Predigt
Pfarrerin Ulla Knauer
Ostermontag, Familiengottesdienst
(10.04.2023, 09.30 Uhr)
Predigt zu Lukas 24, 13-35
(Der Predigttext wurde im Gottesdienst zuvor kindgerecht als Bildergeschichte erzählt)
Hier abgedruckt die biblische Vorlage:
Predigttext Lukas 24, 13-35
13 Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien (11 Kilometer) entfernt; dessen Name ist Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten.
15 Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. 17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. 18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? 19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben.
21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. 24 Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.
25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! 26 Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? 27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war. 28 Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen.
29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen. 31 Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. 32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? 33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; 34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen. 35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.
Gnade sei mit Euch, und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.
- Einstieg: Hilfestellung zur Erkenntnis: In der Bibel, wie im Märchen
Liebe Gemeinde!
Gerade haben wir die Emmausgeschichte gehört und gesehen. Es bleibt immer wieder für mich beeindruckend, wie die beiden Jünger Jesus im Brotbrechen erkennen. Und dann alles stehen und liegen lassen, um die Botschaft so schnell wie möglich zu verbreiten. Und zweitens: Wie erstaunlich ist es, dass sie ihn nicht erkennen auf dem Weg? Man müsste doch meinen, wer so viel Zeit mit Jesus verbringen konnte, und zu den zwölf Jüngern gehörte, müsste ihn doch erkennen, wenn er wieder da ist. Sah er so anders aus? Oder war einfach die Auferstehung so unvorstellbar?
In der Emmausüberlieferung bleibt es dabei, dass sie ihn erst durch das Brotbrechen erkennen.
Ich muss an ein Märchen denken: Aschenputtel. Das Mädchen wird vom Prinzen gesucht. Und am Ende mit dem Schuh gefunden. Auch hier müsste man doch annehmen: Wer einen ganzen Abend miteinander getanzt hat, müsste sich beim Blick ins Gesicht, in die Augen, doch erkennen? Und dennoch braucht es dieses Zeichen.
Jesus, der Auferstanden, er schenkt uns dieses Zeichen Brot bis heute. Nicht nur den Jüngern wird Lebensmut, Hoffnung und neuer Elan geschenkt. Auch wir heute, werden auf geheimnisvolle Weise durch das Abendmahl gestärkt. Wir können dieses Geheimnis nicht gänzlich in Worte fassen. Und doch gibt es so viele Berichte von Menschen, denen das Brot Jesu lebensbestimmend gutgetan hat.
Wie ist das nun mit dem Brot? Heute können wir es sogar Osterbrot nennen. Es gibt eine schöne Geschichte zur Wirkung des Brot-Teilens. Wer von Ihnen ehrenamtlich für die Jugend gearbeitet hat, kennt sie vielleicht. Dann lade ich Sie ein, sie auf ein Neues zu hören. Ich lese sie in 2 Teilen:
- „Der Bäcker in der Jakobstraße“, Teil 1
(Quelle: www.materialboerse.ejo.de, aus Heinrich A. Mertens: Brot in deiner Hand. Geschichten für Kindern von der Bedeutung des heiligen Mahles, 6. Auflage München 1982 | S. 5-8 | ©Eva Mertens, Herausgeber: Pfeiffer Verlag, 1975)
„An der Jakobstraße in Paris liegt ein Bäckerladen; da kaufen viele hundert Menschen ihr Brot. Der Besitzer ist ein guter Bäcker. Aber nicht nur deshalb kaufen die Leute des Viertels dort gern ihr Brot. Noch mehr zieht sie der alte Bäcker an: der Vater des jungen Bäckers. Meistens ist nämlich der alte Bäcker im Laden und verkauft.
Dieser alte Bäcker ist ein spaßiger Kerl. Manche sagen: Er hat einen Tick. Aber nur manche; die meisten sagen: Er ist weise, er ist menschenfreundlich. Einige sagen sogar: Er ist ein Prophet. Aber als ihm das erzählt wurde, knurrte er vor sich hin: „Dummerei …“Der alte Bäcker weiß, dass man Brot nicht nur zum Sattessen brauchen kann, und gerade das gefällt den Leuten. Manche erfahren das erst beim Bäcker an der Jakobstraße, zum Beispiel der Omnibusfahrer Gerard, der einmal zufällig in den Brotladen an der Jakobstraße kam. „Sie sehen sehr bedrückt aus“, sagte der alte Bäcker zum Omnibusfahrer. „Ich habe Angst um meine kleine Tochter“, antwortete der Busfahrer Gerard. „Sie ist gestern aus dem Fenster gefallen, vom zweiten Stock.“ „Wie alt?“ fragte der alte Bäcker. „Vier Jahre“, antwortete Gerard. Da nahm der alte Bäcker ein Stück vom Brot, das auf dem Ladentisch lag, brach zwei Bissen ab und gab das eine Stück dem Busfahrer Gerard. „Essen Sie mit mir“, sagte der alte Bäcker zu Gerard, „ich will an Sie und Ihre kleine Tochter denken.“ Der Busfahrer Gerard hatte so etwas noch nie erlebt, aber er verstand sofort, was der alte Bäcker meinte, als er ihm das Brot in die Hand gab. Und sie aßen beide ihr Brotstück und schwiegen und dachten an das Kind im Krankenhaus. Zuerst war der Busfahrer Gerard mit dem alten Bäcker allein. Dann kam eine Frau herein. Sie hatte auf dem nahen Markt zwei Tüten Milch geholt und wollte nun eben noch Brot kaufen. Bevor sie ihren Wunsch sagen konnte, gab ihr der alte Bäcker ein kleines Stück Weißbrot in die Hand und sagte: „Kommen Sie, essen Sie mit uns: Die Tochter dieses Herrn liegt schwerverletzt im Krankenhaus – sie ist aus dem Fenster gestürzt. Vier Jahre ist das Kind. Der Vater soll wissen, dass wir ihn nicht allein lassen.“ Und die Frau nahm das Stück Brot und aß mit den beiden.“
- Essen als heilsame Unterbrechung
Kann gemeinsames Essen wirklich helfen? Es ändert sich ja nichts an der Tatsache in der Geschichte, dass die Tochter im Krankenhaus ist. Trotzdem hat man den Eindruck, dieses Stück Brot stiftet Trost. Was passiert da im Laden? Ein Prozess wird unterbrochen. Der Mann und die Frau, die später dazu kommt, eilen nicht mehr nur kurz hinein, bezahlen und gehen wieder raus. Sie bekommen einen Namen. Sie werden für einen Moment lang eine Gemeinschaft. Sie nehmen einander wahr. Sie unterbrechen den Alltag und widmen sich in Gedanken dem Kind und den Sorgen der Eltern. Fast wie ein Gebet.
Diese Geschichte ist nun erfunden. Finden wir so etwas auch heute noch? Eine heilsame Unterbrechung durch gemeinsames Essen? Ich finde ja. Immer wieder gestalte ich Trauerfeiern und feiere mit den Angehörigen den Abschied von einer lieben Person. In der Zeit der Trauer bleibt der Appetit auf der Strecke. Ohnmacht und eine Zeit der Zurückgezogenheit tritt ein. Dem völlig entgegen steht das immer noch übliche Trauercafé oder der Leichenschmaus nach der Trauerfeier. Warum gehen wir essen am Tag der Trauer? Ich bin überzeugt, weil es genauso heilsam die Trauer und den Schmerz unterbricht. Die Trauer ist deshalb nicht weg. Aber die Angehörigen dürfen spüren: Wir sind nicht allein. Gemeinschaft wird an den Tischen erlebbar. In Gesprächen und Erinnerungen kommt nochmal das zu Tage, was man am Verstorbenen geschätzt und geliebt hat. Eine Vorahnung, wie sich Trauer in wertvolle Erinnerung wandeln kann.
- „Der Bäcker in der Jakobstraße“, Teil 2
Gemeinsam Essen kann also trösten, helfen. Hören wir nun nochmal auf die Geschichte, den 2. Teil:
„So war das oft in dem Brotladen, in dem der alte Bäcker die Kunden bediente. Aber es passierte auch anderes, über das sich die Leute noch mehr wunderten.
Da gab es zu Beispiel eine Geschichte mit Gaston: An einem frühen Morgen wurde die Ladentür aufgerissen, und ein großer Kerl stürzte herein. Er lief vor jemandem fort; das sah man sofort. Und da kam ihm der offene Bäckerladen gerade recht. Er stürzte also herein, schlug die Tür hastig hinter sich zu und schob den Riegel von innen vor. „Was tun Sie denn da?“ fragte der alte Bäcker. „Die Kunden wollen zu mir herein, um Brot zu kaufen. Machen Sie die Tür sofort wieder auf.“ Der junge Mann war ganz außer Atem. Und da erschien vor dem Laden auch schon ein Mann wie ein Schwergewichtsboxer, in der Hand eine Eisenstange. Als er im Laden den jungen Kerl sah, wollte er auch hinein. Aber die Tür war verriegelt. „Er will mich erschlagen“, keuchte der junge Mann. „Wer? Der?“ fragte der Bäcker. „Mein Vater“, schrie der junge Mann, und er zitterte am ganzen Leibe. „Er will mich erschlagen. Er ist jähzornig. Er ist auf neunzig!“ „Das lass mich nur machen“, antwortete der alte Bäcker, ging zur Tür, schob den Riegel zurück und rief dem schweren Mann zu: „Guten Morgen, Gaston! Am frühen Morgen regst du dich schon so auf? Das ist ungesund. So kannst du nicht lange leben. Komm herein, Gaston. Aber benimm dich. Lass den Jungen in Ruh! In meinem Laden wird kein Mensch umgebracht!“ Der Mann mit der Eisenstange trat ein. Seinen Sohn schaute er gar nicht an. Und er war viel zu erregt, um dem Bäcker antworten zu können. Er wischte sich mit der Hand über die feuchte Stirn und schloss die Augen. Da hörte er den Bäcker sagen: „Komm, Gaston, iss ein Stück Brot; das beruhigt. Und iss es zusammen mit deinem Sohn, das versöhnt. Ich will auch ein Stück Brot essen, um euch bei der Versöhnung zu helfen.“ Dabei gab er jedem ein Stück Weißbrot. Und Gaston nahm das Brot, auch sein Sohn nahm das Brot. Und als sie davon aßen, sahen sie einander an, und der alte Bäcker lächelte beiden zu. Als sie das Brot gegessen hatten, sagte Gaston: „Komm, Junge, wir müssen an die Arbeit.“
- Essen als Versöhnung und Beziehungshelfer?
Heilt gemeinsames Essen sogar Streit und Konflikte? Hier in der Brotgeschichte, ist es das Essen, das den Prozess des Streitens, des Zorns und der Wut unterbricht. Wir wissen gar nicht, was der Anlass war für den Zorn des Vaters. Aber in der wertvollen Zeit der Unterbrechung, bekommt der Vater die Chance, neben seinem aktuellen Streitanlass die ganze Beziehung zu sehen. Seinen Sohn. Und er kann spüren, dass das offensichtlich noch viel wichtiger ist. Wer weiß, ob er diese Erkenntnis ohne die geschenkte Zeit im Essen bekommen hätte?
Versöhnung und Vergebung braucht Zeit. Auch mir ging es einmal so. Ich habe mich mit meiner Schwester fürchterlich verworfen. Wochen, sogar mehrere Monate vergingen, ohne dass wir Kontakt hatten. Ich hatte diese Zeit gebraucht, um dann sagen zu können: Es geht mir nicht mehr darum, Recht zu haben. Es ist mir noch wichtiger, eine Schwester zu haben. Keiner hat Recht bekommen. Aber die Geschwisterbeziehung bekam eine gute, neue Chance.
- Wirkung des Brotes
Für die Besucher der Bäckerei, für uns, für die Jünger damals in Emmaus, war das Brot keine Zauberei. Aber eine echte Stärkung. Eine echte Erkenntnis, was jetzt richtig und wichtig ist. Für die Emmausjünger wurde Jesus wieder wahrhaftig lebendig, alle Zweifel waren weggefegt.
Jesus im Brot kann uns das noch heute schenken, heute im Osterbrot. Unsere Zweifel und Sorgen auf sich nehmen. Dafür schenkt er uns Mut und Zuversicht.
Ich hatte mit einem Märchen begonnen, und will damit enden. In Aschenputtel heißt zum Schluss „Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“. Was für ein Glück, wenn sich die richtigen Wege kreuzen und finden. Was Prinz und Aschenputtel dank des Schuhs finden, nämlich ihren Lebensweg, das können wir Christen im Brot finden, unser Leben mit Christus. Das Leben wird dadurch kein Lottogewinn, nicht einfacher, nicht beschützter als das eines Anderen. Aber das Leben ist getragen mit Zukunft. Und darum ist das Brot so wertvoll. Jedes Mal wieder dürfen wir Gottes Zusage spüren und schmecken. Du gehörst zu mir. Du bist nie allein. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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