Predigt vom 16. Mai 2021

 

Predigt über Joh 7,37-39 am Sonntag Exaudi, 16.5.2021

 

Einheitsübersetzung

37 Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, 38 wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. 39 Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.

Lutherübersetzung

37 Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde!

Zweimal derselbe Bibelabschnitt und doch gravierende Unterschiede. Vielleicht fragen sie sich, ob es denn nicht meine Aufgabe gewesen wäre, hier erstmal für Klarheit zu sorgen. Doch die Bibel macht es uns manchmal nicht leicht. Nicht jede Schwierigkeit lässt sich so einfach auflösen. Dann muss man sie eben aushalten.

Schwierigkeiten gab es auch mit Jesus auf dem Fest, von dem berichtet wird. Es ist das Laubhüttenfest – eines der drei großen Wallfahrtsfeste. Wer kann, macht sich auf zum Tempel nach Jerusalem. So wurde Jesus auch von seinen Brüdern gefragt: Kommst du mit auf das Fest? Jesus verneint. Er entzieht sich denen, die über ihn verfügen wollen. (Das ist übrigens bis heute so.) Und dann geht er heimlich doch nach Jerusalem.

Sieben Tage dauert das rauschende Fest. Es ist die Zeit der Tag- und Nachtgleiche am Ende des Sommers. Während dieser Zeit wohnt man in provisorisch errichteten Hütten, geschmückt mit den Erntegaben: Obst und Gemüse, Korn und Wein. Die Wände und das Dach sind mit Zweigen bedeckt. Daher der Name Laubhüttenfest. Dieses Dach hat Löcher. Nachts leuchten die Sterne herein und erzählen davon, dass das Leben sich nicht erschöpft unter den Dächern, die wir bauen und den Mauern, die wir setzen.

Die Hütten erinnern an die Zeit der Wüstenwanderung. In keiner anderen Zeit war es so mit Händen zu greifen, wie sehr Israel von der Zuwendung Gottes lebt. Durch Hunger und Durst hatte sie Gott damals geführt. Und sie mussten lernen, dass Gott gibt, was zum Leben notwendig ist: Das Brot vom Himmel und lebenspendendes Wasser.

Das Laubhüttenfest ist ein Erntedankfest. Der Dank für die Ernte verbindet sich mit der Bitte um Regen für die Ernte des kommenden Jahres. Jetzt, am Ende eines heißen Sommers, ist der Boden ausgedörrt und schreit nach Wasser. Das Leben muss doch weitergehen! Der Durst nach Wasser ist der Durst nach Leben.

Das Wort, das in unserer Bibel mit „Seele“ übersetzt ist, meint in der hebräischen Bibel auch die durstige Kehle, den Menschen in seinem Verlangen nach Leben, nach Gott.

So ist die Bitte um Regen verbunden mit dem Wissen, dass sich das Leben allein mit dem Wasser vom Himmel nicht erfüllt. Gottes Verheißungen reichen weiter.

Auch wenn man längst in festen Häusern wohnt, die Laubhütten halten fest: Israel ist ein Volk unterwegs. Wir haben hier keine bleibende Stadt (Hebr 13,14).

So wie am Anfang der biblischen Erzählung die vier Ströme aus der Wüste den paradiesischen Garten Eden gemacht haben, so wird nach dem Wort der Propheten einmal Wasser aus dem Tempel in Jerusalem hervorquellen und die Erde zu einem lebensfreundlichen Ort für alle Menschen machen. Wenn wir es wagen, die Welt als Gottes Schöpfung anzusprechen – und das versteht sich keineswegs von selbst -, dann dürfen wir auch von Gott erhoffen, dass er sie einmal vollenden wird; allen Untergangsprophezeiungen zum Trotz.

Wir sind noch auf dem Fest! Am siebenten Tag erreicht es seinen Höhepunkt. Mit einer goldenen Kanne wird siebenmal Wasser aus dem nahen Siloahteich geschöpft und auf den Opferaltar gegossen. In einer Prozession werden Bachweiden- und andere Zweige auf den Boden geschlagen – alles eine einzige große rituelle Bitte um Wasser.

Da tritt Jesus auf. Was für eine Provokation gegenüber denen, die so intensiv um Wasser vom Himmel gebetet haben, wenn er sagt: Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Ich gebe euch das Wasser, dass euren Durst stillt.

Wichtig zu beachten ist, was Jesus nicht sagt. Er sagt nicht: Bisher habt ihr nur abgestandenes Wasser getrunken wie aus einer Zisterne. Erst ich gebe euch lebendiges, frisches Wasser. Es ist ja die ganze Heilige Schrift ein sprudelnder Quell. Und der Durst ist auch riesengroß allenthalben.

So heißt es im 63. Psalm: Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir, mein Leib verlangt nach dir aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist.

Doch man muss nicht tief bohren, um auf Wasser zu stoßen. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser (Psalm 23).

Wer das einmal gebetet hat, der weiß von dieser Quelle zu erzählen, und der weiß auch, dass sie nicht etwa nur Christenmenschen stärkt. Nein, Israel gilt die Verheißung Jesajas:  Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils (Jes 12,3).

Ich habe diese Freude  im letzten Jahr gesehen auf dem Gesicht eines Taxifahrers, der aus Afrika eingewandert ist und mir erzählte, wie er weinen musste, als er zum ersten Mal hier in Deutschland einen Wasserhahn aufdrehte und heraus kam - einfach so - sauberes, frisches, wohlschmeckendes Wasser.

Was hat Jesus nun gesagt: Die Ströme lebendigen Wassers, fließen sie von Jesus selbst oder von denen, die an ihn glauben?

Wir nehmen die Frage mit in die letzten Jahre des ersten Jahrhunderts n.Chr., der Zeit, in der das Johannesevangelium entstanden ist.

Selten haben wir im Neuen Testament einmal Gelegenheit, den Evangelisten über die Schulter zu schauen. Hier ist es möglich, denn die Zeiten sind deutlich unterschieden: die Zeit Jesu, in der er auf dem Fest ist, und die Zeit des Evangelisten. Denn mit einem Kommentar blickt er auf die Zeit Jesu zurück: Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war. Die Verherrlichung ist für Johannes die Zusammenschau von Kreuzestod und Auferstehung Jesu. Das stand zu Jesu Lebzeit natürlich noch aus. Auch der Heilige Geist war noch nicht ausgegossen. So konnten ihn die Menschen noch gar nicht richtig verstehen. Und es kommt zu den für das Johannesevangelium so typischen Missverständnissen. Brot, Wein und Wasser sind einerseits natürliche Lebensmittel. Für Jesus aber sind sie zugleich messianische Zeichen.

Jetzt aber, zur Zeit des Johannes, ist Jesus verherrlicht und die Gemeinde lebt von Gottes Geist.

Der Tempel ist zerstört. Die Gemeinde lebt unter bedrängenden Umständen. Aber sie lebt und ist lebendig. Und sie wächst über alle Grenzen. Denn Gott hat seinen Geist ausgegossen. Es ist der Geist Jesu, der den Auferstandenen mitten im Leben entdecken lässt. Er macht Jesu Worte zu einer lebendigen Quelle, aus der Menschen schöpfen: Trost, Liebe und Hoffnung. Eine Quelle, aus der die Kraft fließt, sogar die langen Schatten der Vergangenheit abzuschütteln und die Resignation, wenn wir meinen, nichts ändern zu können in unserem Leben und schon gar nicht im Großen und Ganzen.

Gottes Geist ist der Grenzen überwindende Geist Jesu.

Da hat vor wenigen Wochen die Partei mit den großen blauen Plakaten ihren Parteitag abgehalten unter dem Motto „Deutschland. Aber normal“. Da werden sie von vielen Menschen Seufzer der Zustimmung bekommen haben: „Ja, Normalität – das wünsche ich mir auch.“ Verschwiegen wird allerdings der implizierte Anspruch zu definieren, was normal ist. In dieser Normalität haben Menschen anderer Kultur, Religion und Hautfarbe keinen Platz. Aber dass wir unseren Wohlstand auf Kosten anderer halten und besser noch mehren – das ist normal.

Gottes Geist ist weiter als die Enge dieser Normalität!

Gottes Geist ist der Geist Jesu, der niemand ausgegrenzt hat. Was für ein schönes Zeichen für die sprudelnde Quelle dieses Geistes, dass vor einer Woche mehr als 100 katholische Kirchen ihre Türen geöffnet haben, um gleichgeschlechtliche Paare in ihrer Liebe zu segnen – allen Grenzen zum Trotz.

Johannes hat die Ströme von lebendigem Wasser auf das Wirken des Heiligen Geistes gedeutet. Wenn man es so sieht wie er, ist es vielleicht nicht entscheidend, wie man übersetzt; ob diese Ströme von Jesu Leib ausgehen oder von denen, die an ihn glauben. Beides ist möglich. Wir sind ja der Leib Christi. Einen anderen hat er nicht.

Jesu Wort und Geist sind die Quelle, aus der wir schöpfen dürfen. Und die, die so gestärkt sind, werden selbst zum lebendigen, erfrischenden Wasser für andere. Sie werden sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt (Jes 58,11).

Wer einmal erfahren hat, dass Gott zum frischen Wasser (Ps 23) führt, der darf darauf vertrauen, dass diese Quelle nicht versiegt. Und das ist gut so; denn es gibt noch so viel Durst in der Welt…

So feiern wir Pfingsten in Dankbarkeit für den Heiligen Geist und in der Erwartung seines Kommens. Und wir beten: Komm Heiliger Geist, mach uns zu einer lebendigen Quelle und erneuere das Gesicht deiner Schöpfung. Amen.

Pfarrer Cyriakus Alpermann

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