der Krippe. Selbst Könige entdeckten ausgerechnet im Stall bei den Tieren ein Licht, das Hoffnung schenkt. Weil es ein radikaler Perspektivwechsel ist: nicht die Macht, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt. Kein Panzer und keine Rakete kann hinter diese Zeitenwende zurück. Vielleicht lässt sich dieser Blick übertragen, eine Rückbesinnung auf das, was wirklich notwendig ist, was dem Leben dient. Wer auf ein schutzloses Kind schaut, kann keine Bomben werfen. Es gibt kein überzeugenderes Votum gegen Machtmissbrauch als das Kind in der Krippe, vor dem sich alle beugen. Und das gilt noch immer, auch im Jahr 2022 nach Christi Geburt.
Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp
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