Predigt vom 9. Juni 2024 (100. Geburtstag Dr. Eva Gröschel)

Predigt am 2. Sonntag nach Trinitatis, 9. Juni 2024, 100. Geburtstag Eva Gröschel, Psalm 27

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

In der Stille bitten wir um den Segen des Wortes. Gott, gib mir ein Wort für mein Herz und ein Herz für dein Wort. Amen. 

 

Unser Predigttext ist der Psalm 27, ich lese in Auszügen:

Der Herr ist mein Licht und mein Heil;

vor wem sollte ich mich fürchten?

Der Herr ist meines Lebens Kraft;

vor wem sollte mir grauen?

2Wenn die Übeltäter an mich wollen,

mich zu verschlingen,

meine Widersacher und Feinde,

müssen sie selber straucheln und fallen.

3Wenn sich auch ein Heer wider mich lagert,

so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht;

wenn sich Krieg wider mich erhebt,

so verlasse ich mich auf ihn.

4Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne:

dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang,

zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn

und seinen Tempel zu betrachten.

5Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, /

er birgt mich im Schutz seines Zeltes

und erhöht mich auf einen Felsen.

6Und nun erhebt sich mein Haupt

über meine Feinde, die um mich sind;

so will ich opfern in seinem Zelt mit Jubel,

ich will singen und Lob sagen dem Herrn.

Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe;

sei mir gnädig und antworte mir!

8Mein Herz hält dir vor dein Wort: /

»Ihr sollt mein Antlitz suchen.«

Darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz.

9Verbirg dein Antlitz nicht vor mir,

verstoße nicht im Zorn deinen Knecht!

Denn du bist meine Hilfe; verlass mich nicht

und tu die Hand nicht von mir ab, du Gott meines Heils!

10Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich,

aber der Herr nimmt mich auf.

11Herr, weise mir deinen Weg

und leite mich auf ebener Bahn um meiner Feinde willen.

12Gib mich nicht preis dem Willen meiner Feinde!

Denn es stehen falsche Zeugen wider mich auf und tun mir Unrecht.

13Ich glaube aber doch, dass ich

sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen.

14Harre des Herrn!

Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!

Liebe Gemeinde!

Schöne Gottesdienste – 
Was für schöne Gottesdienste haben Sie erlebt? An welche Gottesdienste denken Sie gerne zurück?

Denken Sie an Ihren Konfirmationsgottesdienst? Oder an Kindergottesdienste, die Sie mit Freuden besucht haben? Ist es ein Weihnachtsgottesdienst mit Krippe, Weihnachtsbaum und vielen Kerzen? Oder eine Osternacht, die im Dunkeln begann und ins Helle geführt hat? Denken Sie an eine Hochzeit voller Freude oder an eine Taufe? Oder vielleicht sogar an einen Beerdigungsgottesdienst mit Würde und Trost? Ich merke, dass ich gar keinen einzelnen Gottesdienst vor meine inneren Augen bekomme, sondern an die Sonntage denke, mittlerweile viele, viele Sonntage in meinem Leben, an denen ich in der Kirche war. Und irgendetwas war immer schön. Über irgendwas konnte ich auch immer nörgeln, ich bin ja schließlich vom Fach. Aber irgendetwas war immer schön. Und über alles gesehen, haben mich die Gottesdienste in meinem Leben ermutigt und gestärkt und ich bin dankbar, dass es sie gab und gibt. 

Trotzdem wäre mit die Bitte des Palms nie eingefallen. „Eines bitte ich vom Herrn“ – ach, ja, wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann – Es ist ja ein verbreitetes Märchenmotiv, da gibt die gute Fee drei Wünsche frei. Der Mann kommt heim, erzählt seiner Frau freudestrahlend von den drei freien Wünschen. Die Frau deckt gerade den Tisch, trägt das Essen auf, Kartoffeln mit Kraut und sagt gedankenlos: „Ach, wenn wir doch auch Würste hätten zum Kraut!“ – Und – schwupp – Glitzer und Sternenstaub: Die Würste liegen in der Schüssel. Der Mann ärgert sich. „Ach, Du Dumme, so verschwendest Du die Wünsche! Wären Dir doch die Würste an die Nase gewachsen!“ Und – schwupp – Glitzer und Sternenstaub: Die Würste hängen der Frau an der Nase. Und dann bleibt den beiden nichts anderes übrig, als den dritten Wunsch dafür zu verwenden, dass die Würste wieder in die Schüssel kommen… Als Kind hatte ich mir fest vorgenommen, bei einer solchen Gelegenheit gleich als ersten Wunsch zu sagen: „Ich wünsche mir, dass ich unendlich viele Wünsche frei habe!“ Die Bitte des Psalms jedoch wäre mir nie eingefallen:

4Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne:

dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang,

zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn

Ach ja, das ist eine Bitte! Was für ein sinnvoller Wunsch! Da bleiben zu können, wo es Zuspruch, ja Zuflucht gibt. Ein Leben lang. 
Es wird noch ein bisschen komplizierter:

Diese Übersetzung Luthers ist ein Beispiel für ein konstruktives Missverständnis. Das Wort „Gottesdienste“ steht nicht da.

Da steht nur „Freundlichkeit“ (oder Lieblichkeit oder Mildigkeit oder Schönheit, alles gute Möglichkeiten das hebräische Wort נֹֽעַם zu übersetzen). Nix von Gottesdiensten. Es geht erstmal nur um den Ort, das Haus, den Tempel, die Hütte, das Zelt. 

(Hier wird ein Vers aus dem Psalm zuvor aufgenommen, den wir heute schon gehört haben und der auch ein Lieblingswort ist von unserem Geburtstagskind: „HERR, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt.“)

Ja, genau, was ist denn das Besondere an diesem Ort? Da wohnt Gottes Schönheit und Freundlichkeit, da gibt es Zuflucht und – Zuspruch. Da gibt es das Antlitz Gottes. Da gibt es eben: Gottesdienste. 

Ein konstruktives Missverständnis: Da, wo Gottes Ehre und Schönheit wohnt, da wo wir Zuflucht und Zuspruch finden, da werden Gottesdienste gefeiert.

Das Antlitz Gottes – das kommt ja auch im Gottesdienst vor. Im Segen. „Gott lasse leuchten sein Angesicht über dir – Gott erhebe sein Angesicht auf dich“ – Leuchtend, voll Freundlichkeit für dich – so begleite dich Gott auf allen deinen Wegen…

Zuflucht gibt es im Hause des Herrn – Zuflucht auch vor den Feinden. Sie kommen einigermaßen ausführlich vor in unserem Psalm. Und ich habe überlegt, diese Verse heute wegzulassen. Es ist ja immer ein bisschen schwierig, Menschen als Feinde zu klassifizieren, das haben wir von der Friedensbewegung gelernt. Wenn ich von einem Menschen negativ denke und spreche, dann folgt das negative Tun auf dem Fuß. Einerseits. Andererseits: Manchmal ist es eben auch so, dass es Feinde gibt. Und das auch hilft, wenn man da Klarheit hat. Die Eva Gröschel hat mir sehr eindrücklich erzählt, wie es war in der Nazizeit, als sie in der Lorenzkirche saßen und sagen „Kommt, des Königs Aufgebot…“ – ziemlich kämpferisch – aber außenrum sind eben die SA-Horden mit ihrem Gebrüll gezogen. 

Auch der Psalm hier könnte ein Gebet einer Witwe sein. Die als Frau ohne Mann rechtlos war in den damaligen Zeiten. Und wenn der Großgrundbesitzer nebenan meinte, ihr kleines Häuschen haben zu wollen, dann hatte sie kaum Möglichkeiten, sich zu wehren. Im Tempel aber konnte sie Zuflucht nehmen. Laut beten. Ihr Unglück schildern – Gott und den Menschen. Und, wer weiß, vielleicht fand sich einer, der ihr zur Seite stand, ein Priester vielleicht, ein Levit, der da gerade Dienst tat oder einer der Propheten. 

Und schließlich können wir in diesem poetischen Text in den Feinden auch Kräfte in uns entdecken, die uns zum Schlechten bewegen wollen und wo wir um Gottes Hilfe dagegen bitten. 

Ja, das sind Gottesdienste, die schön sind und stärken: Wo wir Zuflucht finden und Zuspruch und Hilfe für innen und für außen.

4Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne:

dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang,

zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn

Diese Bitte geht über das irdische Leben hinaus – die Freundlichkeit Gottes, die wollen wir in Ewigkeit schauen. Der letzte Vers nimmt das wunderbar auf: „Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen.“ 

4Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne:

dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang,

zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn

Ja, die schönen Gottesdienste. Da möchte ich bleiben.
Weihnachten 1991 waren wir mit unserer Tochter im Gottesdienst. Sie war gerade noch kein Jahr alt. Sie konnte schon ein bisschen sprechen, aber sie war ein ruhiges, aufmerksames Kind, wir hatten keine Sorge, sie dabeizuhaben. Der Gottesdienst war in der Kosbacher Kapelle, vollgestopft war die. Die Predigt hielt mein verehrter Professor Mildenberger, der Chor sang, der Posaunenchor spielte und die Orgel brauste. Am Ende musizierten ganz feierlich alle zusammen mit der Gemeinde „o du fröhliche“.

Als es aus war, gab es einen intensiven Moment gemeinsamen Schweigens.

Und da hinein sagte unsere Tochter für alle gut hörbar:

„Nomal“

(Nochmal)

Wir brauchen sie, die schönen Gottesdienste. Nochmal und nochmal.

4Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne:

dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang,

zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp

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