Predigt Sonntag Trinitatis, 7. Juni 2020 - Johanneskirche Alterlangen
Und der Herr redete mit Mose und sprach:
Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne. Numeri 6, 22-27
Liebe Gemeinde!
I.
Manfred Seitz, verstorbener Universitätsprediger hier in Erlangen, erzählte von einem Pfarrer in der Nähe von Ansbach. Er besuchte regelmäßig eine fast neunzigjährige Frau, die schon kaum mehr ansprechbar war. Ein Gespräch gab es nicht mehr, höchstens noch einen Austausch mit Gebärden, ein Nicken, ein Brummen. Als der Pfarrer es wieder einmal vergeblich versucht hatte, verabschiedete er sich und sprach zum Schluss den Segen, wie wir ihn vom Ende unserer Gottesdienste kennen:
Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Da ging plötzlich eine spürbare Bewegung durch den Körper der Frau, und sie sagte in bestem Fränkisch: „Heut’ hast amol was Gscheit’s g’sagt!“
Damit ist (fast) alles gesagt. Und damit ist auch der Fokus für diese Predigt gesetzt: Von mir erwartet Ihr eben auch schon in der Predigt, dass "was Gscheit's g'sagt" wird!
Die alte Frau ließ erkennen, dass diese altvertrauten Worte der Liturgie sie bis ins Innerste berührt haben. Das äußere Wort des Pfarrers gelangte an ein inneres Wort, das in ihr schon wohnte. Ihre Seele war nur noch zugänglich für das Wichtige und Zentrale.
II.
Liebe Gemeinde! Im Segen treffen wir, wie vor einigen Wochen beim Vaterunser, auch auf ein Stück Liturgie. Es ist der große priesterliche Segen aus dem Alten Testament, der auch für das Judentum Bedeutung hat. Die Worte werden über Mose an Aaron, den Priester, und seine Söhne weitergeleitet: „So sollt ihr sagen, wenn ihr das Volk Israel segnet!“ Luther hat diese Worte an das Ende des Gottesdienstes gestellt. Und dort gelten sie der ganzen Gemeinde - mit der Einzahl angesprochen - und jedem Einzelnen.
Und wenn man den Umfragen zum Gottesdienst glauben darf, dann gehört der Segen zu den Teilen, die vielen etwas Besonderes bedeuten. Als Pfarrer, der am Ende des Gottesdienstes den Segen spendet, merkt man das deutlich.
Wir sind in unserem Leben vielfach gesegnet worden - bei unserer Taufe, bei der Konfirmation, bei der Trauung, beim Gehen aus dem Gottesdienst. Menschen, die unsere Wege kreuzten, wurden uns zum Segen. Mich hat meine Mutter jeden Tag gesegnet, wenn ich in die Schule ging. Und noch als sie alt wurde und ich sie besuchte, habe ich manchmal, wenn ich mich noch einmal nach ihr umdrehte, gesehen, wie sie ein Kreuzeszeichen in meine Richtung machte. Später habe ich es mit ihr gemacht. Und jetzt mit meinem kleinen Enkel.
Und viele Menschen fahren ihren Kindern beim Verabschieden einmal durchs Haar - Reste der früheren Segensgeste, ohne dass sie es wüssten.
Fast immer, wenn ich bei Taufgesprächen auf die Möglichkeit hinweise, den Familiensegen zu spenden, wird dieses Angebot wahrgenommen. Kürzlich erst habe ich es erlebt: Ich bot an, der gewachsenen Familie für ihre neue Situation den Segen zuzusprechen. Eine kurze konzentrierte Stille trat ein, und dann sagten beide Eltern wie aus einem Mund „Ja“.
III.
Segen - Auch unsere von biblischen Bildern gesättigte Sprache gibt Hinweise.
Bei Frauenaurach verunglückte ein Lastzug. In der Zeitung stand: „Der ganze Segen kippte auf die Straße.“ Segen - das ist also Fülle. Er übersät einen anderen Bereich. Man kann ihn sehen und mit den Händen greifen.
In der profanen Alltagssprache hören wir Sätze wie:
„Meinen Segen hast du“ - oder aber: „Dazu gebe ich meinen Segen nicht!“. „Der hat es abgesegnet“, sagen wir. Segnen: bejahen, akzeptieren, fördern.
Gestern war im Internet zu lesen: Der Alt-Hippie Rainer Langhans betrachtet Corona als Segen. Damit spricht er aus, was viele jetzt denken: Diese Krisenzeit ermögliche eine Rückbesinnung auf die wichtigen Dinge des Lebens. Segen - etwas, was uns gut tut. Trotzdem - da wird etwas Segen genannt, was eigentlich nicht gesegnet wurde. Und Segen wird mit einem bestimmten Ziel, einer Absicht verbunden.
IV.
In der Bibel finden wir andere Spuren.
Ganz am Anfang der Schöpfung steht schon der Segen, den Gott auf das werdende Leben legt. „Gott schuf den Menschen als Mann und Frau ... und er segnete sie.“ Noch vor den Menschen segnet Gott in der Schöpfungsgeschichte übrigens die Tiere.
Die Vätergeschichten des Alten Testaments erzählen von Abraham, der mit seiner Frau noch im hohen Alter endlich ein Kind bekommt. Gott verspricht ihm: "Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein." Eine ungeheuerliche Dimension: "In dir sollen gesegnet sein alle Geschlechter dieser Erde."
Gott segnet werdendes Leben - Jesus segnet die Kinder. Er sieht in ihnen Vorbilder für uns Erwachsene. Er stellt den Großen, die meinen, bei dem, was Jesus ihnen zu sagen hat, käme es auf das Verstehen an, die Kleinen entgegen, die weniger verstehen, aber alles erwarten - sie, die Kinder, sind so selbst das Evangelium, die gute Botschaft, und deshalb werden, sind sie gesegnet; so wie sie sind, gebührt ihnen die fördernde Kraft des Lebens.
Gott verheißt seinem Wort den Segen, dass es nie, ist es einmal ausgesandt, leer zu ihm zurückkehrt (Jesaja 55) - Jesus zeigt auf die Saat auf dem Feld, die von alleine ohne unser Zutun, ist sie einmal gesät, wächst und aufgeht - „automatoos“, automatisch bringt die Saat Frucht. So wirkt Gottes Reich.
Am Ende des Lukasevangeliums, als Jesus sich bei der Himmelfahrt von seinen Jüngern verabschiedet auf dem hohen Berg, da segnet er sie. Es ist wie im Gottesdienst - Jesus legt ihnen die Schrift aus, er tröstet sie mit der Gabe des Hl. Geistes, die auf sie kommen wird, und dann segnet er sie zum Abschied.
Segen - das stille und stetige Handeln Gottes im Fluss unseres alltäglichen Lebens (C. Westermann). Menschen sprechen ihn aus, können ihn wie die Väter und Mütter auf die Kinder und wie die Priester auf die versammelte Gemeinde legen.
Und Gott setzt ihn um in die Tat.
V.
In unserer Sprache und auch in der Bibel hat der Segen ein Gegenbild: den Fluch. Ein Fluch wünscht hemmende oder zerstörerische Kraft auf andere herab. Der Segen tut das Gegenteil. Immer geht es um greifbare Wirkungen.
Gentechnik - Segen oder Fluch?
Hochbegabung - Segen oder Fluch?
Corona - Segen oder Fluch?
Oft wissen wir nicht, was uns zum Segen dient. Wir wissen nicht, woher eine Errungenschaft kommt und was sie für uns bewirkt. Geraten wir in lebensfördernde oder hemmende, zerstörerische Kraftfelder?
Und: Segnen wir, was eigentlich zum Fluch wird?
Ich denke an die Diskussion um die kirchliche Weihe des Münchener Flughafens vor vielen Jahren. Der katholische Erzbischof hatte zugesagt; die evangelische Gemeinde Neufahrn hat den evangelischen Landesbischof gebeten, nicht zu kommen. Der Flughafen habe schon so viel zerstört und werde die Umwelt weiter belasten helfen. Bischof Hanselmann hatte damals auch zugesagt und bemerkt: „Er sage ja nicht, dass der Flughafen gut sei; er sage ihm und den Menschen darin Gutes zu.“
Jesus trägt uns auf in der Bergpredigt, auch für unsere Feinde zu beten: „Segnet und flucht nicht“.
Lasst auch durch den Segen das Böse ins Leere laufen; so wirkt sich Gottes Reich schon jetzt und hier aus.
VI.
Ich will eine alte biblische Geschichte aufrufen aus dem 1. Buch Mose, der Genesis - In Genesis 32 führt der Erzvater Jakob seine ganze Familie über den Fluss Jabbok und bleibt in der Nacht allein zurück. Da geschieht es: Er wird von jemandem überfallen. Ein Mann sei es gewesen, ein Mensch, aber es bleibt unklar. Und mal ist es Jakob, der die Übermacht behält, mal die andere Macht. Jakob wird dabei verletzt, vielleicht Folge eines unfairen Schlags des Gegners auf seine Hüfte. Und dieser andere versucht, beim Morgengrauen sich aus dem Kampf zu lösen. Aber Jakob lässt ihn nicht - mit dem bekannten Satz: "Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich."
„Mein Leben ist ein Kampf“ - sagte mir einmal eine alte Frau. Ja, ich bin überzeugt, dass es sich in unserer Geschichte um eine Lebensnacht handelt, um eine lange Lebensnacht, in der Jakob kämpft mit allem, was ein Leben schwer macht, von außen und von innen.
Dieser andere - Jakob kennt und erkennt ihn nicht.
Gerhard von Rad, bekannter Prof. für Altes Testament, hat in einer Predigt dazu gesagt: Es ist das Unbekannte und Unbegreifliche, das sich aber auch unversehens zum Entsetzlichen wandeln kann, und das "mitten in unser aller Leben" sitzt. "Es sitzt mit uns zu Tisch und steht vor dem Bett, in dem wir schlafen, und wir müssen ihm standhalten." Ja wir müssen es annehmen, damit wir nicht zugrunde gehen. Und wir können dadurch aus ihm heraus Kraft gewinnen.
"Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn..." - Der, der das sagt, Jakob, nutzt seine letzte Chance: Er hat erkannt, dass in dieser entsetzlichen Gegenkraft eine "weiche Stelle" ist, die sich nutzen lässt.
Darin erkannte Jakob letztlich, dass er nicht mit einer anonymen Macht kämpft, sondern mit Gott. Und dass es seine letzte Chance ist, seine, wie G.v.Rad weiter sagt, Armut und Leere ihm hinzuhalten und "durch das Dunkle hindurch wie durch eine ganz dünne Hülle den himmlischen Vater anzureden, ihn festzuhalten und seinem nächtlichen Segen stillzuhalten."
Es lohnt sich, um den Segen zu kämpfen, oder besser: im Lebenskampf die positive Energie, und sei es in nur einem letzten Restfunken, zu sehen und zu ergreifen.
"Glaubt mir", sagt G.v. Rad, "dieses Wort 'ich lasse dich nicht, du segnest mich denn', das durch das Entsetzliche hindurch oder an ihm vorbei den himmlischen Vater anruft, ist eines der wissendsten Worte, das je über eines Menschen Lippen gegangen ist." Und darauf hat Gott Jakob einen neuen Namen gegeben, als einer, der ihm seine Bedürftigkeit hingehalten hat, damit Gott seine Leere fülle und ihn segne.
Fulbert Steffensky hat einmal gesagt, Segen empfangen ist der höchste Grad von Passivität, den es gibt. Da gibt es nichts zu tun oder zu geben, nur zu empfangen. Mit diesem großen Geschenk gehen wir dann nach dem Gottesdienst in unsere je eigene Welt zurück.
Am Ende der Jakobs-Geschichte heißt es: Und es ging ihm die Sonne auf. Und Jakob nannte den Ort des Kampfes Pniel, das heißt: Ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist gesund geworden.
Segen in Corona-Zeiten - so viele Menschen wie wohl noch nie kämpfen gerade mit diesem Phantom eines Virus - unsichtbar, aber für viele unerkannt plötzlich wirksam. Und die Begegnung mit ihm hinterlässt Spuren an uns allen, auch wenn wir keine Symptome haben oder gar unser Leben lassen müssen.
Ich wähle nochmals G.v.Rads Worte: "Durch das Entsetzliche hindurch oder an ihm vorbei wie durch eine dünne Membran Gott anrufen", ihn nicht lassen, um gesegnet zu werden - dann wird auch wieder die Sonne aufgehen.
Und das Entsetzliche tritt uns ja derzeit in vieler Gestalt entgegen, nicht nur im Virus, sondern auch darin, wie sich die Mächtigen und andere dabei verhalten.
Und so wird es auch für uns Glaubende, aber auch für unsere Gemeinde, für die Kirche, für die Religionsgemeinschaften nach Corona, im Zwielicht der aufgehenden Sonne, darum gehen, auf dem rechten Weg den Spuren Gottes nachzusinnen, ja auch eine gesegnete Theologie zu betreiben, die Gott nicht ihr Wissen hinhält, sondern ihre Bedürftigkeit: Kyrie eleison!
"Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!"
Unsere Lebenspuren, die Verwundungen und Narben, die wir an uns herumtragen - Spuren des Ringens um den Segen. Unser Leben - eine Segensgeschichte!
VII.
Die hebräische Wortwurzel für Segnen "brk" bedeutet eigentlich "ansehen". Die uralte Geste des Segens antwortet damit auf menschliche Bedürfnisse, die für uns als soziale Wesen das ganze Leben hindurch grundlegend bleiben:
Zuwendung erhalten und angesehen werden, angesprochen und anerkannt werden.
Die neuere Forschung bei Säuglingen hat gezeigt, dass das wechselseitige Ansehen im frühkindlichen Zusammenspiel mit der Mutter wesentlichen Einfluss auf die Beziehungsprägung des Kindes seiner späteren Welt gegenüber ausübt.
Und vor vier Wochen habe ich schon das schöne Gedicht von Gabriela Mistral zitiert: "Wenn du mich ansiehst, werd ich schön!"
Wie mancher Tag ist durch das strahlende Lächeln eines fremden Menschen schon gerettet worden? Wenn uns schon menschliches Leuchten segnet, wie dann erst Gottes Angesicht! In einem neuen Gesangbuchlied von Kurt Marti trägt dieses Angesicht jetzt die Züge des Jesus von Nazareth - "Gott mit dem Antlitz des Menschen".
Gott ist kein Unbekannter. Er trägt einen Namen. Deshalb ist die dreifache Namensnennung nötig. Es muss klar sein, von wem ich Segen erbitte: von Gott, der sich in Jesus zu erkennen gegeben hat, und den ich durch den Heiligen Geist kennen kann.
Und der Segen geschieht mit dem Zeichen des Kreuzes, weil dieses Zeichen gleichsam die Unterschrift, die einmalige und kenntliche Unterschrift Gottes ist.
Er geht mit uns, wohin wir auch gehen. Schutzbedürftig, immer bedroht, werden wir gehalten durch seinen Segen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Pfr. Christoph Reinhold Morath
cr-m [klammeraffe] gmx [punkt] de
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