Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis
9. Juli 2023 – Johanneskirche Erlangen
Jubiläumskonfirmation
4Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!
5Eure Güte lasst kundsein allen Menschen! Der Herr ist nahe!
6Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!
7Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Zu Beginn meiner Tätigkeit hier sagte jemand aus der Gemeinde: „Dies ist eine Karfreitagskirche!“ Eine treffende Beschreibung, denn wuchtig und dominant fängt die Kreuzesdarstellung unseren Blick ein. Damals war allerdings die Stirnwand – ebenso wie die Seitenwände auch– in strengem Weiß gehalten, die Säulen unbehandelt in hartem Beton.
Später besuchte uns der Direktor der landeskirchlichen Baubehörde und meinte, diese Kirche mache den Eindruck einer Skihütte. Warum? Weil die einst braun lackierte Holzdecke mit der Zeit nachgedunkelt war, drückend, vielleicht sogar bedrückend wirkte.
In der Gemeinde gab es jedoch Leute mit einer Fachkompetenz für Beleuchtungstechnik, die z.B. mit der Errichtung von Strahlern für Fußballstadien befasst waren oder auch mit der Lichtausstattung von Theatern. Sie besorgten für die Kirche geeignete Lampen und ließen sie mit eigens angefertigten kupfernen Zylindern umkleiden, wie wir sie jetzt noch sehen. Andere verlegten oben neue Stromleitungen und verbargen sie unter Kabelkanäle. Eine Elektrofirma überprüfte die Arbeit und gab ihr Plazet.
Und dann konnten wir eine Wandkünstlerin für die weiteren Arbeiten gewinnen. Ihren Namen findet man übrigens hinten in der Nähe des Mesnerplatzes. Sie ließ nach finnischem Vorbild als Erstes auf die Holzdecke eine weiße Lasur auftragen, die durch ihre Durchlässigkeit dem Kirchenraum schnell mehr Licht und Leichtigkeit verlieh.
In einem zweiten Schritt nahm sie der Stirnwand die Starrheit, und zwar, indem sie eine auflockernde Mörtelstruktur auftragen ließ und die Kreuzigungsgruppe durch zarte Konturenstreifen gleichsam in eine Landschaft versetzte. Waren es die Berge um Jerusalem herum oder sollte man an die Höhenzüge der Fränkischen Schweiz denken? Für alles kreierte diese Künstlerin einen besonderen Farbton - sie sprach von Farbpigmenten - , die sogar Künstlerkollegen aus der Umgebung anlockte. Den Auftrag der Farbe bewerkstelligte sie nicht mit Pinsel oder Farbrolle, sondern in einem kreisenden Vorgang per Bürste und Schwamm – fünfmal! Warum? „Damit unser Auge“, so sagte sie, „auf die Wand schauen, dort verweilen und still werden könne. Denn das menschliche Auge, selbst immer in Bewegung, könne nicht lange auf eine unbewegte Fläche schauen. Außerdem rücke die Kreuzesszene durch diese Farbgebung näher an den Betrachter heran.“
In unserem Predigtwort heißt es: Freuet euch in dem Herrn allewege – allewege, das ist eine sehr anspruchsvolle Aufforderung: zu allen Zeiten, in allen Situationen sich freuen? Und dann wiederholt der Apostel diesen Satz: Und abermals sage ich: Freuet euch! Er tut es deswegen, weil die einfache Aussage Freue dich! die ganz normale Grußformel bei einer Begegnung war. Ein wirklich schöner Gruß! Im Griechischen lautete er: χαίρε/χαίρετε (chaíre /Plural chaírete). Aber, so wunderbar dieser Gruß auch war, er war abgenutzt und verblasst wie unser Grüß Gott! Wer denkt noch daran, dass er bedeutet: Gott segne dich. Paulus wiederholt also die Aufforderung Freut euch!, weil er nicht den alltäglichen Gruß, sondern wirklich die Freude meint und so den Ursprungssinn zum Klingen bringt.
Aber, kann man Freude befehlen? Eigentlich nicht und dennoch ist der Rat goldwert. Denn unser Blick darf nicht nur auf das Allernächste beschränkt werden, auf Klima, Energie, Inflation, Krieg, auf unsere persönlichen Nöte. Das alles ist wichtig, aber ist es wirklich alles, alles, was das Leben ausmacht? Hier wird ein neues Ziel genannt: Freut euch am Herrn! Herr heißt im Griechischen Kyrios – in der Liturgie ist es vorhin angestimmt worden – und war der Titel des Kaisers im Römischen Reich. Die kleine christliche Gemeinde im ersten Jahrhundert ihrer Existenz wagt es, diese höchste Ehrenbezeichnung dem weltlichen Bereich zu entziehen und auf Christus zu übertragen. Genauso wie später die Kuppel einer Kirche mit einer Christusikone ausgemalt wird, dem Kaiserbildnis entliehen, weil die Gemeinde den Gottesdienst unter der Gegenwart Jesu Christi feiert. Er ist da, ist nah, er der Allherrscher, der Pantokrator.
Und zugleich ist der Titel Kyrios mit dem hl. Gottesnamen des Alten Testaments verschmolzen. Mose erfährt ihn vor dem brennenden und sich nicht verzehrenden Dornbusch: Ich bin, der ich bin, Ich werde sein, der ich sein werde. Ich bin jedenfalls der Bleibende und Ewige, der mit dir und deinem Volk mitgehende Gott.
Wie jedoch und warum kann man sich an ihm freuen? Ende Mai hatten wir ein australisches Arztehepaar zu Gast, mit dem wir von früher her befreundet sind, seit Neuguinea-Zeiten. Bei dem fiel uns immer auf, dass sie in einem gelösten, ja einem frohen Glaube lebten - unterschieden etwa von dem eher grüblerischen, hinterfragenden und vielleicht sogar skeptischen Glauben unter uns Deutschen. Als ich sie jetzt danach fragte, antwortete der Ehemann:“Haben wir nicht allen Grund zur Freude? Wir leben doch im Heil Jesu Christi, wir haben eine lichte, helle Hoffnung, die über dieses Leben weit hinausreicht, und wir bewegen uns in der Liebe, wir erfahren sie und dürfen sie weitergeben.“ In Englisch: salvation – hope - love.
Zurück zur Kreuzigungsgruppe. Das Kreuz Jesu selbst befindet sich in der Mitte, rechts und links das der sog. Schächer. „Diese Darstellung hat einen gravierenden Fehler“, so sagte jemand aus unserem Verwandtenkreis, ein Professor der Christlichen Archäologie aus Bonn. Ein altes Motiv christlicher Kunst sei hier verwendet worden, allerdings seitenverkehrt. Entweder sei das dem Künstler bei seinem Tun nicht bewusst gewesen oder beim Bronzeguss sei etwas schief gelaufen. Wie man leicht erkennen kann, ist der Abstand der beiden Seitenkreuze zu Jesu Kreuz ungleich. Das entspricht dem biblischen Bericht, dass nämlich der eine Schächer Jesus lästert indem er sagt: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Der andere hingegen bittet: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein (Lk 23, 39-43).
Der eine sucht also Jesu Nähe, der andere schmäht ihn. Diese Szene ist dann kunstgeschichtlich mit dem Gleichnis vom Endgericht verknüpft worden, wie es der Evangelist Matthäus schildert (Mt 25,31-46). Die Völker sind wie eine große Herde, die der Hirt am Ende der Tage aufteilt, die einen, die Schafe, die Guten, finden ihren Platz zur Rechten, die Böcke jedoch, die nicht dem Willen des Hirten gemäß gelebt haben, werden zur Linken beordert. Wer also zu Jesus gehört und seinen Lebensweg an seiner Seite gegangen ist, ist ihm nah und befindet sich unter einem wunderbaren Zukunftshorizont, der da lautet: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein. Vom anderen wird nichts mehr gesagt. Wenn jemand neu zum Glauben findet - auch heute – könnte er vielleicht seine Freude in den Satz fassen, wie ich ihn auf einer Geburtsanzeige fand: „Du füllst eine Lücke aus, von der wir vorher nicht wussten.“
Freude strahlt aus – wie jedes Licht. Licht geizt nicht mit seinen Strahlen. So werden hier von Paulus drei Lichtbereiche genannt.
Zunächst: Eure Güte lasst kundsein allen Menschen, also den guten wie sogar auch den bösen Menschen (Mt 5,45), denn Freude ist freundlich. Frühere Bibelausgaben wählten für diese Haltung das Wort Lindigkeit. Das war eine Spur weicher, ging aber in die gleiche Richtung, nämlich, dass einem z.B. die Zeit nicht leid tut, die man einem anderen Menschen widmet, oder dass man jemandem zuvor kommt, bevor er um Zuneigung betteln muss, oder dass man bereit ist, die Extrameile zu gehen.
Zum zweiten Lichtbereich gehört: Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten vor Gott kundwerden. Was für eine Einladung! Wir dürfen unsere Lebenslast und unsere Kümmernisse abladen – und das mit gutem Gewissen. Das neutestamentliche Wort Sorge bedeutet wörtlich Zerrissenheit. Wir dürfen also unser vielfach zerrissenes Herz und unsere auseinanderstrebenden Gedanken in die heilenden Hände Jesu legen, ihn zum Mitwisser unserer Mühen machen.
Und schließlich: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Als wir vor vier Wochen aufgrund einer Einladung schon einmal hier in Erlangen waren, suchten wir gegen Abend den Dechsendorfer Weiher zum Picknick auf. Dort waren jedoch unglaublich viele Menschen beisammen, Familien, Gruppen, Clans. Alle hatten ihre Zuflucht zu den hohen Bäumen genommen, befanden sich in deren Schatten, niemand hielt sich in der gleißenden Sonne aus.
Das war mir wie ein Gleichnis für den Frieden Gottes. Bei ihm finden wir den Schonraum, in dem wir selbst, unser Sein, unser Herz, unser Denken und Empfinden Ruhe finden darf. Dieser Friede ist höher als alles andere, ein Sphäre, wo ich entspannen, ausruhen, ja mich Gottes freuen darf.
Dieser Friede bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.
Hermann Lutschewitz, Pfr. i.R.
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