Predigt vom 6. Dezember 2020

Predigt am 2. Advent über Jak 5,7-11 (Lesungen: Jes 63,15-64,3; Lk 21,25-33)

Wochenspruch: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. Lk 21,28

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde!

Dieser Sonntag ist nicht gemacht für Menschen, die sich beim Licht der zweiten Adventskerze auf besinnliche Weihnachten einstimmen möchten. Der Psalm 80, den wir gebetet haben und die Lesungen aus dem Alten Testament und dem Evangelium haben einen anderen Klang. Wir haben gehört vom Bangen der Völker, vom Brausen und Wogen des Meeres, von der Furcht der Menschen und dem Wanken der Himmelskräfte.

Dieser Sonntag ist wie ein Schrei. Wie „Der Schrei“. So heißt ein bekanntes Bild des norwegischen Malers Edvard Munch. Ein Mensch ist darauf zu sehen, der mit weit aufgerissenem Mund schreit und dabei die Hände an die Schläfen presst. Und sein Schrei hallt wider in den Farben und Formen des Bildes, in der zerfließenden Landschaft. Die ganze Welt schreit. Sie schreit nach Gerechtigkeit. Da sind die täglich vor Hunger sterbenden Menschen, angesichts derer jede Rüstungsmillion ein Verbrechen ist. Da sind die vom Klimawandel längst Betroffenen, denen Wirbelstürme,  Dürre und Überschwemmungen die Lebensgrundlage nehmen. Es schreien die von Krieg und Ungerechtigkeit Vertriebenen, die auf der verzweifelten Suche nach einer besseren Zukunft sind. Aber es klagen auch die, denen es eigentlich gut geht und die doch wissen, dass es so nicht weitergehen kann; aber nicht wissen, was sich ändern muss, und wie sie sich ändern müssen.

Die ganze Welt wartet auf Erlösung, wartet darauf, dass Gott sein Versprechen nach Gerechtigkeit einlöst. Und schon Jesaja bringt dieses ungeduldige Warten auf den Punkt: Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab. Wir sind geworden wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Es ist dieses ungeduldige Warten auf Gottes Erlösen – auf den Erlöser -, auf das Jakobus mit seinen tröstenden Zeilen antwortet:

7 So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. 8 Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. 9 Seufzt nicht widereinander, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür. 10 Nehmt zum Vorbild des Leidens und der Geduld die Propheten, die geredet haben in dem Namen des Herrn. 11 Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben. Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.

-Jemand ruft an. Ich weiß, jetzt muss ich mich auf einen langen Monolog einstellen. Geduld ist gefragt.

-Noch schnell etwas einkaufen. Der Korb ist voll. Rasch um die letzte Regalecke. Doch an der Kasse eine lange Schlange. Geduld ist gefragt.

-Der Zahnarzt hat zwei Stunden für den nächsten Termin eingeplant. Ich nehme auf seinem Stuhl Platz und weiß: Geduld ist gefragt.

-Und das gilt auch für uns alle in dieser Zeit der Corona-Pandemie: Geduld ist gefragt.

Allen Situationen ist gemeinsam: Sie fordern unsere Geduld heraus. Wenn mir der Geduldsfaden nicht vorher reißt, erstreckt er sich vom hier und jetzt bis zum Ende der Situation, in die ich da hineingeraten bin. Zeit, die ich vielleicht ganz anders verplant hatte, wird zu einer Zeit des Wartens. Die Stiefschwester der Geduld, die Ungeduld, richtet sich auf dasselbe Ziel – das Ende des Wartens. Aber wie anders geht sie mit der Zeit des Wartens um. Sie hat für sie nur Verachtung und straft sie mit martialischen Worten. Sie fühlt sich „auf die Folter gespannt“. Sie möchte am liebsten „die Zeit totschlagen“. Die Geduld dagegen begreift die verbleibende Zeit als Herausforderung und Aufgabe, vielleicht als unverhoffte Chance. Und zugleich lebt auch die Geduld davon, dass sie endlich ist; also Ziel und Ende hat. Das macht ihren Spannungsbogen aus.

Was ist aber mit der Geduld, wenn sie kein Ziel mehr hat? Wenn gar nichts mehr erwartet wird? Seltsam und weltfremd, wie aus der Zeit gefallen hören sich die Worte des Jakobus an, wenn Jesus Christus gar nicht mehr als der Kommende erwartet wird, obwohl es unser Glaubensbekenntnis doch so ausdrückt: …von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Wenn er so lange auf sich warten lässt, kann er es uns verübeln, dass wir das Warten auf ihn ersetzt haben durch das Warten auf Weihnachten? Das lässt sich ja auch gerade jetzt im Advent viel besser inszenieren. Jeden Tag ein Türchen am Kalender geöffnet, und dann ist es soweit. Oder wer lieber große Schritte mag: Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht – es kann gar nicht anders sein – das Christkind vor der Tür. Und so haben wir die Hoffnung auf den Erlöser der Welt ersetzt durch die Hoffnung auf ein paar Tage des Friedens – in unseren Herzen, in unseren Familien.

Aber ist das nicht ein bisschen wenig? Wo wir wirklich Jesus Christus begegnen, da ist mit der Freude über seine Geburt zugleich die Sehnsucht da, dass er vollende, was er schon angefangen hat. Da wird aus der Vorfreude auf Weihnachten echter Advent: die Erwartung seines Kommens für alle Welt.

Und was hat Gott uns mit seinem Kommen nicht alles versprochen: Den Frieden und das Heilwerden unserer zerrissenen Welt. Das Trocknen all unserer Tränen. Die Klarheit über unser Leben, wenn er kommt, aufzurichten und zurechtzubringen im Gericht.

Ist es ein Wunder, dass die Menschen, denen Jakobus schreibt, voller Ungeduld das Kommen des Herrn herbeisehnten? Jakobus mahnt zur Geduld. Sie ist end-lich; sie hat ein Ziel, aber das liegt nicht in unserer, sondern in Gottes Hand. Bis dahin gilt es – das ist das Wesen der Geduld –, die verbleibende Zeit nicht zu überspringen, sondern als Herausforderung anzunehmen.

Jakobus nennt Beispiele. Zuerst die Propheten. Ausgerechnet die Propheten, möchte man sagen. Ist das, was wir hörten, nicht eher ein Beispiel für größte Ungeduld? Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab. Jakobus, der nicht wissen konnte, dass wir ausgerechnet Jes 63 zu seinem Brief lesen, meint es wohl so: Was die Propheten auszeichnet ist die Aufmerksamkeit auf das, was jetzt ansteht; das zähe Ringen um Gerechtigkeit - jetzt! Das Ringen auch mit Gott, dass er seine Gerechtigkeit jetzt durchsetzt. Das gegenwärtige Unrecht darf nicht zugunsten eines fernen Ziels übersprungen werden.

Das zweite Beispiel ist Hiob – das biblische Vorbild schlechthin im Ertragen dessen, was Menschen nicht zu ändern vermögen. Aber Hiobs Leiden ist kein stumpfsinniges, leeres Warten. Er wartet darauf, dass Gott ihn wieder ins Recht setzen wird; dass sich durchsetzen wird, was nach unserem Predigtabschnitt Gottes Name ist: ein Erbarmer. Und so kann Hiobs Geduld uns Beispiel sein, gespannt im Leid auf das zu warten, was Gott noch mit uns vorhat.

Schließlich der Bauer. Im Winter ist er ein gutes Beispiel für geduldiges Warten. Er hat alles getan, was vor dem Winter nötig ist. Die Felder sind vorbereitet. Das Wintergetreide zeigt schon zarte, grüne Spitzen über dem ersten Schnee. Wie schön wird es sein, wenn im Frühsommer der Wind durch die vollen Ähren streicht. Das Entscheidende hat er alles getan. Der Regen aber, der jetzt noch nötig ist, liegt nicht in seiner Hand.

So hat Gott auch unter uns das Entscheidende schon getan. Er hat uns Jesus Christus geschenkt, unseren Bruder, unseren Herrn, der alles teilt, was uns beschwert; den Gott vor uns und für uns durch den Tod ins Leben gerufen hat. Stärkt eure Herzen sagt Jakobus. Das wird unsere Herzen stärken, wenn wir uns auf Weihnachten freuen können und dann das Fest seiner Geburt feiern. Es ist wie ein Licht in dunkler Nacht, dass die Sehnsucht danach entzündet, dass er wiederkomme, und es überall hell wird. Damit aus dem Schreien seiner Kinder das Lob seiner Barmherzigkeit wird.

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Amen.

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