Predigt am Altjahresabend über 2. Mose 13,20-22
20 So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. 21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. 22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
Liebe Gemeinde!
In den letzten Stunden des alten Jahres werden wir noch mit einem Juwel beschenkt. Die Überarbeitung der Predigttexte beschert uns einen Abschnitt, über den hier vielleicht noch nie gepredigt wurde. Drei Verse aus dem großen Erzählzusammenhang der Wanderung Israels von Ägypten durch die Wüste in das gelobte Land. Warum sie für diesen Abend ausgewählt wurden, ist nicht schwer zu erraten. Israel lässt die bitteren Jahre der Knechtschaft hinter sich und macht sich auf den Weg in die Freiheit; wir verabschieden das alte Jahr und blicken auf ein neues. Eine Säule von Wolken am Tag und von Feuer in der Nacht sind Israel Wegweisung und Begleiter. Wie wird es bei uns sein?
Wer schaut nicht gern in ein Feuer in der Dunkelheit? Wärme und Licht begeistern gleichermaßen. Und wer schaut nicht gern in die Wolken? Wie schön, wenn der Wind sie bewegt. Die Vielfalt der Formen lässt immer wieder Neues entdecken. „Ich sehe was, was du nicht siehst…“ Aber gerade diese Vieldeutigkeit ist kein Anknüpfungspunkt für unseren Abschnitt. Es ist vielmehr die Eindeutigkeit der Wegweisung Gottes, die mich fasziniert und – ich gebe es gern zu – ein bisschen neidisch macht.
Kein Aufbruch ohne Rückblick. Israel nimmt auf dem Weg in die Wüste die Erfahrungen aus Ägypten mit. Aus der sicheren Unfreiheit wird die ungesicherte Freiheit. Immer wieder wird der Blick zum Alten zurückgehen, wird es schwer, sich davon zu lösen. Aber Wolke und Feuer weisen den Weg in die Zukunft.
Es gibt tiefere Einschnitte im Leben als ein Silvesterabend es sein kann; eine Hochzeit, ein Unfall, ein Todesfall etwa. Und doch ist es guter Brauch, auf das alte Jahr zurückblicken. Was haben wir aus der Zeit dieses Jahres gemacht? Besteht nicht die Gefahr, dass uns die Fülle der Tage in einem Wort zusammenfließt, das mit Co… beginnt? Lassen wir nicht zu, dass es dabei bleibt. Verschweigen wir nicht die guten Erfahrungen, die es auch gegeben hat. Wo haben wir im vergangenen Jahr Wolken- und Feuersäule gesehen? Wo hat uns Gott so klar den Weg gewiesen? Wo haben wir Gottes Vorangehen und Begleiten erfahren und wo schmerzlich vermisst?
Wolken- und Feuersäule sind Phänomene im Kontrast. Nicht zu übersehen die schwarzen Wolken am hellen Himmel; nicht zu übersehen das Feuer in der Nacht. Ich wünsche mir diese Deutlichkeit der Antworten Gottes auf meine Fragen. Und ich weiß, diese Eindeutigkeit wird auch von mir erwartet und im größeren Kontext von der Kirche insgesamt. Aber dann ist da die Angst anzuecken, sich unbeliebt zu machen. Im Zweifelsfall lieber sich anpassen, auch wenn das nur zu wolkigen Worten führt: Feuer am Tag und Wolken in dunkler Nacht, beides kaum zu sehen.
Feuer und Wolken begleiten Israel auf dem Weg aus Ägypten. So ist er nicht zu verfehlen. Aber wo führt er bloß hin? Plötzlich sind sie wie eingeklemmt. Vor ihnen das Meer; hinter ihnen schon das Hufgetrappel der ägyptischen Streitmacht. Gott führt sie mitten in die Angst. Aber er geht auch mit durch die Angst, die sich auftürmt wie die Wogen des Meeres, das sie trocken durchschreiten. Und dann beginnen die vierzig Jahre der Wanderung durch die Wüste, immer geführt von der Wolkensäule bei Tag und der Feuersäule bei Nacht. Gott führt sie einen Weg voller Anfechtungen und Zweifel. Es ist ein Lernweg der Freiheit. Ein Weg der Befreiung von der Sorge und des Lernens von Vertrauen. Manchmal denke ich, das ganze Leben ist so ein Lernweg.
Israel ist auf diesem Weg geführt durch Wolken- und Feuersäule. Wie oft haben wir uns diese Klarheit der Führung durch Gott schon gewünscht; wie oft gebetet: Weise mir Herr deinen Weg. Machen wir uns nichts vor: Das Nachdenken über Gottes Führung ist ein Abgrund für unser Denken und eine Herausforderung für unseren Glauben. Dass der, der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, wie es Paul Gerhardt gedichtet hat, es zulässt, dass Stürme und Überschwemmungen Leben vernichten, will uns nicht einleuchten – und darf es auch nicht. Wir haben Ausschau gehalten nach Gottes Feuer und haben gesehen die endlosen Waldbrände in Australien und Kalifornien. Wir haben geschaut nach Gottes Wolken, und eingebrannt haben sich die Bilder der schwarzen Rauchsäule im Hafen von Beirut.
Israel ist auf dem von Gott gewiesenen Weg durch die Wüste auch immer wieder an die Grenze des Vertrauens gestoßen, wenn sie wieder einmal im Kreis gelaufen waren oder Hunger und Durst ihnen zugesetzt haben. Wolken- und Feuersäule führten Israel durch die Wüste zum Berg Sinai, wo Gott Mose das Gesetz offenbarte. Dann verbanden sich Wolke und Feuer mit der Stiftshütte, dem Zelt der Begegnung, in dem die Lade mit dem Gesetz aufbewahrt war. Es ist nun Gottes Weisung, die Thora, die Israel den Weg in die Freiheit weist. Und trotzdem führt dieser Weg weiter durch die Wüste. Aber Gott hat allen Hunger und Durst gestillt. Und er lässt auch uns auf dem Weg in das neue Jahr nicht allein. Noch mitten auf dem weg will Gott uns stärken. Christus selbst will uns Brot und Wein sein.
- An dieser Stelle im Gottesdienst steht die Feier des Heiligen Abendmahls -
Am Übergang ins neue Jahr ist auch bei uns die Sehnsucht nach Gottes Führung und Begleitung groß. Wir fragen uns, wann es wieder ein normales Leben nach der Pandemie geben wird. Und wir fragen uns noch viel dringlicher, wie es endlich ein lebenswertes Leben für alle Menschen auf der Erde geben kann.
Wenn wir gleich aus der Kirche kommen, wird da keine Säule aus Wolken oder Feuer zu sehen sein. Höchstens ein bisschen Pulverdampf und Leuchtspuren am Himmel von den Raketen derer, die es nicht lassen können und die so nichts als große Fragezeichen in den Himmel malen.
Wohin wird Gott uns führen im neuen Jahr? Werden wir bereit sein für neue, ungeahnte Wege? Oder hängen wir zu sehr an dem, was schon immer war? Können wir uns anderes überhaupt vorstellen? Können wir uns vorstellen, dass es Gottes Weg ist, auch wenn er in die Wüste führt?
Haben wir keine Angst vor dem Neuen. Für uns beginnt es nicht um Mitternacht. Es hat ja längst begonnen mit Advent und Weihnachten: der Erwartung des Kommens Christi und dem Fest seiner Geburt. Die Wege der Hirten und Weisen, von denen die Weihnachtsgeschichte erzählt, führen zur Krippe. Genau dort haben auch wir uns gestärkt. Er selbst ist uns Brot und Wein geworden. Er will uns begleiten und führen auf den Wegen, die da kommen.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre und regiere unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herren. Amen.
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