Predigt
Pfarrerin Ulla Knauer
10. Sonntag nach Trinitatis („Israel-Sonntag“)
Predigt zu 2. Buch Mose 19, 1-8
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Im Predigttext, den ich gleich verlesen werde, da werden Sie die Worte hören: „Ich habe Euch auf Adlerflügeln getragen“.
Adlerflügel. Welch faszinierendes Bild. Dieses majestätische Tier. König der Lüfte. So oft verwenden Menschen ihn als Wappentier, gerade weil er so fasziniert. Ein erfolgreicher Jäger. Scharfe Augen, die Kleinigkeiten blitzschnell erkennen, kräftige Krallen, schlau und gleichzeitig fürsorgliche Eltern.
Auf Adlerflügeln getragen werden. Was heißt das? Man kann es sich kaum vorstellen. Mir kommt höchstens Nils Holgersson in den Sinn, der in der Geschichte auf Gänsen mitfliegen darf. Zwar sind es dort nur Gänse, aber sein Gefühl ist wohl entscheidend: Er fühlt sich frei und umsorgt.
Wer fühlt sich frei und umsorgt? Vielleicht spielende Kinder im Garten? Eher gar nicht kämen mir Notleidende in den Sinn oder Flüchtlinge, die über das Mittelmeer, durch Wüsten, über Grenzen wandern, Gewalt und Hunger erleben. Doch um Flüchtlinge geht es heute. Jedoch um welche vor langer Zeit. Um Israel, das aus Ägypten geflohen war. Und damit sind wir beim Predigttext. Israel floh aus Ägypten, wanderte und kam am Sinai an. Ein entscheidender Ort für Israel. Hören wir auf den Predigttext im 2. Buch Mose 18, und überlegen danach, wie der Text auch zu uns als Christen spricht.
Predigttext: 2. Mose 19, 1-8
Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. 2 Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai, und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge. 3 Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: 4 Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. 5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. 6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst. 7 Mose kam und berief die Ältesten des Volks und legte ihnen alle diese Worte vor, die ihm der HERR geboten hatte. 8 Und alles Volk antwortete einmütig und sprach: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun. Und Mose sagte die Worte des Volks dem HERRN wieder.
Auch den meisten Christen ist diese Überlieferung geläufig. Der Auszug aus Ägypten, die eindrucksvollen Plagen, der sture Pharao, das Wunder am Schilfmeer.
Sinai. Der Moment, in dem ein Bund geschlossen wird. Der Bund zwischen Gott, und den von ihm ausgewählten Menschen. Schauen wir genauer hin: Was geschieht beim Bundesschluss, und welche Botschaft hat der Sinai auch für uns Christen?
Mose so ähnlich wie ein Notar. Er ist Zeuge auf beiden Seiten. Nur er darf in die Nähe Gottes und das Angebot hören. Er bekommt den Auftrag das Angebot den Israeliten zu unterbreiten. Die wiederum wählen Stellvertreter, die Ältesten, die für sie sprechen sollen.
Was ist das für ein Angebot, für ein Vertrag? … Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. 5 Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. 6 Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.
Das Bundesangebot besteht aus 3 Teilen:
- Referenzen des Anbieters: Gott sagt hier: Ihr kennt mich. Ihr am besten. Jeder und jede von euch hat mich erlebt auf der Wanderung. Ihr wisst, ich bin echt. Keine Märchenfigur. Die Rettung aus Ägypten und die Versorgung bis zu jenem Tag seien Fakt.
- Inhalt des Vertrags:
Das Angebot:
Gott bietet sich als ihr Herrscher, König und Besitzer an.
Und bietet ihnen dafür eine besondere Rolle im Gegensatz zu den anderen Völkern der Erde. Eine neue Identität: wie ein Pass. Eine Eintrittskarte in Gottes Königreich, mit heiligen Elementen, an denen sie teilhaben werden.
Die Forderung: Ihn als alleinigen König anerkennen, nach seinen Regeln zu leben, auf ihn zu hören.
- Die Schlussfrage: Werdet ihr gehorchen? Werdet ihr den Bund halten?
Der Notar Mose überbringt den Inhalt des Sinaibundes. Und auch hier interessant, wie die Antwort verläuft.
Zuerst läuft Mose zu den versammelten Stellvertretern, den Ältesten. Was er ihnen erzählt, muss so viele Neugierige angelockt haben, dass die Antwort, nicht nur von den Ältesten kommt. Zwischen Vers 7 und Vers 8 passiert etwas Interessantes. Die Ältesten, die vorher exklusiv genannt wurden, kommen nicht mehr. Jetzt tritt das ganze Volk auf, und will gemeinsam antworten. Da steckt eine ungeheure Kraft dahinter. Das ganze Volk fühlt sich angesprochen, und will diese existentielle Frage nicht von Stellvertretern entscheiden lassen. Jeder soll Ja oder Nein sagen dürfen.
Und dann das Finale: Alle, Frauen, Männer, Alte und Jung mit ihren Familien. Alle sagen Ja. Treten dem Bund bei.
Und hier finden auch wir Christen uns wieder. In der Entscheidung des Ja, oder Nein zu Gott, als den wahren König der Welt. Jesus hat für uns die Grenzen des Volkes Gottes aufgemacht. Jeder Mensch hat nun die Möglichkeit der Einbürgerung in jenes Reich Gottes. Wir nennen das Taufe. Aber auch jede Taufe braucht ihr eigenes Ja. Darum feiern christliche Jugendliche die Konfirmation, oder Firmung, oder die BarMizwa, wie die Juden ihre Aufnahme feiern.
Jeder und jede hat das Recht, ja oder nein zu sagen. Umso schöner, wenn es ein Ja ist. Denn dann wir nicht nur Gott bestätigt, sondern der oder die Gläubige sich in die Zeugen einreiht. Ja, auch ich habe es erlebt. Habe erlebt, dass Gott ist, wie einer, der mich auf Adlerflügeln trägt.
Da sind sie wieder die Adlerflügel. Ich glaube, wir alle brauchen diese Erlebnisse, an die wir uns erinnern können. Momente, in denen wir getragen wurden.
Zum Beispiel das Paar, das nach vielen Jahren, endlich ein Kind erwartet.
Zum Beispiel die Patientin, die nach langem Warten, ein neues Medikament bekommen darf.
Zum Beispiel ein echter Freundeskreis, der jeden annimmt wie er/sie ist und den im Bunde mit seinen Sprachproblemen nie auslachen.
Zum Beispiel Eltern, die bei einem schlechten Zeugnis mit uns Eis essen gegangen sind, anstatt zu schimpfen.
Wohl behütet sein, sich wohl fühlen. Diese Adlerflügel-Erlebnisse der Geborgenheit brauchen wir, um frei zu leben.
Und nur mit dieser Gewissheit und dem starken Hintergrund lässt sich hinschauen auf die unschönen Seiten der Welt, lässt sich nicht ignorieren der Hass und die Gewalt, die Demütigungen und Quälereien, die wir nicht verleugnen können.
Christus hat uns hineingebracht in das Volk Gottes. Die jüdische Glaubensgemeinschaft bleibt unsere Wurzel und unsere Verwandtschaft. Und umso genauer sind wir aufgefordert mitzuwirken, wenn hasserfüllte Kräfte den jüdischen Freunden schaden wollen oder bereits geschadet haben. Wenn jüdische Freunde in Erlangen ein Haus suchen, sich zu fragen, ob und wie ich hier helfen kann. Nicht nur finanziell, auch im Gebet und mit meinem Interesse.
Das erste Volk Gottes war gemeinsam Zeuge der Taten Gottes und sagte Ja.
Millionen von Menschen danach sagten ihr Ja, im Glaubensbekenntnis. Ob jüdisch oder christlich. Sie gaben und geben ihr ja. Im Gottesdienst, in Firmung und Konfirmation, in der Taufe durch Eltern, Paten oder den erwachsenen Täufling selbst. Auch wir, jeder von uns ist Zeuge. Jeder hat seinen eigenen Bundesschluss mit Gott. Jeder und jede hat einmal selbst gesagt. Ja, du bist mein König. Ich will auf deine Gebote hören. Ich will in diesem Volk leben.
Ich finde, es ist ein Riesen-Geschenk Gottes an uns, dass er uns frei entscheiden lässt. Dass er uns fragt. Hast du mich erlebt? Willst du mein Zeuge sein?
Denn – auch das steht im Predigttext – wo er sagt .“Die ganze Erde ist mein“ –
Er wäre sowieso der Herrscher über alles. Er bräuchte nicht fragen. Aber er tut es. Er schenkt uns die Entscheidung und damit einen aktiven Weg zu ihm. Er schenkt und eine Beziehung. Vertrauen.
Und wozu das alles? Nach was sehnen sich Flüchtlinge: Freiheit und Frieden. Die Ursehnsucht und das Urbedürfnis zum Leben und zur Entfaltung. Freiheit und Frieden. Auf jedem Schlauchboot, an jedem Grenzzaun erklingt dieser stumme Schrei nach Freiheit und Frieden. Viele wünschen eine Staatsbürgerschaft. Keine Duldung auf Zeit.
Gott schottet nicht ab. Gott drängt nicht zurück. Er bietet seine Staatbürgerschaft, allen, die bereit sind, auf ihn zu hören.
Dann wird Frieden sein. So seine Verheißung.
Lasst uns darum die gemeinsame Sehnsucht besingen, nach Frieden. Hevenu Shalom alechem. Oder auf Deutsch Wir wünschen Frieden euch allen.
Wir singen das Lied erst hebräisch, dann deutsch und zuletzt nochmal hebräisch.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
- 29 Aufrufe