Predigt: Die Vögel der Bergpredigt
Johanneskirche, 09.08.2020, 9.30 Uhr
Predigt: Mt 6,25-34
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Zwei Menschheitsträume
Mit den Vögeln sind zwei große Menschheitsträume verbunden:
- Der Traum vom Fliegen. So alt die Überlieferungen auch sind und soweit das kulturelle Gedächtnis zurückreicht, der Traum wie die Vögel frei und schwerelos durch die Luft zu fliegen, war immer schon da. Beispiel: Der Mythos von Ikarus. Mit Wachs und Federn machte er sich Flügel und schwang sich in die Lüfte. Aber leider kam er der Sonne zu nahe, so dass das Wachs schmolz und Flügel sich in ihre Einzelteile auflösten. So endete dieser erste Flugversuch tragisch.
- Der Traum vom sorgenfreien Leben. Er lebt in direkter Nachbarschaft zum Traum vom Fliegen und ist wie dieser uralt. Beispiel: Das Märchen vom Schlaraffenland. In den Flüssen des Schlaraffenlandes fließt Milch, Honig und Wein. Die Häuser sind aus Kuchen und die Vögel fliegen gegrillt durch die Gegend und schnurstracks in den Mund, wenn man Lust auf sie hat.
Der Traum vom sorgenfreien Leben klingt auch in dem Abschnitt aus der Bergpredigt an, den wir gleich hören.
Text
25Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? 27Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
28Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. 30Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. 33Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
Einordnung in die Jesusbewegung
Schön so ein Traum vom sorgenfreien Leben, nicht wahr. Gleichzeitig ist das aber auch einer der am heftigsten kritisierten Texte des Neuen Testaments. 2 Beispiele:
- Einer sagt: Jeder tote Spatz widerlegt Jesus an dieser Stelle, denn da er gestorben ist, hat der himmlische Vater offenbar nicht für ich gesorgt.
- Ein anderer sagt: An dieser Stelle erkennt man , dass das Christentum ökonomisch völlig ahnungslos ist. Planmäßiges und vorausschauendes Wirtschaften macht das Leben besser, ist eine wesentliche Lebensgrundlage und daher nicht nur typisch menschlich sondern auch wertvoll, da es uns wohltuend von den Tieren unterscheidet, die nach ihren Instinkten in den Tag hineinleben.
Man muss hier ein bisschen Archäologe sein: In welcher Zeit, welcher Umgebung und welchem Leben hat die Geschichte von den Vögeln unter dem Himmel eigentlich ihren Ursprung?
Die neutestamentlichen Fachgelehrten sind sich weitgehend einig: Die Geschichte gehört in die Zeit der Jesusbewegung: Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch. Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. So ist Jesus mit den Seinen durch Galiläa und Judäa und die benachbarten Gebiete gezogen. Damals war das kein Idealbild, kein großer Menschheitstraum, sondern schlicht eine Beschreibung, wie Jesus und die Seinen gelebt haben.
Ich erinnere an die Berufung der ersten Jünger, Fischer von Beruf. Jesus spricht sie an: Kommt und folgt mir nach! Und sie ließen alles stehen und liegen und zogen mit ihm durch das Land - um des Himmelreiches willen. Vielleicht kam schon ganz am Anfang die Frage auf: Und von was sollen wir eigentliche leben? Vielleicht kam sie auch erst später auf, als dieses Leben sich Woche für Woche fortsetzte. Niemand weiß das so genau. Jesus scheint auf solche Fragen geantwortet zu haben: Ja, wir leben wie die Vögel, wir säen nicht, ernten nicht, füllen keine Scheunen. Trotzdem haben die Vögel ihr Auskommen, dank unseres himmlischen Vaters. Er wird erst recht für uns sorgen
Vögel sind also kein Vorbild, sondern ein Zeichen der Fürsorge des Schöpfers, des himmlischen Vaters.
Zeit der Kirche hat Zeit der Jesusbewegung abgelöst
Zeit der Jesusbewegung ist in doppeltem Sinn vorbei:
- Geschichtlich: Jesus lebt kein irdisches Leben mehr wie wir es kennen; auch seine Jünger sind längst gestorben; die Zeiten, in denen sie wie die Vögel unter dem Himmel gelebt haben sind längst versunken.
- Prinzipiell: Von der Jesusbewegung trennt uns das große Ereignis, das wir jedes Jahr zu Ostern feiern: am dritten Tage auferstanden von den Toten. Zur Zeit der Jesusbewegung konnte man nur wie Jesus glauben. Jetzt, in der Zeit der Kirche und der christlichen Gemeinden, kann man auch an Jesus glauben, den Erstgeborenen von den Toten, meinen Heiland und Genadenthron, wie J.S. Bach im Schlusschoral der Johannespassion gedichtet hat.
Welche Bedeutung haben die Gewohnheiten und Grundsätze der Jesusbewegung für uns?
- Gar keine: Das wäre misslich, denn dann hätte das Leben der Kirche mit Jesus nichts zu tun.
- Vorbild: In diesem Fall müssten wir alle anfangen wie die Vögel unter dem Himmel zu leben, arm und obdachlos durch die Gegend wandern und von der Hand in den Mund leben. Gewiss für das Himmelreich, aber arm und obdachlos. Ich lebe so nicht und die meisten von uns sicher auch nicht und trotzdem sind wir Christenmenschen.
- Man kann aus den Gewohnheiten und Grundsätzen der Jesusbewegung Lebensweisheiten gewinnen, die für Lebensweise nützlich sind. Das hat schon der Evangelist Matthäus so gemacht: (a) Das Leben ist mehr als die Nahrung, der Leib mehr als Kleidung, (b) Das Leben kann man nicht verlängern, den Körper kann man nicht vergrößern. Man ist gut beraten das zu akzeptieren (c) Jeder Tag seine eigene Plage, mach dir also nicht so viele Sorgen um die Zukunft.
Sommer 1978
Ich möchte ein bisschen von den Monaten des Sommers 1978 erzählen. Nie war ich der Lebensweise der Jesusbewegung näher als damals.
Ich besuchte eine Schule mit Internat. Da gab es die Internatsschüler und die externen Schüler wie mich, die zu Hause wohnten. Den Internatsschülern war es verboten Autos mitzubringen. Derartige Verbote beeindrucken einen um die 20 nur mäßig. Alle, die eines besaßen, hatten ein Auto dabei und wurden irgendwann unvorsichtig. Fünf wurden erwischt und kurz vor dem Abitur aus dem Internat geworfen. Die anderen Internatsschüler solidarisierten sich und zogen auch aus. Wir externen solidarisierten uns zum großen Teil auch.
Einige lebten tatsächlich im Wald – wie die Vögel unter dem Himmel. Wir alle waren viel draußen, auch ich habe damals nicht wenige Nächte im Freien verbracht und mich morgens öfter mal gewundert, wo ich aufwache. Wir fanden dieses Leben schön und aufregend.
Für meinen Vater, damals seit 3 Jahren Witwer, muss es sich ganz anders angefühlt haben. Ich tauchte eher selten zu Hause auf, oft wusste er tagelang nicht, wo ich überhaupt bin, und Abitur musste ja auch geschrieben werden. Im Rückblick staune ich über die Großzügigkeit, mit der er mich gewähren ließ und denke manchmal, dass er in diesen Monaten ein bisschen Abbild meines himmlischen Vaters war.
Das Abitur habe ich so nebenbei auch geschafft, besser als an sich zu erwarten war Nach 3 Monaten war die Zeit vorbei. Ich kehrte ins normale Leben zurück und begann mit dem Zivildienst.
Daraus könnte man jetzt ein Erfolgsrezept machen: Mach Dir keinen Kopf, dann klappt es auch mit dem Abitur, oder anderen Dingen, die Du Dir vorgenommen hast. Aber dann wird man sich fragen, ob man alles richtig macht und ob man sich genug anstrengt, und schon sind sie wieder da, die Sorgen.
Fazit
Die Jesusbewegung war ein Ereignis in der langen Geschichte der Menschen mit Gott. Sie dauerte 1 Jahr oder vielleicht drei. Da sind sich die Evangelien nicht ganz einig. Und sie ist seit rund 2000 Jahren Vergangenheit.
Mein Sommer 1978 war ein Ereignis in meinem Leben. Es dauerte rund 3 Monate, liegt 42 Jahre zurück und bisher ist kein zweites Ereignis von dieser Art an seine Seite getreten.
Diese sorglosen Zeiten und Momente im Leben gibt es. Manchmal dauern sie 10 Sekunden, manchmal 3 Monate wie in meinem Fall, manchmal 1 Tag oder 2 Wochen. Kommen sie und merkt man es, dann gefällt es einem. Gehen sie, hat man oft den Drang sie festhalten zu wollen.
Aber das geht nicht. Denn sie sind so frei wie die Vögel am Himmel. Will man sie festhalten, dann muss man sie fangen oder erschießen. In beiden Fällen sind sie nicht mehr, was sie waren. Sorglose Wesen, die ganz von der Großzügigkeit des Schöpfers leben.
Die Momente und Zeiten, in denen man mit dieser Zuversicht durchs Leben geht, sind kostbar. Sie sind die Momente und Zeiten, in denen wir den Glauben teilen, den Jesus und die Seinen in sich gehabt haben müssen, als sie ganz ohne Sorgen und nur um des Himmelreiches willen durch das Land zogen. Lassen wir diesen Momenten und Zeiten einfach ihren Glanz.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
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