Predigt
Pfarrerin Ulla Knauer
16. Sonntag nach Trinitatis (19.09.2021)
Predigt zu Lukas 7, 11-16
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Einstieg: Der Zirkel
Liebe Gemeinde!
Ich fange heute mit einer ungewöhnlichen Frage an: Wer von uns hat in letzter Zeit einen Zirkel verwendet? … (evtl. Meldungen)
Bei mir ist es auch schon eine Weile her, und meinen Zirkel aus der Schule müsste ich erst mal suchen. Allerdings durfte ich letzten Frühling mit meinem Sohn die Erfahrung eines Zirkels wieder machen, als er den Umgang damit in der Schule lernen sollte. Was nicht so einfach ist, wenn anfangs nicht die Kreise schöner werden, sondern eher das Loch im Papier immer größer.
So erinnerte ich mich, an die eigene Schulzeit, und wie es war, mit der Zeit zu lernen, wie man den Zirkel halten und bewegen muss, um doch kleine und große Kreise auf’s Papier zu bringen.
Warum spreche ich von einem Zirkel?
Bei unserem Predigttext heute, hatte ich das Gefühlt, man nähert sich Jesus und seinem Wirken kreisförmig an. Es geht um den Jüngling von Nain, ähnlich wie im Evangelium eine Auferweckungsgeschichte.
Lässt man sich auf den Text ein, findet eine Bewegung statt. Von außen, der Beobachtung, bis in die Mitte, dem Eingreifen und Wirken Jesu.
Doch zunächst hören wir auf die Worte des Lukasevangeliums, im 7. Kapitel:
Predigttext Lukas 7, 11-16 (+17)
Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. 12 Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr. 13 Und da sie der Herr sah, jammerte sie ihn, und er sprach zu ihr: Weine nicht! 14 Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! 15 Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter. 16 Und Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht. 17 Und diese Kunde von ihm erscholl im ganzen jüdischen Land und in allen umliegenden Ländern.
Ich sprach von Kreisbewegungen zu diesem Text. Drei möchte ich benennen.
Der erste große Kreis und Rahmen bilden die Zeugen des Ereignisses. Zu Beginn wird berichtet, dass Jesus nicht allein ist. Seine Jünger und eine interessierte Menge kommen mit ihm. Sehen zu. Diese Zeugengruppe wird am Schluss wieder erwähnt. Was hat das Erlebte mit ihnen gemacht? In Vers 16 heißt es: Erstens, sie fürchten sich. Zweitens, sie loben Gott. Drittens, sie werden zu bekennenden Botschaftern und tragen die Christusbotschaft weiter. Und das ist für mich hochinteressant. Sie sind zwar nur die Zeugen am Rand, doch trotzdem macht die Geschichte etwas mit ihnen. Sie können für sich und für andere klarer formulieren, wer Jesus ist. „Gott hat sein Volk besucht!“. Eine erkennende Aussage. In Jesus begegnen wir Gott in all seiner Größe und Macht.
Der zweite Kreis: Die individuelle Begegnung mit Jesus. Den zweiten Kreis bilden die trauernde zweifache Witwe und der verstorbene junge Mann. Name und Alter der beiden finden wir nicht im Text, nur eine Verortung: Der Ort heißt Nain. Das Schicksal hat die Frau doppelt schwer getroffen. Offenbar war bereits ihr Ehemann verstorben. Sie wird als Witwe bezeichnet. Schwer genug für eine Frau in damaligen Zeiten. Eine Frau lebte damals in der Regel nicht allein bzw. es wurde nicht geduldet, sondern innerhalb der Familie ihres Mannes oder ihrer Eigenen bis zu Verheiratung. Durch ihren Sohn, vielleicht auch schon jungen Mann, konnte vermutlich das Erwerbsleben noch weitergehen. Vielleicht konnte der Sohn bereits einen Großteil der Arbeit des Vaters übernehmen. Doch jetzt, wo auch dieser männliche Teil der kleinen Familie verstorben war, würde sie sich der Entscheidung ihrer oder ihrer Schwiegerfamilie beugen müssen, wo und mit wem sie leben soll. Viele Menschen wohnen der Bestattung bei, heißt es dazu. Anscheinend waren Sohn und Mutter geachtete Bewohner des Ortes.
Spannend an diesen Personen: Sie gehen nicht auf Jesus zu. Es erfolgt auch keine Bitte. Sie sind sowieso ganz mit sich selbst beschäftigt, die Witwe in ihrer Trauer und der Trauerzug auf seinem Weg zum Friedhof. Erst nach Jesu Handeln löst sich das Schweigen der Trauer. Die Lebendigkeit macht sich Ausdruck, in dem der Auferweckte spricht. Und Jesus verortet beide wieder als verbundene Familienmitglieder. Er bestätigt ihren guten Ruf und stellt den Familienort auf’s Neue her.
Der dritte Kreis: Jesus selbst und sein Handeln. Bei dieser Auferweckungsüberlieferung ergeht keine Bitte an Jesus. Bei vielen anderen Heilungserfahrungen steht ja die Bitte des Kranken oder die Bitte des Umfelds zunächst da.
Hier nicht. Es ist Jesu eigener Entschluss. Er selbst bestimmt Zeit und Ort. Eine zentrale Sache: Gott ist der Handelnde und greift ein, wann und wie er es bestimmt. Dass Ostern am dritten Tag geschah, hat ER allein entschieden. Dass dieser junge Mann noch einmal leben kann, hat ER allein entschieden. Und wie macht es Jesus? Allein durch sein Wort. Fast wird man in die Schöpfungsgeschichte entrückt, wenn man das liest. Er spricht ihn an. „Ich sage dir, steh auf!“ Und aus dem göttlichen Wort wird Leben. Und das neue Leben, das Geschöpf zeigt seine Lebendigkeit durch eine Antwort. Welche Worte es waren, ist nicht überliefert. Sie waren vielleicht auch nicht wichtig für uns, für die Zeugen, sondern für das Zwiegespräch zwischen Schöpfer und Geschöpf. Jesus zeigt hier deutlich, wer er ist, und offenbart sich hier freiwillig: In mir ist derselbe, der Erde und Himmel erschaffen hat, in mir ist die Macht über Leben und Tod.
Nach diesen 3 Kreisen bis ins Zentrum des Predigttextes, bleibt die menschliche Frage: Warum hilft Jesus hier dem jungen Mann, dort Lazarus, oder dem Gelähmten? Wo ist aber Jesu oder Gottes Eingreifen bei uns? Wo ist er, wenn unschuldige Kinder von amerikanischen Drohnen zerfetzt werden? Wo ist er, wenn Flüchtlinge auf ihrem gefährlichen Weg sterben? Wo ist er, wenn Menschen gefoltert und gequält werden?
Das ist ja die Frage, die uns Christen gestellt wird. Wie könnt ihr das glauben, wenn doch um uns herum so viel Leid und Elend passiert? Und ist ja auch wahr, auch in Erlangen gehen wir an Kindergräbern vorbei, wenn wir auf dem Zentralfriedhof sind. Wo warst Du Jesus, warum hast du hier nicht eingegriffen? – Diese Frage stellt sich fast von selbst. Menschlich. Und doch wird es keine Antwort darauf geben.
Gott bleibt Geheimnis, selbst wenn er es weit weniger ist, seitdem er sich in Christus gezeigt hat. Er bleibt für uns Menschen ein großes Stück Geheimnis. Im Predigttext bestimmt Jesus allein Zeit und Ort für sein Eingreifen. Das ist die Kunst des Glaubens. Ich kann Gott alles sagen und bitten, im Gebet. Zeit und Ort bestimmt er und ich überlasse es Ihm.
Das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun, sondern mit Vertrauen und wahrem Glauben. Ich durfte vor einigen Jahren eine Taufe feiern. Es war das 3. Kind in der Familie. Das 2. Kind war schwerkrank gewesen, und war bereits früh gestorben. Der wöchentliche Besuch auf dem Friedhof war Teil des Familienlebens. Das erste Kind fand das ganz normal, die Schwester am Friedhof zu besuchen. Wie ein weiteres Kinderzimmer. Und trotz dieser bitteren Erfahrung wagten sie eine weitere Schwangerschaft, unter Ängsten und Sorgen. Doch das Kind war gesund. Es war eine fröhliche Taufe. Die Eltern hatten den Glauben nicht verloren. Eher hatten sie die schwere Zeit überlebt, nur mit der Kraft Gottes. In ihren Augen bestand kein Zweifel, das Gott in ihrem Leben wirkt, wenn auch ganz anders als menschlich gedacht.
Gott die Macht lassen und zuerkennen. Gott den Ort und die Zeit für sein Wirken selbst bestimmen lassen. Daran erinnert uns der Predigttext, und er macht uns Hoffnung: Es wird Orte und Zeiten geben, an denen auch wir Gott begegnen und nahe sein können. Wir müssen uns überraschen lassen.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsre Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.
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