Predigt vom 19. Mai 2024 Pfingsten

Hesekiel 37,1-14 
Predigt zum Pfingstfest 2024 Johanneskirche Erlangen

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

 

Wir beten in der Stille um den Segen des Wortes. […]

„Gott, gib mir ein Wort für mein Herz und ein Herz für dein Wort. Amen.“

 

 

Liebe Gemeinde!

I

„Ich achte auf meinen Atem.“ Viele von Euch kennen diese Aufforderung. Aus dem Sport oder aus Entspannungsübungen, aus dem Geburtsvorbereitungskurs oder von Meditationen her. 
„Ich achte auf meinen Atem.“ – da wird mir etwas bewusst, was immer da ist. Ganz von selbst immer da ist: Die Lunge weitet sich, die Luft strömt ein, der frische Sauerstoff wird über die Lungenbläschen aufgenommen, die Lunge geht zusammen, die Luft strömt aus. Und wieder von vorn.

Ich achte auf meinen Atem – atme ich wirklich selbst? Oder ist es nicht vielmehr so, dass es in mir atmet? Ja, ich nehme die zweite Schöpfungserzählung auf, diese poetische Idee: Da gibt Gott dem Erdengebilde Adam seinen Atem. Gott bläst ihm den „Odem des Lebens in seine Nase“. Odem – dieses altmodische Wort enthält so etwas feierliches, besonders, herausgehobenes. Ja, diese poetische Idee macht mir Mut, in meinem Atem Gott selbst zu erkennen.

Nicht ich atme. Und dieses „es“, das in mir atmet, darin erkenne ich eben Gott selbst. Gottes Atem, Gottes Geist macht mich lebendig.

Als Jugendliche habe ich mich oft besorgt gefragt, ob ich denn Gottes Geist habe. Es hätte mir viel geholfen, wenn mir mal jemand erklärt hätte, dass ich schon allein dadurch, dass ich atme, verbunden bin mit Gott.

„Ich achte auf meinen Atem. Gott atmet in mir.“

 

II

Gottes Geist ist da und wirkt. Gottes Geist belebt. 

Unser Predigttext erzählt davon in einer beeindruckenden, faszinierenden Vision. Man könnte auch erschrecken darüber. Und es gibt Musik, die das Erschreckende an dieser Vision betont. Wenn Gott handelt, dann können Menschen ja auch erschrecken – das älteste Evangelium, Markus, hört mit dem Erschrecken auf. Die Frauen hören die Botschaft von den Engeln. Dann drehen sie sich um, gehen weg von dem leeren Grab. Und dann heißt es: „und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich sehr.“ Dabei ist es nicht geblieben, sonst gäbe es uns heute nicht hier. Nur: Das Erschrecken gibt es eben auch. Und man kann Hesekiel 37 so lesen, dass es sich direkt bedrohlich anhört, dass das Erschrecken rüberkommt. Aber: Nach eingehender Beschäftigung mit dem Text – und guter Beratung – ist mir doch ganz klar geworden: Diese Verse müssen staunend gelesen werden, wie die Kinder im Kindergarten von den Raupen erzählen, die zu Schmetterlingen werden. Staunen, freudiges Staunen ist angesagt, wenn Gott seinen Geist schickt, seinen Atem gibt und Leben entsteht, da wo nur noch verdorrte Knochen herumlagen.

Ich lese also Ezechiel 37, 1-14 und versuche, das freudige Staunen durchklingen zu lassen:

III

Zuvor noch eine kleine Einordung: Wer ist dieser Hesekiel? Ein Prophet, einer dem das Wort des Herrn geschah. „Die Hand des Herrn kam über ihn.“ In schlimmer Zeit war er Prophet: In Babylon war er da, in der Fremde. Fünf, sechs Jahre zuvor war er gefangen genommen worden in Jerusalem – mit vielen anderen zusammen weggetrieben worden aus ihren Heimat – auf dem quälenden langen Weg zu Fuß in die Fremde sahen sie die Schlachtfelder mit den vielen, vielen Toten – niemand hatte sie begraben, die, die übrig waren, wurden weggetrieben und die wenigen Zurückbleibenden hatte keine Kraft dafür, sie konnten ja kaum überleben. Diese Schlachtfelder mit den Toten, ach man konnte ja manchmal gar keine Menschen mehr erkennen, die nackten Knochen lagen zerstreut herum und verdorrten in der Sonne. Mit solchen und ähnlich schrecklichen Bildern in Kopf und Herz waren sie ausgesetzt worden am Fluss Kebar irgendwo in der Nähe der großen Stadt Babylon. 

Nach etwa fünf Jahren in der Fremde geschah dem Hesekiel das Wort des Herrn. (Hesekiel in der Lutherbibel, Ezechiel in der Einheitsübersetzung – es ist derselbe Mensch und sein Name bedeutet: Gott stärkt [Gott wird stärken//Gott möge stärken].) 

IV

Nun also: Hesekiel 37, 1-14:

Des HERRN Hand kam über mich, und er führte mich hinaus im Geist des HERRN und stellte mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine.

 2 Und er führte mich überall hindurch. Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld hin, und siehe, sie waren ganz verdorrt.

 3 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: HERR, mein Gott, du weißt es.

 4 Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des HERRN Wort!

 5 So spricht Gott der HERR zu diesen Gebeinen: Siehe, ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet.

 6 Ich will euch Sehnen geben und lasse Fleisch über euch wachsen und überziehe euch mit Haut und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet; und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin.

 7 Und ich weissagte, wie mir befohlen war. Und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich und die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu Gebein.

 8 Und ich sah, und siehe, es wuchsen Sehnen und Fleisch darauf und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen.

 9 Und er sprach zu mir: Weissage zum Odem; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Odem: So spricht Gott der HERR: Odem, komm herzu von den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden!

 10 Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam der Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füße, eine überaus große Zahl.

 11 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns.

 12 Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels.

 13 Und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole.

 14 Und ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR. 

V

Was für ein starkes Bild! Die verdorrten Knochen rücken zusammen, sie werden wieder Gestalten aus Fleisch und Blut. Und dann kommt Gottes Geist und macht sie lebendig.

Was für eine Hoffnung für alles Kaputte, Verdorrte, Ausgetrocknete! Dieses zusammenrücken, wieder eine Gestalt erhalten und dann- den lebensschaffenden Geist Gottes. Dieses Hoffnungsbild hilft mir auch, Gottes Geistwirken zu entdecken. In der Zeitung sind das manchmal nur wenige dürre Worte, zum Beispiel in der Berichterstattung über zwei Demonstrationen, die eine mit palästinensischen Flaggen, die andere mit israelischen Fahnen. Und dann heißt es: „Teilnehmer auf der palästinensischen Seite überquerten die Straße, um den Dialog mit den Gegendemonstranten zu suchen. In diesem Gespräch blieben die Standpunkte konträr, aber keiner vergriff sich im Ton.“

Oder, eine wunderbare Ferienerfahrung unserer Nachbarn: Sie fuhren schon immer gerne nach Frankreich in den Urlaub. Kaum zu glauben, dass dieses Land noch vor 80 Jahren der Erzfeind war. In einem Sommerurlaub am Meer hatten sie eine französische Familie als Zeltnachbarn. Mit einem kleinen Jungen, etwa 4 Jahre alt, genausoalt wie der Sohn unserer Nachbarn. Die beiden spielten lange zusammen. Und merkten gar nicht, dass jeder zum anderen in seiner Muttersprache redetet, sie verstanden sich einfach so ganz prächtig, der eine Deutsch redend, der andere Französisch. 

Der Geist Gottes macht lebendig. Meine Hoffnung für alles Kaputte, Verdorrte, Ausgetrocknete. Die verdorrten Knochen rücken zusammen, sie werden wieder Gestalten aus Fleisch und Blut. Und dann kommt Gottes Geist und macht sie lebendig.

[oder noch weitere Beispiele: Bäume, die wieder wachsen, gemeinsam Fußball spielen, Taizélieder in verschiedenen Sprachen, eine Stub-Veranstaltung, die offen fragte und in verschiedene Richtungen informierte, eine Veranstaltung in Israel mit jüdischen und palästinensischen Personen, die sich gegenseitig ihren Schmerz erzählten …]

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

                                                                  Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp

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