Predigt zum 1. Sonntag nach dem Christfest, 2. Januar 2022
1.Johannes 1,1-4
1 Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens
2 und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist,
3 was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.
4 Und dies schreiben wir, auf dass unsere Freude vollkommen sei.
Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.
I.
Liebe Gemeinde!
Wir haben die ersten Zeilen eines Briefes gehört.
Es kann sein, dass sich jemand beim Hören fragt: „Ein Brief soll das sein? Da fehlt doch etwas: Damals war es wie heute: zuerst wird in einem Brief der Absender genannt, dann der Name der Empfänger. So beginnen die Briefe der Apostel. Paulus an die Römer: „Paulus, ein Knecht Christi Jesu… an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom…“ Oder auch „Petrus, Apostel Jesu Christi an die auserwählten Fremdlinge…“ Oder: „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme in der Zerstreuung.“ Oder: „Judas, Knecht Jesu Christi, und Bruder des Jakobus an die Berufenen…“
Unsere heutige Epistel ist überschrieben „Der erste Brief des Johannes“. Aber wirklich hilfreich für unseren Glauben ist es, dass wir bedenken und betrachten, was uns hilft, in der Gemeinschaft mit Gott und in der Gemeinschaft miteinander zu leben. [1]
II.
Was will der Briefschreiber erreichen? Der letzte Satz ist eine Zusammenfassung: „Dies schreiben wir, dass unsere Freude vollkommen sei.“
Das Ziel der christlichen Hoffnung heißt „Freude.“ Freude ist ein Wort voller Sehnsucht - wohl von uns allen. Freude ist es, wenn wir verstanden werden. Wenn wir anerkannt sind. Wenn wir lieben und Liebe erfahren. Unsere Freude aber ist immer wieder auch bedroht. Sie kann enttäuscht werden. Oft sind wir in der Gefahr, unsere Freude selbst zu zerstören: wenn sich unsere Gedanken nur um uns selber drehen und wenn unsere Wünsche nur erwarten, dass wir im Mittelpunkt stehen. Dann kann es sein, dass wir blind werden für die frohe Botschaft und nicht mehr erkennen, dass Freude ein Geschenk des Himmels ist und dass Gott uns auf seine Weise gemeinschaftsfähig macht.
„Einsamkeit – die unerkannte Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich“. So beschreibt ein Gehirnforscher seine Erkenntnisse auf dem Titelblatt seines Buches „Einsamkeit.“[2]
Der Apostel fasst zusammen: „Dies schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.“
III.
Wann ist Freude vollkommen? „Was von Anfang an war…“ Die Heilige Schrift will uns lehren, den alten Worten zu vertrauen, dass am Anfang nicht der Zufall war und dass am Anfang nicht blinde Energie herrschte. Am Anfang war Gott, der sprach und seine Worte nahmen Gestalt an.
Ein Gebet in der Liturgie des Heiligen Abendmahls der Episkopalkirche Englands formuliert es beeindruckend: Die alte Wahrheit ist Grundlage unseres Glaubens. Diese will in heutiger, verständlicher Sprache weitergegeben werden:
„Herrscher des Universums. Auf deinen Befehl entstanden alle Dinge: die unermessliche Weite des Raumes, Galaxien, Sonnen, die Planeten in ihren Bahnen, und unsere zerbrechliche Erde… Aus den allerersten Elementen hast du das Menschenge-schlecht erschaffen und uns mit Erinnerung, Verstand und Können gesegnet. Du hast uns zu Herrschern der Schöpfung gemacht. Aber wir haben uns gegen dich gewandt und dein Vertrauen verraten…“[3]
Gott ist der Gott des Anfangs geblieben. Nach der Schöpfung kam der Vertrauensbruch der Menschen mit ihrem Schöpfer. Nach der Sintflut ein Neu-Anfang. Immer wieder und immer wieder beginnt Gott. Im Neuen Testament sagt der Evangelist Johannes: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ Und ähnlich: „Was von Anfang war – wir haben es gehört, gesehen, betastet, wir bezeugen es, wir verkündigen“. Jesus Christus ist der Weg des ewigen Lebens.“
IV.
Wir entdecken, fast wie nebenbei, wie das kleinste Wort größte Bedeutung gewinnt: „Wir.“ Nicht ein Einzelner redet oder gebietet oder verbietet. Eine Gemeinschaft gibt die Wahrheit über die bleibende Beziehung zu Gott weiter. Zu diesem kleinen Wort „Wir“ gehört dann das Wort „uns“ – „Mit unseren Augen haben wir gesehen“. Das „Wir“ führt weiter zum „Euch“, „Das verkündigen wir euch“. Und gleich darauf: damit auch „ihr mit uns“ Gemeinschaft habt – „unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.“
Martin Luther ist ein Lehrer der biblischen Meditation. Er schlägt uns vor: Die Worte und Gedanken der Bibel sollen wir „widerkäuen“ – langsam und erwartungsvoll: „Das Wort Gottes ist eine Speise, wer sie isst, den hungert immer mehr danach.“[4]
Eine Theologin unserer Zeit berichtet von ihrer Erfahrung: „Psalmen essen. Die Psalmen sind für mich eines der wichtigsten Lebensmittel. Ich esse sie. Ich trinke sie, ich kaue auf ihnen herum, manchmal spucke ich sie aus und manchmal wiederhole ich mir einen mitten in der Nacht. Sie sind für mich Brot.“[5]
„Was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet hat, vom Wort des Lebens… das verkündigen wir auch euch…“
„Wir“ – das sind Jesu Jünger, Frauen und Männer, Menschen, die dabei waren, als er verkündigte, als er heilte, als er sich den Armen und den Verachteten zuwandte. „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete…“, so beschreiben die Emmausjünger ihre Geschichte mit dem auferstandenen Christus.[6]
„Wir“, dazu können auch wir in unserer Gegenwart gezählt werden, die Glieder der christlichen Gemeinden durch alle Zeiten.
V.
Hören, sehen, tasten, riechen, schmecken: Gottes Gabe ist, dass wir unser Leben als Sinn erleben. Gottes Gabe ist viel mehr: In uns kann Gottes Wort wachsen. In unserem Herzen können wir mehr schauen als natürliche Augen sehen. In unserem Denken kann geduldiges Tasten von Christus gelenkt werden. „Denn wir sind für Gott ein Wohlgeruch Christi …“[7]
Wie erfahren wir diese Gemeinschaft? Ein Wort beherrscht den ganzen Gedankengang: Das Wort „Leben“. „Wir bezeugen euch das Wort des Lebens…. Wir bezeugen euch das Leben, das ewig ist … In Christus ist das wahre Leben erschienen.“ Das ist die Weihnachtsbotschaft für unseren Alltag.
Diese Botschaft ist für viele schwer zu verstehen. Zur Zeit des Briefes dachten manche Christen: Wir verstehen Gott nicht. Er ist weit weg. Christus hatte wahrscheinlich einen Scheinleib. Er war nur zu Besuch bei uns. Heutzutage meinen manche gutwillige Gläubige: Gottes Gegenwart spüren wir nur hin und wieder in festlichen Stunden. In normalen Zeiten ist er für uns nicht da.
Gemeinschaft mit Gott und miteinander ist kein festlicher Ausnahmezustand. Einsame haben nur sich. Sie grübeln. Sie vermuten. Sie errichten Gedankengebäude in ihrem Kopf, die ihre Vorurteile gegen andere stärken. Sie betrachten wieder und wieder ihre Enttäuschungen. Sie können nichts anderes mehr als neue Enttäuschungen erwarten. Nicht selten ist Einsamkeit wie eine Krankheit.
Gemeinschaft mit Christus ist ein Geheimnis. In der Feier des Heiligen Abendmahls bekennen wir: „Geheimnis des Glaubens. Deinen Tod, o Herr, und deine Auferstehung preisen wir – bis du kommst in Herrlichkeit.“
Das Geheimnis Gottes will in uns wohnen. „Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.“ Das Geheimnis wird bleiben. Aber wir können unsere Sinne öffnen für das himmlische, das göttliche Leben. Das Geheimnis werden wir als Geschenk empfangen.
Darum beten wir:
Gott, segne uns zum Hören. Dein Wort wachse in uns.
Gott, segne uns zum Sehen. Dass wir mehr schauen können als natürliche Augen sehen.
Gott segne uns zum Tasten. Wir können einander den Friedensgruß schenken, der deine Gabe ist. Gott, segne uns, dass dein Geruch unser Herz berührt und unser Geruch nicht abstoßend ist. Wir wollen für Gott ein Wohlgeruch sein, damit wir ein Zeugnis seiner Liebe werden. Amen.
Arno Mattejat nach einer Vorlage von
Bischof a. D. Georg Güntsch
Asternstr. 28, 90617 Puschendorf
georgguentsch [klammeraffe] gmx [punkt] de
[1] 1.Joh. 1,4.
[2] Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Einsamkeit, 2018.
[3] Ausgewählte Liturgien, Aus dem Book of Common Prayer, nach dem Gebrauch der Episkopalkirche, 2004, 243.
[5] Dorothee Sölle, verst. 2003, in: Anselm Grün, Die Fenster der Seele öffnen, Christen und ihre Gebete vom Mittelalter bis heute, 2013, 158 ff.
[6] 2Kor 2,15.
[7] Dorothee Sölle, verst. 2003, in: Anselm Grün, Der Fenster der Seele öffnen, Christen und ihre Gebete vom Mittelalter bis heute, 2013, 158ff.
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