Predigt am Sonntag Sexagesimae, 12.2.2023, zum Thema:
„Unrecht aus der Welt schaffen. Geht das überhaupt?“
Predigttext: aus 2. Samuel 12
1 Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm.
2 Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3 aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. 4 Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war. Und er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
5 Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!
6 Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. 7 Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann!
13 Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14 Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.
Liebe Gemeinde,
was mit dem Thema der Predigt gemeint ist, liegt auf der Hand. Schauen wir uns aber die Formulierung genau an, haben wir schon die ersten Probleme. Aus der Welt – wo soll das sein? Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen; wir sind immer in der Welt. Wir können weglaufen. Dann aber nehmen wir unsere Welt mit. Denn unsere Welt – das ist unsere Lebensgeschichte, das sind Orte und Dinge, die dazu gehören und vor allem Menschen, die mit uns das Leben teilen. Der Welt können wir nicht entkommen.
Und was bedeutet aus der Welt schaffen? Die Metapher klingt nach etwas, das man anfassen und wegtragen kann. Sie klingt nach Gewicht. Und so sagen wir ja auch: „Mir liegt eine Last auf der Seele; mir fällt ein Stein vom Herzen.“ Materie aber ist widerständig!
Nun soll die Metapher nicht mit der Sache selbst verwechselt werden. Doch sie wäre auch nicht geglückt, hätte sie mit ihr rein gar nichts zu tun. Unrecht aus der Welt schaffen. Ach wäre es schön, wenn das ginge zwischen Völkern und Staaten, in der Gemeinde, in Partnerschaft und Familie und an vielen anderen Orten. Übrig bliebe eine Welt in Gerechtigkeit. Aber: Geht das überhaupt? Und wenn ja – wie? Das sind klare Fragen. Und wie antwortet die Bibel? Sie erzählt eine Geschichte.
(Nacherzählung von 2. Samuel 11-12)
Gott hat David vergeben. Ist damit alles wieder in Ordnung; das Unrecht aus der Welt geschafft? Alles wieder auf Anfang gestellt?
Die kirchliche Rede von der Vergebung der Sünde ist dann fahrlässig, wenn sie das behauptet. Als ob mit einem von Gott geschenkten Neuanfang alles Unrecht quasi ungeschehen gemacht ist. Alles ist wie zuvor.
Aber was ist mit Batseba? Ihren Tränen? Ihrer Trauer um ihren Mann Uria und den Sohn? Was ist mit der Gewalt, die David ihr angetan hat?
Und was mit dem Kind, das sterben muss? Irgendwo wird sein Grab sein und an das geschehene Unrecht erinnern. Wie so viele Gräber auf der Welt an gewaltsame Tode erinnern und an Wunden, die nie verheilt sind. Und zugleich mahnen sie, gegen Unrecht aufzustehen.
David hat sich zu seiner Sünde bekannt. Und Gott hat ihm vergeben. Ist damit dieses Unrecht aus der Welt?
Wie oft haben wir selbst schon gerade die Menschen verletzt, die uns am nächsten stehen? Haben Liebe und Freundschaft verraten, Vertrauen verspielt. Und dann haben wir es bereut und um Verzeihung gebeten, vielleicht sogar viele Male. Und dann gedacht: „Irgendwann muss doch mal Schluss sein; muss man wieder nur nach vorn blicken können und nicht nur zurück.“ Aber manche Wunden schließen sich nicht. Und die Narben bleiben sowieso…
Das kennen wir auch aus unserer Geschichte: die gefährliche Diskussion um einen Schlussstrich, der endlich mal gezogen werden muss. Oder die „erinnerungspolitische Wende“, die schon gefordert wurde. So einen Schlussstrich kann und darf es nicht geben. (Und wenn es ihn gäbe, könnten ihn nur die Opfer ziehen, nicht die Täter.)
David hat eine Gewaltgeschichte begonnen, die nicht einfach vom Tisch gewischt werden kann. Und so sagt ja auch Gott durch den Propheten Nathan zu ihm, dass das Schwert nicht von seinem Haus lassen wird.
Gott vergibt David. Er wird nicht sterben. Er vergibt ihm seine Sünde: den Bruch mit Gott, die Übertretung seiner Gebote, den Verrat seiner Menschlichkeit. Aber ist mit Gottes Vergebung das Unrecht aus der Welt? Nein! Es bleibt die Schuld gegenüber den Menschen; das von David angerichtete Unheil. Beides muss unterschieden werden.
Aber Gottes Vergebung, der sich wieder an Davids Seite stellt, ermöglicht David, mit dieser Schuld zu leben. Und das bedeutet, Verantwortung dafür zu übernehmen; verantwortlich mit ihr umzugehen; Versöhnungsarbeit zu leisten. (So ringt er betend und fastend um das Leben des Kindes vor Gott.)
Die biblische Pointe von Gottes Vergebung ist nicht, dass alles ist wie zuvor, sondern dass Menschen umkehren können. Dass sie zu einem anderen Leben gerufen sind.
Der Sohn, gerade eine Woche alt, trägt stellvertretend für David die Strafe. Er stirbt. „Das ist doch zutiefst ungerecht. Er kann doch nichts für dieses Unrecht.“ So oder so ähnlich lehnen wir uns zu Recht gegen diesen Tod auf. Zähneknirschend müssen wir jedoch akzeptieren, dass der Erzähler diesen Gedanken nicht verfolgt, sondern ganz bei David bleibt. Doch auch der schreckliche Tod des Sohnes ist nicht ohne Botschaft: Die Sünde hat keine Zukunft; sie ist keine Lebensmöglichkeit!
Der Sohn stirbt stellvertretend für David. Verführerisch könnte es sein, hier die Linie weiter zu ziehen bis zu Jesus, der auch stellvertretend für unsere Sünden gestorben ist – so eine von vielen Deutungen seines Todes im Neuen Testament. Aber damit sind die Parallelen auch schon erschöpft. Der Tod des Kindes markiert ein Ende. Jesu Tod und Auferstehung aber zeigen, dass es – durch Gottes Vergebung befreit – einen Weg der Umkehr gibt, auf dem Menschen verantwortlich mit verschuldetem und manchmal auch ererbtem Unrecht umgehen können. Amen.
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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