Epheser 1,15-23, Johannesgemeinde, Erlangen, Dr. Rainer Stahl
„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus,
die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!“
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir haben mit dem Lied von Michael Praetorius aus dem Jahr 1607 begonnen: „Wir danken dir, Herr Jesu Christ, daß du gen Himmel g’fahren bist. […] Gen Himmel aufgefahren hoch, ist er doch allzeit bei uns noch“ (EG 121,1-3). Mit dieser Bitte hören wir auf die Worte aus dem ersten Kapitel des Epheserbriefes:
15/16 Deshalb höre ich nicht auf – der ich gehört habe von Eurem Glauben in dem
Herrn Jesus und von Eurer Liebe zu allen Heiligen – Euch zu danken,
indem ich Euer in meinen Gebeten gedenke,
17 damit der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit,
Euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung seiner Erkenntnis von sich gebe
18 und erleuchtete Augen des Herzens,
dass Ihr erkennt:
+ was die Hoffnung darstellt, zu der Ihr berufen seid,
+ und was den Reichtum der vererbten Herrlichkeit in seinen Heiligen ausmacht
19 + und was die überschwängliche Größe seiner Kraft in uns Glaubenden
entsprechend der Wirksamkeit der Kraft seiner Stärke bewirkt.
20 Das hatte er gewirkt in Christus,
den er von den Toten auferweckte
und ihn platzierte zu seiner Rechten in den Himmeln
21 über jeder Regierung und jeder Macht und jeder Gewalt und jeder Herrschaft
und über jedem Namen, der nicht nur in dieser Weltzeit sondern auch
in der kommenden Weltzeit genannt wird.
22 „Und alles hat er unter seine Füße getan“ [Psalm 8,7]
und ihn gesetzt zum Haupt über alles der Gemeinde / der Kirche,
23 die seinen Leib darstellt,
nämlich die Fülle dessen, der das All in allem erfüllt.
Liebe Schwestern und Brüder!
Es gibt einen Tag, den ich nie vergessen habe – natürlich musste ich mir das konkrete Datum mit Hilfe des Internets wieder sorgfältig erarbeiten –: den 18. Oktober 1963. Da war ich mit der gesamten Schule zu einer Straße oberhalb von Meiningen gegangen. Wir stellten uns dort am Straßenrand auf und warteten: Dann kam von Rohr her die Wagenkolonne mit einer Poli-zei-Eskorte davor. Das Dach des großen sowjetischen Wagens war sogar aufgeklappt, der Mann, auf den wir warteten, stand schon, so dass wir ihn alle gut sehen konnten und er uns beim Vorbeifahren herzlich gegrüßt hat! So sehe ich ihn noch heute vor mir: Jurij Gagarin, den ersten menschlichen Kosmonauten (amerikanisch gesagt: Astronauten), der am 12. April 1961 im Raumschiff „Wostok 1“, zu Deutsch: „Osten 1“, die Erde einmal umrundet hatte!
Am 10. April 2019 gelang es erstmals acht koordinierten Radioteleskopen, die sich um die gesamte Erde herum befinden, ein Schwarzes Loch in einer 55 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxis zu fotografieren! Uns allen ist ja die sogenannte „Milchstraße“ am Nachthimmel bekannt. Wenn wir uns nachts an diesem Band von Sternen erfreuen, schauen wir in Wahr-heit in eine Galaxis – nämlich in die unsere. Sie ist eine zweiarmige Galaxis, bei der sich unsere Sonne gegen Ende des einen Armes befindet. In solchen Nächten sehen wir also auf die vielen Sonnen dieser beiden Arme und des Zentrums unserer Galaxis.
Am 30. Juli 2020 startete die NASA-Sonde „Perseverance“ / „Beharrlichkeit“ von der Startbahn auf Florida. Und wirklich: Am 18. Februar dieses Jahres landete sie auf dem Mars. Überraschend schnell kamen schon erste Fotos von dieser geglückten Aktion bei uns an. Wenn alles gut geht, wird sie mit Bodenfunden von der Marsoberfläche wieder zur Erde zurückfliegen.
Von all’ solchen Zusammenhängen und Dimensionen hatten die Menschen zur Zeit Jesu keinerlei Ahnung. Die Gebildeten unter ihnen wussten schon lange, dass die Erde kugelförmig ist. Der bedeutende Philosoph und Naturbeobachter Eratosthenes hatte sogar schon vor 200 vor Christus in Ägypten auf dem Wege interessanter Beobachtungen den Umfang der Erde annähernd richtig mit – modern gesagt – etwa 40.000 Kilometern berechnet. Aber ganz lange gab es sehr unterschiedliche Auffassungen von der Erde und ihrem Platz im Weltraum. Ich gehöre zu den optimistischen Menschen, die die modernen Auffassungen für nicht falsch ansehen können, denn auf ihrer Grundlage gelang es, die Erde zu umrunden – durch Laika, Jurij Gagarin und andere –, zum Mond zu fliegen und jetzt zum Mars.
Mit all‘ dem hat das Fest der „Himmelfahrt Christi“ nichts zu tun! Seine „Himmelfahrt“ war keine Reise in diesen Dimensionen. Aber natürlich muss ich ehrlicherweise eine Einschränkung einfügen: Die Denker im Einfluss der Wirkungen Jesu – so der Briefschreiber des Epheserbriefes, so die Verfasser unserer Evangelien – meinten wirklich, dass Jesus nach seiner Auferweckung in einen Bereich Gottes „aufgefahren wäre“, den sie oberhalb des von ihnen vorgestellten Kosmos lokalisierten. Also: oberhalb des von uns zu sehenden Himmels, den sie sich als mehrschichtige Konstruktion vorstellten – deshalb wird auch in unserem Bibeltext von „den Himmeln“ gesprochen (V. 20) –.
Unsere Erkenntnis ist sehr wichtig: Wenn wir von „Himmelfahrt Christi“ reden, dann meinen wir etwas völlig anderes als Flugbewegungen in unserem Kosmos unter Nutzung natürlicher Energien, unter Nutzung materieller Möglichkeiten der von Gott geschaffenen Welt. Der „himmelfahrende Christus“ bewegt sich vielmehr in einer ganz anderen Dimension – quer zu allen Dimensionen, die wir erfahren und erkennen können. Ja, ich wage zu sagen: Weil der „in den Himmel aufgefahrene Christus“ Gott nahe ist, ja: Gott ist, ist er uns näher als er je während seinem irdischen Leben seinen Jüngern sein konnte. Ist er – wie ich gern sage – uns näher als wir selbst uns sind. Mir selber bin doch ich selbst die nächste Person. Und ihr ist dieser „zum Himmel aufgefahrene Christus“ noch näher, noch intimer! Deshalb brauchen wir uns um die Begleitung, um die Nähe durch Christus nicht mehr zu sorgen. Deshalb hat auch der „Himmel“, in den Christus „aufgefahren ist“, nichts mit dem Himmel zu tun, den wir täglich und nächtlich sehen können!
Der Briefschreiber des Briefes an die Gemeinde in Ephesus hat das großartig ausgesagt:
„dass Ihr erkennt:
+ was die Hoffnung darstellt, zu der Ihr berufen seid,
+ und was den Reichtum der vererbten Herrlichkeit in seinen Heiligen ausmacht
+ und was die überschwängliche Größe seiner Kraft in uns Glaubenden entsprechend
der Wirksamkeit der Kraft seiner Stärke bewirkt“ (V. 18b-19).
Für alle Bereiche unseres Lebens – unsere Planungen, unsere Leistungen, unsere Zuversicht, unsere Ängste – können wir Christus uns nahe wissen: „was die überschwängliche Größe seiner Kraft in uns Glaubenden entsprechend der Wirksamkeit der Kraft seiner Stärke bewirkt“.
Zugleich gilt noch eine weitere Einsicht: Dieser „in den Himmel aufgefahrene Christus“ bleibt uns auch gegenüber, bleibt von uns Menschen, von seiner gesamten Schöpfung, dem Kosmos, den wir nur zu Teilen erkennen können, geschieden! Ich darf dieses vielleicht altertümlich wirkende Wort „geschieden“ verwenden. Es sagt: Christus, Gott, ist in einer ganz eigenständigen Wirklichkeit, in die wir nicht vordringen können. Deshalb ist die andere Aussage unseres Briefschreibers merkwürdig unangemessen. Denn unser Briefschreiber verwendet Begriffe für die damaligen Herrschaftsstrukturen:
„[…] und Gott platzierte ihn dexia autou – zu seiner Rechten in den Himmeln
über jeder archä – über jede Regierung
und jeder exousia – Macht
und jeder dynamis – Gewalt
und jeder kyriotäs – Herrschaft“ (Verse 20b-21a).
Das sind alles Begriffe, die in den Staatslehren des Römischen Reiches verwendet wurden für den Kaiser, für die Konsuln und für die Legaten, für die Gouverneure. Ist mit ihnen die Macht Gottes, die Macht des „in den Himmel aufgefahrenen Auferweckten“ zutreffend benannt?
Bei einer Friedenskonferenz der Russischen Orthodoxen Kirche in der damaligen Sowjetunion muss eine Übersetzerin für den Begriff „Holy Spirit“ – „Heiliger Geist“ hilflos «Генеральный Секретарь Политбюро» – „Generalsekretär des Politbüros“ gesagt haben – statt «Святой Дух» – „Heiliger Geist“. Danach gab es wohl Probleme. Aber: Ihr faux pas, ihr Fehlgriff, zeigte doch, wie eigentlich unangemessen Begriffe unserer Erfahrungswelt für Gott sind. Deshalb bleibe ich bei den beiden erkannten Dimensionen:
Gott ist
+ derjenige, der uns der intimst Nächste ist,
und + derjenige, der uns der absolut Gegenüberbefindliche ist.
Diese beiden Dimensionen werden nun in unserem Bibelwort miteinander verbunden:
„[…] und Gott hat ihn gesetzt zum Haupt über alles der Gemeinde / der Kirche,
die seinen Leib darstellt,
nämlich die Fülle dessen, der das All in allem erfüllt“ (Verse 22b-23).
In den verschiedenen Übersetzungen wird entweder der Begriff „Gemeinde“ eingesetzt oder der Begriff „Kirche“. In jedem Fall ist wirklich die Gemeinschaft der Kirche Christi durch alle Generationen hindurch und auf der gesamten Erde gemeint. Das meint also sicher zuerst die für unsere Erfahrung grundlegende örtliche Gemeinde innerhalb der eigenen konfessio-nellen Kirche. Aber darüber hinaus natürlich die Gemeinschaft der gesamten allgemeinen Kirche, der „katholischen Kirche“. Erst wer sich auf diesen Begriff „katholisch“ für sich selbst einlassen kann, begreift, was hier gemeint ist: Es geht um die unsere kleine Erfahrungswirklichkeit übersteigende große, wirklich „katholische“ Erfahrungswirklichkeit des einen „Leibes Christi“, des Leibes des „auferstandenen und in den Himmel aufgefahrenen Christus“. Zu dieser Wirklichkeit dürfen wir uns gehörig wissen, dürfen wir uns berufen glauben! Denn durch sie wird uns diese Fülle vermittelt, die „das All in allem erfüllt“. Die ein All erfüllt, zu dem nun auch unsere kosmonautischen, unsere astronautischen Erfolge gehören, zu dem sie als ganz kleine Ereignisse gehören. Gehen wir mit diesem großartigen Bewusstsein heute nach Hause!
Amen.
„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn!“
Und jetzt beschließen wir mit dem Lied von Detlev Block aus dem Jahr 1978: „Wir feiern deine Himmelfahrt mit Danken und mit Loben. […] Der Himmel, dem du zugehörst, ist Herrschaft und ist Nähe. Präg du uns ein, Herr Jesu Christ: Gott ist nicht, wo der Himmel ist; wo Gott ist, da ist Himmel“ (EG 561,1-2).
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