Gottesdienst am 24.4.2022
Name des Sonntags: Quasimodogeniti
Predigttext: 1.Mose 32, 23-32 (wird während der Predigt verlesen)
Liebe Gemeinde!
I.
Unser Bibelabschnitt hat eine aufregende Vorgeschichte. Blättern wir ein wenig im ersten Buch der Heiligen Schrift. Jakob ist fromm auf seine Weise. Gleichzeitig überlistet er seinen Bruder und seinen Vater und erschleicht den Segen der Erstgeburt. Segen, das bedeutete zu seiner Zeit Besitz und Macht. Esau, Jakobs Bruder, ist der Erstgeborene der Familie. Ihm gebührt also das Erbe. Jakob wird zum Erbschleicher. Jakob muss sich fürchten vor seinem Bruder. Er flieht.[1]
Auf dieser Flucht träumt Jakob in der Nacht. Er sieht eine Leiter, die zum Himmel führt und er hört die Stimme Gottes: „Ich bin mit dir, ich will dich behüten…“ Nein, gottlos ist Jakob nicht, weil Gott ihn nicht loslässt.[2] Jakob findet bei Laban, seinem Onkel, Arbeit und Erfolg und Anerkennung. Aber: Seine Verwandten werden neidisch. Er muss wieder fliehen. Doch wohin schickt ihn Gott? Ausgerechnet zurück zu seinem Bruder, den er betrogen hat.[3]
Jakob hat nun echt Schiß und trifft eine ganze Reihe von Vorkehrungen, um Esau zu beschwichtigen. Zwischen diesen und dem Zusammentreffen mit Esau steht unser heutiger Predigttext.
Wenden wir uns nun dem Bericht zu, den wir aus dem 32. Kapitel des 1. Mose-Buches lesen und hören:
23 Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog durch die Furt des Jabbok.
24 Er nahm sie und führte sie durch den Fluss, sodass hinüberkam, was er hatte.
25 Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach.
26 Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt.
27 Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
28 Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob.
29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.
30 Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst.
31 Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.
32 Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
II.
Und Jakob stand auf in der Nacht … und er führte sie durch den Fluss… Jakob aber blieb allein zurück. Die Bibel ist voll von Nachtgeschichten – im Alten wie im Neuen Testament. Erinnern wir uns mit einigen Beispielen.
Seitenlang finden wir das Wort „Nacht“ im Buch der Psalmen…
Mein Gott, des Tages rufe ich, doch du antwortest nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.[4]
Oder Spräche ich, Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.[5]
Ebenso finden sich im Neuen Testament viele Nachtgeschichten, die von Jesus erzählen. Wieder wenige Beispiele:
Der Engel des Herrn erschien Josef im Traum (das heißt: in der Nacht) und er sprach: Steh auf, nimm dein Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten…[6]
Oder: Jesus ging auf einen Berg und blieb über Nacht im Gebet zu Gott.[7]
Oder in seiner Leidenszeit: Jesus spricht zu Petrus: In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich drei Mal verleugnen.[8]
Oder: Jesus wendet sich seinen Jüngern zu: Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wir wirken kann…[9]
In Nachtgeschichten zeigt uns die ganze Bibel Vorbilder für uns und für heute. Auch heute sprechen die Geschichten von damals in unsere Herzen. Was Jakob hier des Nachts erlebte, kann Anregung sein und Hilfe für unsere Zeit.
Heute und gestern und immer wieder in der Gegenwart erzählen Frauen und Männer von Jakob, der ihnen nahe kam.
Eva Zeller zum Beispiel, eine Lyrikerin, überlegt, was für sie das Bibellesen bedeutet und sie schreibt:
„Nicht dass ich es nur lese, um es zu lesen. – Ich habe das unverschämte Glück, am Tropf dieser Worte zu hängen.“ Und sie erinnert sich dabei an Jakob. Sie denkt ihn in unsere Zeit hinein – und schreibt voll Mitleid: „Ach Jakob“.
„Ganz schön clever bist du gewesen, hast dich an Esaus Ferse geklammert, als ihr aus eurer Mutter Leib gepresst wurdet…“
„Ganz schön verzogen bist du gewesen. Ein Muttersöhnchen. Wachs in Rebekkas Händen. Was sie sagte, war Befehl und wenn sichs um ganz krumme Dinger handelte. Erbschleicherei zum Beispiel. Erpressung zum Beispiel. Raffinierte Täuschungsmanöver. Mannomann.“ [10]
III.
Da rang einer mit ihm, bis das Morgengrauen anbrach…[11] Die Szene damals beginnt in der Dunkelheit der Nacht. Sie dauert über die Morgenröte bis zum Sonnenaufgang. Übersetzer waren immer wieder ein wenig hilflos. Sie versuchten, zu verstehen, wer gemeint war: „Da rang einer…“ Andere übersetzten „Da trat ihm ein Mann entgegen und kämpfte bis zum Morgengrauen.“ Oder wieder ein anderer: „Plötzlich war da jemand da, der bis zum Morgengrauen mit ihm kämpfte.“ Wieder andere meinten: Dieser Mann war wohl ein Engel Gottes.
„Mit dem Engel ringen“ – das ist die Überschrift einer schönen Erzählung von Rachel Naomi Remen[12]. Sie ist Jüdin. Sie ist Ärztin und sie ist selber schwer krank. „Aus Liebe zum Leben“ ist die Überschrift über ihr Buch. Sie erinnert sich an ihre Kindheit und an das, was sie mit ihrem Großvater erlebte. Sie schreibt: „Eine der letzten Geschichten, die mein Großvater mir erzählte, war über einen Mann namens Jakob. Eines Nachts, als er an einem Flussufer schlief, wurde er plötzlich angegriffen. Als er aufwachte, fand er sich in der Umklammerung muskulöser Arme und zu Boden gedrückt. Es war dunkel, sodass er seinen Feind nicht sehen konnte.
Das Kind Rachel fragt: „Wie lang dauerte der Kampf, Opa?“ Der Großvater erklärt dem Mädchen: Die Dunkelheit dauert nicht ewig. Schließlich dämmerte der Morgen, und als es hell wurde, sah Jakob, dass er mit einem Engel gerungen hatte. Jakob sagte zu ihm: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Der Engel rang heftig darum, sich zu befreien, aber Jakob hielt ihn fest. Der Großvater erzählt die Geschichte, um die Enkelin zu trösten. Ihre Krankheit dauerte viele lange Jahre.
IV.
Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.[13]
Und danach: Der Geheimnisvolle fragt: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst.
Der Schluss ist der Höhepunkt:[14] Jakob nannte die Stätte Pnuel. Die Übersetzung nennt diesen Namen: Gottes Gesicht. Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen. Jakob erkennt in dem Unbekannten, mit dem er so lange gerungen hat, seinen Gott. Pnuel beschließt die Geschichte: Die Sonne geht auf. Trotzdem: Jakob hinkt an seiner Hüfte.
Heute und morgen beginnt es neu: Jakob bekommt einen neuen Namen: Israel. Das heißt: Gott streitet (für uns). Oder: Gott herrscht. Oder: Verstand, der Gott sieht. (So übersetzt Antonius der Große)
Und heute: Dieser Name ist ein Geschenk auch an uns. Unser neuer Name für uns heißt auch: Gott für uns. Christus, der Sohn, verbindet uns durch den Heiligen Geist. Christen dürfen wir uns nennen – nach Jesus, dem Christus. Er ist unser Bruder geworden und durch ihn gehören wir zur Familie Gottes.
Jakob wird unser Tröster, wenn unser Glaube gefährdet wird. Von Gott gesegnet zu sein, heißt nicht, dass wir ohne Schwierigkeiten durch das Leben kommen. Jakob hinkt. Er erlebt: Gott ist stärker als ich. Sein Sieg in der Nacht war das Geschenk Gottes. Unser Schicksal und die Zukunft der Welt liegen in seiner Hand, unter seinem Segen.
Jakob wird unser hilfreicher Begleiter, denn seine Geschichte beschreibt eine eindrückliche Verwandlung. Fragen werden in unserem Glaubensleben nicht immer gleich beantwortet. Gottes Gegenwart ist für uns oft Ringen und Suchen. Sein Segen führt uns durch dunkle und helle Zeiten.
Jakob wird unser Freund, der unsere Hoffnung auf Gott stärkt.
Noch einmal Eva Zeller. Sie fasst am Ende ihres Gedichtes zusammen: „Deshalb verneige ich mich vor dir (Jakob) siebenmal bis zur Erde, wie du dich siebenmal bis zur Erde vor deinem Bruder verneigt hast.
- Herr, unser Gott, segne uns, dass wir dankbar werden.
- Segne uns, dass wir trotz allem treu bleiben.
- Segne uns, dass wir mutig werden.
- Segne uns, dass wir als Geliebte lieben, als Freunde erfreuen, als Angenommene annehmen, was du uns schickst.
Amen.
L Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
G Amen
Arno Mattejat nach einer Vorlage von:
Bischof a. D. Georg Güntsch
Asternstr. 28, 90617 Puschendorf
georgguentsch [klammeraffe] gmx [punkt] de
[1] 1Mo 27:
[2] 1Mo 28:
[3] 1Mo 31:
[4] Ps 22,3.
[5] Ps 139,11f.
[6] Mt 2,13,14.
[7] Lk 6,12.
[8] Mt 26,34.
[9] Joh 9,4.
[10] Eva Zelller, Das unverschämte Glück, Neue Gedichte, 2006, S.34 – 37.
[11] 1.Mo 32,25.
[12] Rachel Naomi Remen, Aus Liebe zum Leben, Geschichten, die der Seele guttun, 2000, Mit dem Engel ringen, S. 32 – 34.
[13] 1Mo 32,26ff:
[14] 1Mo 32,31ff.
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