Predigt vom 27. Juni 2021

Predigt 4. Sonntag nach Trinitatis Sommerfest Johannesgemeinde 27.06.2021
1. Mose 50,15-21
Pfarrerin Dr. Bianca Schnupp

Die Gnade...

In der Stille... gib mir ein Wort für mein Herz...

 

Liebe Gemeinde!

Sind die Menschen, von denen in der Bibel erzählt wird, Vorbilder? Die Antwort wird alle, die schon ein bisschen Bibel gelesen haben nicht überraschen: Nein, die meisten nicht. Nein. Nehmen wir nur mal die höchst spannende und literarisch großartig Josefsgeschichte: Ein Vorbild begegnet da nicht. Die 10 Brüder Josefs sind keines, da sind wir uns schnell einig: Sie hassen ihren jüngsten Bruder. (Ich sage jüngster Bruder, denn das Baby Benjamin zählt nicht.) Und sie erlauben ihrem Hass, sich auszutoben: Umbringen wollen sie ihn, lassen sich dann von dem Ältesten grade noch dazu bringen, ihn nur in ein Loch zu schmeißen. Als die ägyptische Karawane vorbeikommt, ist der Älteste gerade nicht da: Sie verkaufen ihren eigenen Bruder. Und dem Vater gaukeln sie vor, der sei von wilden Tieren zerrissen worden, wie sein blutbefleckter Umhang.
Der Vater: ist auch kein Vorbild. Wie kann ein Elternteil so dumm sein und ein Kind so offensichtlich vorziehen? Spürbar war es immer, er hat sich nie bemüht, das zu verbergen. Und dann noch komplett sichtbar gemacht: Schenkt ihm einen bunten Umhang, wunderschön, ein Festtagsgewand – und lässt ihn damit auf der Weide arbeiten.

Aber auch Josef selbst ist kein Vorbild: Ein völlig naiver Angeber ist er, erzählt Träume, in denen sich die Brüder vor ihm verneigen. Erzählt das den Brüdern selbst – kann er sich denn gar nicht einfühlen? Merkt er nicht, dass der Vater ihn immer wieder bevorzugt? Muss er das den Brüdern noch aufs Butterbrot schmieren?

So sind Familien. Keine Vorbilder, nirgends. So erzählts die Bibel – so ist das Leben. Und Gott? Manchmal gut versteckt... Erbarme dich, Herr!

[Lied: Kumbaya my Lord]

Josef – nach Ägypten verkauft. Aus den Augen, aus dem Sinn war er seinen Brüdern sicher nicht. Seine Schreie haben sie vielleicht noch verdrängen können, die Trauer des Vaters haben sie jeden Tag vor Augen. Wie kommt es zur Versöhnung? Durch die blanke Not. Die Hungersnot treibt sie nach Ägypten, dort gibt es Getreide, das müssen sie kaufen. Dass ihr Bruder dort Macht hat, ja, dass er derjenige ist, der die Hungernot dort abgewendet hat mit Gottes Hilfe – das ahnen sie nicht. Sie erkennen ihn auch nicht, als sie ihm gegenüberstehen. Er – lässt sie zappeln, ganz lange, vielleicht ein Jahr. Fordert einen Bruder als Geisel, weil er den allerjüngsten sehen will, das Baby, das nun auch schon groß  ist. Und wieder Vaters Liebling, der zu Hause geblieben ist. Sie müssen die Spielchen dieses mächtigen Mannes mitspielen, sie sind ihm ausgeliefert, immerhin: Sie haben gelernt, jetzt setzen sie sich ein für den allerjüngsten, wollen ihren Vater vor Kummer schützen. Endlich, endlich gibt er sich zu erkennen, die ganze Familie, auch der greise Vater, wird nach Ägypten geholt, lebt dort gut. Dann stirbt der Vater. Wird ehrenvoll begraben in der Heimat. Und dann, dann kriegen die Brüder wieder Angst. Wird Josef weiter freundlich bleiben? Hier, ganz am Ende der Josefsgeschichte, steht unser Predigttext, im 1. Buch Mose, im 50. Kapitel:

5Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.
16Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte.

18Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? 20Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

[Lied: Meine Zeit steh in deinen Händen...]

 

Keine Vorbilder gibt es in der Josefserzählung. Gut, vielleicht am Schluss der Josef. Als er in all dem Schweren, das er durchmachen musste, einen Sinn erkannt. Und als er auf´s Verurteilen verzichtete: „Stehe ich an Gottes Statt?“ – wir erkennen die Lesung wieder, mit dem Balken und der Barmherzigkeit...
Vorbildlich aber wohl auch die Brüder in der Anerkennung ihrer Schuld. Keine Ausreden mehr.

Ja, man sieht sich immer zweimal im Leben.

Da stellt sich eine vor in der Firma. Wundert sich über so genau Nachfragen nach der Schule. Bis sie merkt: Ohje, die Personalchefin, das war genau die, den wir gemobbt haben damals. Weil sie uns, ehrlich gesagt, einfach zu schlau war. Das hat sie sich auch so raushängen lassen. Aber, ehrlich gesagt: Wir waren richtig gemein. Oje. Und jetzt brauch ich die Stelle... Gut, ich spreche das jetzt an, da hilft nix anderes mehr als Offenheit und ehrliches Bedauern. War ja auch Mist, was wir getan haben...

Die Versöhnung – manchmal aus der Not geboren. Gott sei Dank möglich.

[Lied: Mir ist Erbarmung widerfahren]

 

 

Versöhnung: Am Ende ein Wunder Gottes. Freilich ohne Anerkennung dessen, was verkehrt war, nicht zu haben.

Gestern, im Radio, ein Feature über den deutschen Überfall auf die Sowjetunion vor 80 Jahren. Der Reporter Paul Kohl reist 45 Jahre später durch Russland. Sozusagen auf den Spuren der Wehrmacht. Beim Rückzug werden Orte und Städte systematisch zerstört. 628 Dörfer mit ihren Bewohnern drinnen verbrannt. Das Dorf Baiki wird im Januar 1944 niedergebrannt. Sie treffen einen Mann, der damals in einer Scheune eingesperrt war, in letzter Sekunde konnten sie die brennende Türe eintreten und er konnte sich und seinen Vater retten. Der Mann zeigt dem Paul Kohl, wo das war. Da greift er sich ans Herz, er hat Schmerzen, sie fahren ihn heim, in das neue Dorf Baiki, wenige Kilometer weit weg. Im Garten gibt es Birnen. Nehmen Sie sich von den Birnen. Sagt der Mann. Nehmen Sie sich, soviel Sie wollen. Und grüßen Sie das deutsche Volk. Sagen Sie ihm, wir wollen in Frieden miteinander leben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

[Lied: Wie ein Fest nach langer Trauer...]

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