Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis, 22.10.2023
Wochenspruch: Micha 6,8
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert; nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Predigttext: Mk 10,1-9.13-16
Liebe Gemeinde,
sie kennen aus dem Fernsehen Fortsetzungsgeschichten oder auch Serien. Vor dem Beginn einer neuen Folge wird kurz zusammengefasst, was bisher geschah. Beim ersten Lesen unseres Predigttextes fühlte ich mich daran erinnert. Vor 2 Wochen haben wir uns grundsätzlich mit Gottes Gebot beschäftigt. Es ist hoffentlich deutlich geworden, dass sie nicht für sich selbst stehen. Ihr Sinn ist nicht darin beschlossen, sie einfach nur zu erfüllen. Vielmehr weisen sie über sich hinaus auf den Weg, den Gott mit seinem Volk gehen will, auf Gottes Verheißungen und den Bund, den er mit Israel geschlossen hat.
So hat es Jesus herausgearbeitet, wenn er über den Wortlaut hinaus nach Gottes Willen fragt.
Heute also die Fortsetzung: Jesus soll Stellung beziehen zu einem bestimmten Gebot.
2 Und Pharisäer traten hinzu und fragten ihn, ob es einem Mann erlaubt sei, sich von seiner Frau zu scheiden, und versuchten ihn damit. 3 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten? 4 Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden. 5 Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben; 6 aber von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. 7 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, 8 und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. 9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
13 Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an. 14 Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. 15 Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. 16 Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.
Jesus ist unterwegs von Galiläa nach Judäa, von Nord nach Süd. Man findet ihn auf Straßen und Wegen, in Häusern und Synagogen. Immer ist er umringt von zahlreichen Menschen. Es muss eine Leidenschaft von ihm sein, zu trösten und zu heilen, gemeinsam zu essen und zu lehren. Sie hängen an seinen Lippen, wenn er Gesetz und Propheten auslegt. Diese Leidenschaft teilt er mit den Pharisäern und Schriftgelehrten.
Aber was gibt es da eigentlich zu besprechen und zu diskutieren? Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist. Ist nicht alles haarklein geregelt? So ähnlich wie bei uns, wo ja viele über die Flut von Gesetzen und Verordnungen klagen, und trotzdem werden es immer mehr. Gut so! Jedenfalls für die Juristen.
Man kann verschieden an die Sache mit den Gesetzen gehen. Was muss ich unbedingt beachten und tun? Und was darf ich auf keinen Fall machen?
Oder man fragt nach den Gesetzeslücken. Was ist noch nicht geregelt? Wo gibt es noch Spielräume, die es erlauben, bestehende Gesetze vielleicht sogar zu umgehen?
Das ist Jesu Herangehensweise gerade nicht. Und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen schätzen ihn die Gesetzeslehrer als kompetenten Gesprächspartner. Wenn es hier heißt: Sie versuchten ihn damit, dürfen wir das keineswegs nur negativ verstehen. Ich höre auch mit, dass sie ihn auf die Probe stellen wollten. Sie wollten seine Meinung hören. Sie wollten herausfinden, ob er wirklich schon in seinen jungen Jahren so ein kompetenter Gesetzeslehrer sei, wie man von ihm sagte.
Heute wollen sie eine bestimmte Frage mit ihm besprechen: ob es einem Mann erlaubt sei, sich von seiner Frau zu scheiden.
Warum fragen sie ihn eigentlich, wenn sie es selbst schon so genau wissen? Denn auf Jesu Nachfrage spielen sie auf eine Stelle aus dem 5. Buch Mose an. Aber so klar, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist es gar nicht. Im Gesetz geht es nämlich gar nicht darum, dass Mose Scheidungen gestattet. Es geht vielmehr um die Folgen für eine geschiedene Frau im Fall ihrer Wiederverheiratung (was wir heute nicht vertiefen). Mose setzt die Scheidung als Praxis einfach voraus. Und so war es auch zur Zeit Jesu und so ist es heute. Auch bei Jesus gibt es kein explizites Scheidungsverbot. Also ist sie erlaubt. Das wäre doch die logische Folgerung. Aber damit gibt sich Jesus noch lange nicht zufrieden.
Von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. Nun ist im ältesten Schöpfungsbericht mit Sicherheit nicht an die Ehe gedacht und an die bürgerliche mit ihren Rechten und Pflichten schon gar nicht. Wenn Jesus trotzdem auf diese Schriftstelle verweist, ist dies Anlass, über die Ehe hinaus zu denken. Es geht um Grundsätzliches. Wie kann Leben gelingen? Die Antwort: nicht allein! Nur im Miteinander und Gegenüber. Gott sagt: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Und Jesus nimmt darauf Bezug, wenn er sagt: Von Anfang an war es nicht so. Gott hat dem Menschen ein Gegenüber gegeben. Leben heißt darum: Zusammenleben; heißt: Leben teilen – mit oder ohne Trauschein. Und mit dem Segen wird deutlich: Gott will, dass Menschen gemeinsam ihren Weg gehen. Und sie dürfen dabei mit Gottes Zuwendung rechnen.
Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Und doch gehen Beziehungen in die Brüche, scheitern Ehen und zerbrechen Freundschaften. Die Fragenden erwarten von Jesus sicherlich eine klare Antwort. Ein klares Verbot der Ehescheidung oder ein resignierendes Einverständnis; ja oder nein.
So einfach aber macht er es ihnen nicht, sondern fragt nach den Gründen für die Zerrüttung einer Ehe – und zwar so, dass dabei Gottes ursprünglicher Wille hervortritt: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben. Hartherzigkeit – das ist die Diagnose. Sklerose des Herzens könnte man sagen – wenn man das griechische Wort nur zur Hälfte übersetzt. Und wie in unseren Blutgefäßen die Verkalkung fängt auch die Hartherzigkeit ganz klein an.
Was ist denn los mit dir? Irgendwas stimmt nicht.
Habe ich etwas nicht richtig gemacht?
Ich muss mich mehr anstrengen.
Habe ich vielleicht gegen eine unausgesprochene Regel versto0en?
Ich muss mir mehr Mühe geben. Auch Liebe will verdient sein.
Ich werde einen Kuchen backen. Dann ist aber mal gut.
Ich lasse mir nichts zu Schulden kommen.
An mir liegt es nicht. Ich habe alles richtig gemacht.
(Das ist der Weg der Selbstrechtfertigung, der in die Selbstgerechtigkeit führt.)
Soll sie doch sehen, wie sie klarkommt. Meinetwegen auch allein.
So kann es nicht mehr weiter gehen.
Zum Beispiel so könnte der Weg des Scheiterns, der Weg in die Hartherzigkeit aussehen. Was mit Gottes Segen begonnen hat, endet zerrüttet als Scherbenhaufen.
Hätte Jesus sie verurteilt? Nach allem, was wir von ihm wissen, wohl nicht. Aber er wäre traurig. Und die Frage nach Schuld hätte er auch nicht ausgeklammert.
Und wir? Wie würden wir urteilen?
Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Und wenn er nicht soll, dann darf er auch nicht. Und wenn er es trotzdem tut, dann ist es zu verurteilen. Ist doch logisch. Was Gott zusammengefügt hat, das muss auf Biegen und Brechen zusammenbleiben. Muss das die Konsequenz aus Jesu Worten sein? Die einzig schriftgemäße, die sich nicht dem Zeitgeist anpasst? Das würde gerade nicht Jesus entsprechen, der uns zeigt, wie die Bibel mit sich selbst im Gespräch ist, der sie nicht fundamentalistisch auslegt, sondern auf Gottes Wille hin befragt: der Liebe.
Ich habe noch ein anderes Wort für Hartherzigkeit gefunden: Segensvergessenheit.
Wo man vergisst, dass man gesegnet ist, vergisst man, dass das Wesentliche im Leben ein Geschenk ist. Dann zählt nur die eigene Leistung. Dabei verlernt man auch das Danken. Und das Herz wird hart unter Leistungsdruck.
Vielleicht haben sie sich schon gefragt, warum dieser lange Gesprächsabschnitt über Ehescheidung noch durch den Bericht über die Kindersegnung erweitert wurde. Ich bin sicher, dass viele Predigende ihn weglassen werden. Doch ich bin ganz froh darüber. Ist dies doch das notwendige Gegenstück zum Vorigen.
Jesus zeigt hier nämlich, was hilft gegen Segensvergessenheit und Hartherzigkeit: Seid wie die Kinder! Schaut sie euch an! Wenn sie etwas geschenkt bekommen, bringt sie das nicht in die Verlegenheit, Gleiches mit Gleichem vergelten zu müssen. Sie nehmen es unvoreingenommen mit Freude und leuchtenden Augen einfach an, und mit Neugier packen sie es aus.
Könnten wir grundsätzlich so auf das schauen, was Gott uns mit den Menschen an unserer Seite schenkt, wir wären dem Reich Gottes näher.
Für das kommende Jahr stehen schon zwei Trauungen in meinem Kalender. Die eine – ein junges Paar, noch ziemlich am Anfang der gemeinsamen Geschichte. Gesegnet zu werden für ihren Weg – das ist ihnen wichtig.
Das andere Paar ist dann gerade im Rentenalter und schon lange verheiratet. Natürlich geht es auch um den Segen für die verbleibenden Jahre. Segen kann aber hier auch noch etwas anderes sein. Die Perspektive aus der auf den schon zurückgelegten Weg geschaut wird. Wo wir nach Spuren des Segens suchen, werden wir nicht nur glücklichen Tagen und Stunden begegnen; auch schweren Zeiten, durch die uns Gott getragen hat. Wir werden vielleicht dankbarer sein. So entsteht Freiheit und Raum, auch auf unser Scheitern ohne Bitterkeit zu schauen.
Zum Miteinander sind wir gesegnet und damit der vergebenden Liebe Gottes unterstellt. Mit ihr ist zu rechnen. Unbedingt!
Amen.
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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