Predigt am Sonntag Laetare, 27.3.2022
Predigttext 2Kor 1,3-7
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. 5 Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. 6 Werden wir aber bedrängt, so geschieht es euch zu Trost und Heil; werden wir getröstet, so geschieht es euch zum Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. 7 Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.
Liebe Gemeinde!
Mit Paulus lernen wir heute neue Namen Gottes. Vater unseres Herrn Jesus Christus ist so ein Name; andere sind Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes.
Wer Gott so beim Namen nennen kann, der hat mit ihm Erfahrungen gemacht und etwas zu erzählen; der ist mit ihm vertraut.
Nähe aber kann verloren gehen, Vertrauen verspielt werden, Vertrautheit der Fremdheit weichen.
„Haben wir uns nicht einmal geduzt?“ fragen sich zwei, die sich jahrelang nicht gesehen haben. Im Lauf der Jahre haben sie die persönliche Anrede verlernt, und nun wissen sie nicht mehr, wie sie sich beim Namen nennen sollen.
Namen kann man vergessen; Namen kann man auch verlernen.
In Gethsemane hatte Jesus für Gott noch einen beziehungsreichen Namen: Mein Vater, ist´s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber. In der Einsamkeit des Sterbens stand ihm dieser Name nicht mehr zur Verfügung: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Es sind Not, Einsamkeit und Leid, die uns die Barmherzigkeit Gottes, die wir in unserem Leben erfahren haben, vergessen lassen. Vergessen lassen die Erfahrungen von Geborgenheit und Frieden in Gott. Damit verlernen wir auch vertrauensvolle Namen für Gott. Wie sollten die Menschen in der Ukraine jetzt sagen können: liebender, fürsorglicher, guter Gott?
Paulus wusste, was Bedrängnis heißt. In den folgenden Versen lesen wir: 8Denn wir wollen euch, Brüder und Schwestern, nicht verschweigen die Bedrängnis, die uns in der Provinz Asia widerfahren ist, da wir über die Maßen beschwert waren und über unsere Kraft, sodass wir auch am Leben verzagten; 9und wir dachten bei uns selbst, zum Tode verurteilt zu sein.
Es hat also Gewicht, wenn Paulus von Leid und Bedrängnis spricht. Er wusste, was es heißt, trostbedürftig zu sein. Aber Trost brauchen wir alle. Und wer keinen findet, ist nicht recht bei Trost.
Trost braucht der kleine Junge, dem der gerade gebaute Turm zusammenstürzt; braucht das Mädchen, wenn das Heimweh auf der ersten Klassenfahrt übergroß wird. Trost brauchen Heranwachsende im ersten Liebeskummer; brauchen junge Menschen, wenn sie den erhofften Ausbildungsplatz nicht bekommen; brauchen Kranke, Einsame und Sterbende. Trost brauchen wir besonders in der Situation des Abschieds – sei es für eine begrenzte Zeit oder für immer, wenn wir durch den Tod einen geliebten Menschen verlieren. Dann geht die Mitte des Lebens verloren und muss neu gesucht und gefunden werden.
Was allen diesen Situationen gemeinsam ist – immer haben sie mit Verlust und Trennung zu tun. Trost brauchen wir, wenn etwas verloren geht: die Gesundheit, der Lebensmut, die Gemeinschaft mit einem oder mehreren Menschen. Es kann auch ein geliebtes Haustier sein und natürlich materielle Dinge. Was uns auch immer aus der Bahn wirft, verloren geht ein Stück Geborgenheit und damit Vertrauen in das Leben. Und manchmal wissen wir gar nicht, was der Grund für Niedergeschlagenheit ist. Der Dichter Paul Verlaine bringt es auf den Punkt:
Das ist das schwerste Leiden,
zu wissen nicht, warum.
Da Hass und Lieb mich meiden,
mein Herz muss so viel leiden.
Was tröstet?
Da wäre viel zu nennen. Ich möchte für mich auf die Musik verweisen; besonders die, welche mit dem biblischen Wort verbunden ist. Ich denke an das Requiem von Johannes Brahms.
Ein Requiem ist eine Totenmesse, für die es eine feste Liturgie gibt. In dem lateinischen Text geht es um die Themen Sterben, Auferstehung, Gericht, ewiges Leben.
Wenn wir nicht wissen, wie wir jemand trösten können, wenn uns in unserer Hilflosigkeit die richtigen Worte fehlen, benutzen wir überlieferte, konventionelle Worte. Wir greifen etwa zu einem Bibelwort aus den Psalmen oder kaufen eine Karte, auf der schon aufgedruckt ist „Herzliche Anteilnahme“. Daran ist nichts auszusetzen. Trösten werden diese Worte aber nur, wenn es uns gelingt, sie zu unseren eigenen zu machen. Das hat Johannes Brahms den traditionellen Texten des Requiems offenbar nicht zugetraut. Darum hat er aus der Lutherbibel selbst Worte zusammengestellt, bzw. zusammenstellen lassen, und durch die Sprache der Musik hat er sie zu seinen eigenen gemacht.
Besonders tröstlich ist für mich der 5. Satz. Der Sopran – die Stimme Jesu – singt: Ihr habt nun Traurigkeit (Joh 16,22). Die Situation ist die des Abschieds Jesu von seinen Jüngern. Er wird durch seinen Leidensweg die Welt verlassen. Alles, was das Leben der Jünger ausmachte, ist mit dem Namen Jesu verbunden. Wenn er sie nun verlässt, wird für sie eine Welt zusammenbrechen. Wie sollten sie da nicht traurig und trostbedürftig sein?
Trost beginnt damit, dass die Traurigkeit nicht ignoriert oder heruntergespielt wird. Ihr habt nun Traurigkeit, sagt Jesus. Auch unsere Trauer, unser Leid wird von Gott gesehen; mehr noch: geteilt. Anders wären wir un-tröstlich.
Ich habe vor längerer Zeit einen Satz aufgefischt, der mich sehr beeindruckte: Dass er keinen Trost mehr weiß, tröstet mich. Das ist paradox formuliert und bezeichnet doch genau den Punkt, wo Trost beginnt: Im Teilen des Leids, bis hinein in die Sprachlosigkeit. Da ist das Schweigen allemal besser als ein gutgemeinter vorschneller Bibelspruch.
Trost ändert aber nicht die Umstände, die zur (wie Paulus sagt) Bedrängnis geführt haben: Jesus wird die Jünger verlassen! Sie werden ohne ihn sein. Trost redet nicht schön, sieht aber über das Leid hinaus, indem er in die Hoffnung führt. Jesus sagt weiter: Ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen. Jenseits der mir durch Verlust zerbrochenen Welt wird es eine neue Geborgenheit geben: Euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
Brahms nimmt einen zweiten Text dazu, diesmal aus dem Buch Jesus Sirach, das zu den Apokryphen gehört. (In der Lutherbibel zu finden zwischen Altem und Neuem Testament.) Der Sopran, also die Stimme Jesu, singt weiter: Sehet mich an. Ich habe eine kleine Zeit Mühe und Arbeit gehabt und habe großen Trost gefunden (Sir 51,27). Die Zeit der Mühe und Arbeit könnte eine Anspielung auf das sein, was Jesus schon erlitten hat und erleiden wird. Aber auch Paulus könnte das so sagen mit Blick auf die Bedrängnis, in die er geraten war. Sehet mich an, sagt Jesus. Ich bin den Weg von der Traurigkeit zum Trost gegangen. Das wird auch euer Weg sein.
Ist das nicht gefährlich nah an der Verharmlosung des Leids, die nicht Trost sondern Vertröstung wäre? „Es ist doch gar nicht so schlimm. Hab ein wenig Geduld. Dann wird es schon wieder.“ So hören wir es oft.
Ich erinnere mich an meine Großmutter. Ich war noch klein und damals krank. Sie saß auf meinem Bett und sagte, was in dieser Situation immer kommen musste: Wird schon wieder werden mit der Mutter Bären. Mit der Mutter Knorren ist es auch geworden. Nur die Mutter Schmitten hat so sehr gelitten. Irgendwie war das tröstlich. Obwohl ja gar nicht klar war, worin die Zuversicht, dass es schon wieder werden würde, begründet war. Die Chance steht ja nur bei 50:50. Zwar ist´s mit der Mutter Knorren wieder geworden; aber die Mutter Schmitten hat doch sehr gelitten…
Abgesehen davon, dass Humor oft eine gute Medizin ist, und abgesehen davon, dass ich bestimmt nicht ernsthaft krank war; es war wohl die Person meiner Großmutter, die diese Zuversicht überzeugend machte.
Trost ist etwas, das wir im persönlichen Zuspruch empfangen. Ein Trostautomat ist nicht vorstellbar, auch wenn er Bibelsprüche ausspuckte. Trost, der letztlich vom Gott allen Trostes ausgeht, empfangen wir, um ihn weiter zu geben. …der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Darum werden Menschen wie Paulus gebraucht, die diesen Trost weitergeben.
Ich bin immer noch bei dem Requiem von Johannes Brahms. Einen dritten Bibeltext nimmt er dazu. Als Kommentar zu den Worten Jesu singt der Chor: Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet (Jes 66,13). Das leuchtet sofort ein. Trösten ist eine mütterliche Sache. Eine Mutter wird ihr Kind, wenn es mit dem Rad gestürzt ist und sich das Knie aufgeschlagen hat und nun weinend zu ihr rennt, in den Arm nehmen. Sie wird es nicht erst vor sich hinstellen und sagen: „Siehste, hab ich dir doch gesagt, dass du nicht über die Bordsteinkante fahren sollst.“ Sie wird das Leid des Kindes teilen und es vielleicht mit ihren Tränen zu ihrem eigenen machen. Sie wird vielleicht sogar sagen: „Es ist alles gut.“ Obwohl doch das Knie noch blutet und weh tut. Trotzdem ist schon alles gut. Denn der Trost der Mutter, der den Riss in der gerade noch glücklichen Kinderwelt heilt, zählt mehr als das Knie. Aus diesem Trost erwächst aber auch die Hoffnung, dass alles gut wird und die Wunde verheilt.
„Alles ist gut“ – so kann eine Mutter sagen. Wir können das in dieser Zeit nicht. Vielleicht ging es früher, als wir noch besser im Verdrängen waren. Jetzt geht es angesichts des Krieges in der Ukraine nicht.
Gott leidet mit der Trostlosigkeit der Welt. Das ist seine Passion. Der Trost, den er uns schenkt, führt nicht in die Glückseligkeit, sondern in das Leiden. Das Leiden mit Christus, der unser Leid teilt. Paulus spricht ja von Leiden Christi, die reichlich über uns kommen. Das ist unsere Solidarität mit dem leidenden Christus. Die Gemeinschaft mit ihm ist eine, in der wir das Leid teilen. Und weil es eine mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus ist, ist es auch eine Gemeinschaft der Hoffnung - der Hoffnung auf Trost, die ihren Grund in der Auferweckung Jesu hat: Das Leiden wird nicht das Letzte sein.
Kann das ein Trost sein etwa für Menschen, die mit der Pflege ihrer Angehörigen total überfordert sind; für Einsame, Hungernde, Kranke? Die einen brauchen doch eine helfende Hand, andere einen Besuch, Brot oder Medizin.
Trost hat viele Namen. Der griechische Wortstamm, den Paulus hier verwendet und der in der Lutherbibel zehnmal mit „trösten“, „Trost“ etc. wiedergegeben ist, hat ein großes Spektrum an Bedeutungen. In der Guten Nachricht aus den 70er Jahren steht nicht einmal „Trost“, sondern „ermutigen“, „Hilfe erfahren“, „Zuversicht bekommen“. Eine andere zentrale Bedeutung ist „ermahnen“. Das scheint von „trösten“ weit entfernt. Aber es geht immer um das Gleiche: Wir sollen zurückfinden in die Geborgenheit bei Gott, an den Platz, wo wir in der Freiheit seiner Kinder leben können. Getröstet sind wir mitten im Leid, wenn wir wissen, dass uns nichts von Gott trennen kann; wie es das Kind in den Armen seiner Mutter erfährt.
Getröstet sind wir, wenn wir für Gott wieder einen vertrauensvollen Namen haben. Amen
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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