Predigt am 8. Sonntag nach Trinitatis, 7.8.2022
Evangelium: Matthäus 5, 13-15
Predigttext: Markus 12, 41-44
41 Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. 42 Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. 43 Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. 44 Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.
Liebe Leserin, lieber Leser!
Man sollte es sich angewöhnen, die Dinge nicht nur von einer Seite zu sehen. Manches offensichtlich Schlechte zeigt dann vielleicht auch eine gute Seite. Das gilt sogar für Corona.
Früher saßen wir auf den Kirchenbänken nebeneinander; an Feiertagen sogar dicht an dicht. Das war gut zur Stärkung der Gemeinschaft und vielleicht auch des Glaubens. Doch auch im schönsten Gottesdienst kommt der Moment, wo der Klingelbeutel eingesammelt wird. Wenn ich mich darauf nicht zuhause mit dem passenden Betrag vorbereitet habe, also nur blind in die Hosentasche greifen muss, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als jetzt im Portemonnaie zu kramen. Und das womöglich unter den Blicken meiner Nachbarn, die bekanntlich alles sehen. Dabei geht die doch gar nicht an, welchen Betrag ich einlege.
Nun sitzen wir ja auf Abstand…
Die schlechte Nachricht heute haben sie schon mit dem Predigttext bekommen. Der Nachbar sieht mir zwar nicht mehr auf die Finger; dafür schaut Jesus zu; sieht nicht nur auf die Münzen oder Scheine; nicht nur in den Geldbeutel, sondern direkt ins Herz. Denn er weiß das, was ich gebe, in Relation zu setzen zu dem, was ich geben könnte. Er sieht, ob sich hinter einer großen Summe nicht doch ein Geizkragen versteckt, und der kleine Betrag in Wirklichkeit ein großes Opfer ist. Und es kann natürlich auch umgekehrt sein.
Hab ich doch schon immer geahnt, dass sich hinter dem freundlichen Wort aus Psalm 139: Von allen Seiten umgibst du mich der Big Brother versteckt, der mich nicht aus den Augen lässt.
Was soll man sagen zu dieser Geschichte? Über so einen Text zu predigen ist am allerschwersten, weil es nichts zu erklären oder zu diskutieren gibt. Die Botschaft ist doch eindeutig: Wieviel du auch gibst – ein bisschen mehr könnte es sein! Für wen drei Euro das Maß ist, der schafft auch fünf. Wer immer fünf gibt, dem tun auch zehn nicht weh. Und wer zum blauen Schein greift, kann auch mal den braunen nehmen.
Wäre es ein Märchen, hieße es am Ende noch: Und die Moral von der Geschicht|… Sie lautete: Sei nicht geizig, sondern großzügig. Geh in dich und gib deinem Herzen einen Stoß. Denk nicht nur an dich, sondern auch an andere!
Wer sich danach richtete, dessen Verhalten fänden wir moralisch vorbildlich und vernünftig. Denn es leuchtet doch jedem ein, dass nur durch Teilen ein gutes Leben für alle möglich ist.
Aber vielleicht geht es in der Bibel gar nicht um Moral. Wenn Jesus uns die arme Witwe als Vorbild vor Augen stellt, ist die Botschaft ja nicht: Du könntest mehr geben, sondern: Gib alles!
Doch das sprengt jede Moral. Da kapituliert die Vernunft. Es ist genauso unmöglich, wenn alle alles geben – stellen sie sich das mal vor –, wie
wenn alle alles wollen.
Es geht in der Bibel nicht um Moral; vielmehr um Nachfolge. Ein Leben unter Gottes Gebot und Liebe. Ein Leben, das weiß, dass es unter allen Umständen bei Gott geborgen ist.
Puh…, da sind wir doch erstmal erleichtert, dass Jesus mit der armen Witwe nicht gleich unserem ganzen Besitz an den Kragen will.
Jesus sitzt am Gotteskasten, dem Opferstock, der Kollektenschale – wie auch immer. Und er schaut nicht nur auf die eingelegten Beträge, sondern den Menschen ins Herz. Wenn er von der armen Witwe sagt, dass sie alles gegeben hat, dann bekommt dieses alles seinen Glanz nicht von den Münzen, sondern von Gottes Gebot: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften.
Wir können aber nicht so tun, als ginge es dabei um platonische Liebe, die mit unserem Besitz gar nichts zu tun hätte.
Das zeigt die im Markusevangelium kurz zuvor erzählte „Gegengeschichte“ zur armen Witwe, die vom reichen Jüngling. Hier geht es sogar ausdrücklich um Nachfolge.
Ein reicher Mann hat alles, was er sich wünschen könnte. Und doch ist er davon nicht glücklich geworden und hat den Sinn seines Lebens damit nicht gefunden. Er hört von Jesus und fühlt sich von ihm angezogen. Er fragt ihn: Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Jesus weist ihn auf die Gebote hin. Doch nach denen lebt er bereits. Trotzdem ist seine Sehnsucht nicht gestillt. Da sagt Jesus zu ihm: Verkaufe alles, was du hast! Und auch dieses alles reicht bis ins Herz. Denn Jesus sagt einmal: Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
Aber das kann er nicht. Das schafft er nicht.
Jesus weist hier auf einen wunden Punkt auch in unserem Leben hin. Besitz bindet, nimmt uns in Anspruch. Er will gepflegt werden. Ihm gilt unsere Sorge.
Wie aber kann dann ein Herz Gott allein gehören?
Vielleicht denken wir: Ja, die Witwe, die hatte es leicht, alles wegzugeben. Die zwei Kupfermünzen sind ja praktisch nichts. Die machen keinen Unterschied. Sie war vorher genauso arm wie hinterher. Aber der reiche Mann. Der hatte viel zu verlieren. Sein Leben wäre total umgekrempelt worden.
Die Jünger sind entsetzt über diese harte Forderung Jesu. Und in dieser Einschätzung gibt er ihnen sogar recht, wenn er sagt: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als ein Reicher ins Reich Gottes kommt. Die Jünger sind fassungslos: Wer kann dann selig werden? Wer kann dann ganz zu Gott gehören? Wir könnten das mit der Nachfolge Jesu wohl auch aufgeben und wären am Ende unserer Möglichkeiten. Dann hätte es wirklich das Kamel mit dem Nadelöhr leichter.
Warum gerade das Kamel? habe ich mich gefragt. Das ist doch das denkbar ungeeignetste aller Tiere. Ein glitschiges Fischlein könnte vielleicht noch irgendwo durchschlüpfen. Aber das Kamel mit seinen Höckern bleibt wirklich überall hängen. Gerade darum das Kamel! Es unterstreicht unser Unvermögen. Und gerade da beginnen Gottes Möglichkeiten! Wie Jesus an gleicher Stelle zu seinen Jüngern sagt: Bei den Menschen ist´s unmöglich, aber alle Dinge sind möglich bei Gott.
Die arme Witwe ist nicht allein mit ihrer Hingabe. Da waren 5000 Leute versammelt, hatten Jesus zugehört und waren nun hungrig. Aber sie hatten nichts. Das, was sich fand, 5 Brote und Fische, lässt Jesus an die Menge verteilen. Und es werden alle satt. Wie das? Wenn man nichts hat und weniges bekommt, hält man es doch fest, oder? Aber die Menschen teilen miteinander. Das eigentliche Wunder ist nicht, wie mit 5 Broten und Fischen so viele satt werden können, sondern dass Menschen frei werden von der Sorge um ihr Leben, so dass sie teilen können! Und am Ende wird sogar noch eine besondere Kollekte eingesammelt: das, was übrig geblieben ist, 5 Körbe voll. Nicht versteckt vor den Blicken der Nachbarn; alle können es sehen. Alle sollen es sehen, wie aus Mangel Überfluss wird, denn das ist Gottes Ökonomie.
Die eigentliche Frage, welche die Witwe und die Fünftausend an uns stellen, ist also nicht, wie man Menschen dazu bringen kann, mehr zu spenden, sondern wie Menschen frei werden von der Sorge um ihr Leben, so dass sie alles loslassen können; dass sie haben, als hätten sie nicht; dass sie geben, als bräuchten sie nichts. Das geht wohl nur, wenn man sich ganz bei Gott geborgen weiß. Wenn man sicher ist: Wenn ich falle, fängt Gott mich auf. Wenn ich nicht mehr weiter weiß, nimmt Gott mich an die Hand.
Hat Jesus das auch gewusst auf seinem Weg der Hingabe?
Die arme Witwe, die alles hergab, wird auch zu einem Fingerzeig auf Jesus.
Im Evangelium für diesen Sonntag heißt es: Man zündet nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter. Ein Scheffel ist ein Hohlmaß etwa für Getreide. Darunter würde eine brennende Kerze nicht nur nicht zu sehen sein; sie würde verlöschen.
Jesus hebt den Scheffel über der Witwe. So tritt an’s Licht, was sie getan hat. Es ist kein Lob der Armut. Armut ist nicht zu loben, sondern zu bekämpfen. Es ist das Lob ihrer Hingabe.
Auch wie unter einem Scheffel verborgen ist der Sinn von Jesu Weg der Hingabe bis in den Tod. Aber hier mit der Witwe fällt ein Licht auf Gottes Handeln, das so ganz anders ist. Da entsteht Reichtum aus Mangel, Trost aus Trostlosigkeit, Kraft aus der Schwachheit. Und die Hoffnung kennt keine Grenzen.
Diesem Gott unser Leben anzuvertrauen, dazu lädt die arme Witwe uns ein. Amen.
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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