Predigt
Pfarrerin Ulla Knauer
11. Sonntag nach Trinitatis (15.08.2021)
Predigt zu Epheser 2, 4-10
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Einstieg – der Geschenketisch
Liebe Gemeinde!
Jede Familie hat ja so ihre eigenen Weihnachts- und Geburtstagtraditionen. Als ich Kind war, gehörte es bei meiner Familie dazu, dass ein Geschenke-Tischchen im Esszimmer aufgebaut wurde zu den Geburtstagen. Der kleine Tisch stand nur an diesen Tagen im Raum. Und er durfte ein paar Tage stehen bleiben. Genauso Weihnachten: Die Geschenke unterm Baum wurden nicht gleich verräumt, sondern waren die Ferientage über sichtbar. Dass das nicht überall so ist, merkte ich als ich meinen Freund kennen lernte und mit meiner Schwieger-Familie Geburtstage und Weihnachten feierte. Spätestens am Tag danach war wieder aufgeräumt. Wenn die Geschenke nicht sofort verräumt werden, bleiben sie noch ein wenig präsent. Ich wurde mehrmals täglich mit dem Blick auf diese Tischchen erinnert, wer da an mich gedacht hatte und wer mir wie eine Freude machen wollte. Es war eine Übung, Dankbarkeit zu empfinden und auch zu leben. Eine Erinnerung, nochmal anzurufen bei der Oma, Tante oder Onkel.
Thema: Hinführung zum Predigttext, der ebenfalls ein „Geschenk“ behandelt
Warum rede ich über Geschenke? Der Predigttext heut entführt uns in das späte erste Jahrhundert, in die jungen christlichen Gemeinden der römischen Provinz Kleinasien. Heutige Türkei. Die Gemeinden stehen vor Herausforderungen. Wir befinden uns ungefähr 90 n. Chr. Jesus selbst konnte nicht mehr direkt gefragt werden. Seine ersten Zeugen, die Apostel waren inzwischen verstorben. Auch Paulus, der in dieser Gegend so aktiv war, war nicht mehr da. Und: Die Welt war noch nicht, wie zuvor erwartet, untergegangen. Das Ende der Welt zog sich heraus, so dass mehr und mehr eine dauerhafte Organisation für die jungen Gemeinden notwendig wurde. Erste Ämter etablierten sich, Namen entstanden wie „Lehrer, Diakone, Propheten, Evangelisten (d.h. Prediger der neuen Botschaft), Hirten“. Und noch immer waren sie eine Randbewegung inmitten römischer, griechischer, ägyptischer Kulte. Bis Kaiser Konstantin sind es noch 200 Jahre.
Man könnte jene Zeit „Paulus 2.0“ nennen. Bei Paulus 1.0 hatten die Gemeinden die Möglichkeit, bei Fragen sich direkt per Brief an ihren Gründer zu wenden, oder an einen seiner Mitarbeiter. Jetzt ist die 2. Generation am Werk, ohne Zeitzeugen Jesu. Die ersten Theologen der 2. Generation sind gefordert ein Gemeindewesen auf die Beine zu stellen, den Glauben zu erklären, Texte aus der Überlieferung zu sammeln – das Neue Testament war gerade am Entstehen und sich Verbreiten, und ein Regelwerk für die Gemeinden zu erarbeiten, so dass es nicht zu Spaltungen kommt.
Dieses Anliegen, hat auch der Epheserbrief. Die Forscher sind sich weitgehend einig, dass er nach dem Leben des Paulus entstanden ist. Die Verkündigung des Paulus wird weitergepflegt und den neuen Herausforderungen angepasst. Der Epheserbrief hat 6 Kapitel. Während sich die 2. Hälfte mit dem konkreten Verhalten und Aufgaben eines Christen in Gemeinde und Familie beschäftigt, Listen an Verhaltensregeln enthält, befasst sich die 1. Hälfte mit der Identität der Christen und der Erinnerung, warum sie Christen sein dürfen. Welch ein Geschenk es ist, dass alle, Juden wie Nichtjuden zum Glauben eingeladen sind, und Teil Gottes Volkes sein können.
Hören wir auf die Worte des Predigttextes im Brief an die Epheser, im 2. Kapitel, Verse 4-10:
Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit,
hat in seiner großen Liebe,
mit der er uns geliebt hat,
5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden,
mit Christus lebendig gemacht
– aus Gnade seid ihr gerettet –;
6 und er hat uns mit auferweckt
und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus,
7 damit er in den kommenden Zeiten
erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade
durch seine Güte gegen uns
in Christus Jesus.
8 Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben,
und das nicht aus euch:
Gottes Gabe ist es,
9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.
10 Denn wir sind sein Werk,
geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken,
die Gott zuvor bereitet hat,
dass wir darin wandeln sollen.
Ein Lied: Warum, Wie und Wozu bin ich gerettet?
Lieber Gemeinde! Die Sprache dieses Textes liest und hört sich recht schwer. Schaut man sich die Verse und Wörter an, kann man daraus so etwas Ähnliches wie ein Lied mit 3 Strophen bauen, die durch einen Kehrvers unterbrochen werden, der wie eine Überschrift erklingt: „Aus Gnade seid ihr gerettet“.
Dieser Kehrvers wird in 3 Teilen zu 3 W-Fragen erklärt: 1. Warum seid ihr gerettet?, 2. Wie wurdet ihr gerettet?, 3. Wozu wurdet ihr gerettet?
Gehen wir an den 3 Abschnitten entlang, und versuchen den Text in unsere Sprachwelt zu übertragen.
- Teil 1: Warum sind wir gerettet?
Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht
Warum sind Christen gerettet? Gott allein hat sich dazu entschlossen, aus Barmherzigkeit, die unermesslich groß ist. Allein aus seiner Liebe für die Menschen. Dem Verfasser ist klar, dass Gott das ja nicht hätte tun müssen. Er hätte sich dagegen entscheiden können. Angesichts der Gewalt, der Dummheit, der Schrecken, die Menschen damals wie heute verüben, hätte er sich nicht einlassen müssen auf die gesamte Menschheit. Die Christen damals in den römischen Kolonien kannten die Göttergeschichten ihrer Nachbarn, der Römer und Griechen, die von distanzierten Göttern berichteten, mächtig, gewaltig, aber weit entfernt. Gott in Christus plötzlich anders. Da entscheidet ein Gott, den Menschen ein Geschenk zu machen. Er lässt sie Anteil haben an seinem Reich, an seinem ihm vorbehaltenen Platz im Himmel. Eine Sensation. Gott teilt seinen Reichtum mit den Menschen, mit allen Menschen.
- Teil 2: Wie geschah die Rettung?
und Gott hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.
Die Rettung geschah in und mit Christus. Weil Jesus auferweckt wurde, werden alle, die zu ihm gehören, mit auferweckt. Das war die Kernbotschaft der frühen Christen. Tod und Auferstehung Jesu, betrifft mich unmittelbar. Wenn ich durch die Taufe, Teil Christi bin, fange ich ein neues Leben an. Bin ich neu geboren. Und gerettet.
Für den Verfasser war das so deutlich, dass er schreibt „mit eingesetzt im Himmel“. Wer Christ ist, hat quasi bereits die Platzkarte im Himmelreich erhalten.
Auch das wieder für die damaligen Hörer sinnbildlich. Die Kulte um sie herum sehnten sich nach einer Landkarte für das Jenseits. Bei Isis-Priestern konnte man sich gegen viel Geld so eine Karte kaufen, wo die angeblichen Wege verzeichnet waren, und Lösungsworte für Rätsel beschrieben. Aus Ägypten kam damals der Gedanke, dass man Aufgaben auf dem Weg ins Jenseits bewältigen müsse.
Beim Christentum fällt dieser gefährliche Weg ins Jenseits weg. Der gesicherte Platz schon mit der Taufe. Wieder eine Sensation und ein Riesen Geschenk. Kostenlos. Von Gott geschenkt.
Kommen wir zu
- Wozu werden wir gerettet?
Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen. (Und jetzt kann man noch V. 7 hinzufügen) damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade
Also Wozu das Ganze? Wo führt das hin? Das war ja die brennende Frage der Gemeinden. Wie sollen wir weitermachen in der nächsten Generation ohne die Zeugen vom Anfang.
Der Theologe hier ist der Meinung.
- Bitte nicht angeben. Es ist nicht unser Verdienst, es bleibt ein Geschenk.
Womit wir beim Thema: Wie verhalte ich mich wären, wie in der Lesung heute. Nicht die Taten des Pharisäers waren falsch, sondern das Angeben, Auflisten und Sich-rühmen wurde kritisiert.
- Wir sollen Gutes tun.
Was und wie können wir gut leben? Damit beschäftigen sich dann auch die nächsten Kapitel des Briefes. Prinzipiell steht es hier, Christen soll man am Handeln erkennen. Sie tun Gutes.
- Wir wandeln in Gottes Vorbereitungen, auch für kommenden Zeiten.
Was wir tun, auch das Gute, kommt nicht von uns allein. Gott legt die Grundlage und hilft uns. Auch hier wieder die Warnung vor Überheblichkeit. Außerdem soll man vorausschauend für die Zukunft arbeiten. Schon jetzt schwant den Theologen, 70 Jahre nach dem Leben Jesu, dass das mit dem Ende der Welt noch dauern könnte. Die Gemeinden sollen Gutes nach außen tun, und sich um die Kirchenorganisation bemühen, um die Frage, wie die Kinder und Kindeskinder in den Glauben wachsen. Um die Frage, welche Ämter und Aufgaben es gibt. Um die Frage, welche Regeln gelten.
„Warum und wir sind wir Kirche?“ – betrifft uns auch heute!
Und wir? Warum soll es uns helfen 2021 diesen Text zu lesen, außer aus historischem Interesse.
Ich glaube, der Text geht uns in der Tat etwas an, nicht nur weil sich ein Kapitel weiter die Theologen und Feministen den Kopf darüber zerbrechen, wie man die strengen Haustafeln und die Order: die Frau ordne sich dem Mann in allem unter, - auch das steht in diesem Brief – verstehen soll.
Die Fragen, wie soll Kirche arbeiten und was ist die dringendste Aufgabe stellt sich in jedem Kirchenparlament, in jeder Dienstbesprechung, in jeder Kirchenvorstandssitzung. Und als Erbe aus dieser alten Zeit, ist es eigentlich schön, dass fast immer, ein kirchliches Gremium zunächst mit einer kurzen Andacht oder Besinnung oder Gebet beginnt. Einer Erinnerung: wer sind wir und warum sind wir hier? Und danach erst wird diskutiert über Pläne, Personalia, Anschaffungen, Termine, und und und .
Zuletzt: Und wenn man gerade nicht Mitglied im Kirchenvorstand ist oder einen kirchlichen Beruf hat, was geht mich der Text dann an?
Individuelle Erinnerungsstütze tut gut
Ich komme nochmal zum Geschenk zurück. Das betont der Text ja. Ein riesengroßes Geschenk ist diese Gnade, dieser Entschluss Gottes, sich selbst in Christus zu schenken. Wenn Geschenketag war, hat meine Familie die Geschenke ein paar Tage stehen gelassen. Zur Erinnerung, Zur Dankbarkeit, alt gesprochen ein bisschen Demut lernen. Was könnte mir und Ihnen helfen, Tag für Tag erinnert zu werden? Wir sind nicht unbedingt wie Mönche, die zu festen Gebetszeiten ihren Alltag unterbrechen. Aber vielleicht gibt es da ein Bild im Haus, ein Posted an der Kühlschranktür, die Losung des Tages oder das Gebet am Abend. Martin Luther hatte sich den kurzen Satz „Ich bin getauft“ in den Schreibtisch geritzt als Denkstütze. Vor Augen, unübersehbar. Wie ein Geschenk. Vielleicht verraten auch Sie mir Ihre Erinnerungsstütze an Gottes Gnade. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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