Predigt zum vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, 13. 11. 22
Johanneskirche Erlangen
Liebe Gemeinde
I.
Gegen Abend auf einem Bahnsteig in Nürnberg:
Den ganzen Tag waren wir unterwegs und warten ungeduldig auf den Anschlusszug nach Hause.
Da taucht ein jüngerer Mann mit einer schäbigen Reisetasche vor uns auf und spricht mich an.
Er sei vor Kurzem aus der Haftanstalt entlassen worden, habe keine Arbeit gefunden und keine Bleibe.
In Leipzig hat er einen Verwandten, bei dem kann er wohnen, bis er eine Arbeit gefunden hat.
10 € fehlen ihm für die Fahrkarte nach Leipzig.
10 € erbittet er von mir, um neu anfangen zu können.
Ich bin skeptisch und frage nach: Gibt es keine Wiedereingliederungshilfe oder Grundsicherung …
Die Umstehenden sind schon aufmerksam geworden und schauen interessiert, wie ich agiere.
Soll ich hart bleiben und das Problem an das Sozialamt oder die Bahnhofsmission weiterschieben?
Lieber gehe ich weiteren Nachfragen und Diskussionen aus dem Weg und mache die 10 € locker, um meine Ruhe zu haben
und vor den anderen nicht als herzlose Zeitgenossin dazustehen.
Eine Geschichte mit schlechtem Beigeschmack:
Es ging mir nicht um eine soziale Tat, eher darum, mich aus einer unangenehmen Situation freizukaufen.
Ähnlich unangenehm berührt mich die Erzählung von der Witwe und dem ungerechten Richter:
Auch hier bittet ein Mensch um Hilfe,
aber die Umstände, unter denen geholfen wird, machen nicht glücklich.
Der Richter ist selbstherrlich und rücksichtslos gegenüber den Menschen. Er tut der Witwe den Gefallen aus Angst vor Scherereien und weil die Witwe ihn nervt.
II.
Jesus – sagte ihnen ein Gleichnis,
eine Beispielgeschichte, die einen Vergleichspunkt hat:
hier der ungerechte Richter, dort Gott… ???
Ist etwa Gott ein ungerechter Richter?
Denken wir nicht manchmal insgeheim, vielleicht auch unbewusst genau so?
Gott – es mag ihn geben, aber wer weiß, ob er mich kennt,
mich und meine Situation?
Wer weiß, ob er noch die Kontrolle hat über das, was in dieser Welt vor sich geht?
Gott der Weltenherrscher, der über allem steht? Warum greift er nicht endlich ein und sorgt für Gerechtigkeit?
Er lässt so vieles einfach geschehen.
Er lässt es zu,
- dass viele, die an ihn glauben, verfolgt und entrechtet werden.
- dass so viele unschuldige Menschen in Kriegen und bei Katastrophen umkommen.
- dass vieles geschieht, auch in unserem Umfeld, was wir nicht verstehen, was uns zweifeln lässt!
Hört, was der ungerechte Richter sagt! Jetzt lässt Jesus uns aufhorchen:
Er hilft schließlich der Witwe…
Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Er wird ihnen Recht schaffen, er wird sie in ihren Nöten erhören und ihnen helfen.
Gott ist alles andere als ungerecht, selbstherrlich und pflichtvergessen! Ihr seid in den Augen Gottes keine anonymen Personen, die er so schnell wie möglich wieder loswerden will – Ihr seid seine auserwählten und geliebten Kinder! Ihr seid ihm gegenüber nicht darauf angewiesen, um euer Recht zu betteln – er richtet nicht nach menschlichen Maßstäben,
er ist euer liebender und gnädiger Vater!
Das ist die gewaltige Zusage Jesu, wie Lukas sie überliefert, allen, die sein Evangelium lesen und hören.
Einige Kapitel früher erzählt Jesus schon das Gleichnis vom Freund, der mitten in der Nacht um Brot bittet.
Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben… (Kap. 11, 8-9)
Beide Gleichnisse stehen im selben Kontext:
Jesus ist mit seinen Jüngern unterwegs nach Jerusalem.
Lukas überliefert Jesu Reden und die Gespräche über seine Sendung und seinen schweren Weg.
Der Evangelist weiß im 1. Jh. N. Chr. Und erst recht wir heute mehr als die Jünger zu Jesu Lebzeiten verstanden:
Er wird ihnen Recht schaffen, sagt Jesus. - Gott hat schon Recht geschaffen.
Er hat schon für Gerechtigkeit gesorgt durch seinen Sohn.
Jesus ging für uns in den Tod, Gott hat ihn auferweckt und zum Richter zu seiner Rechten eingesetzt.
Wenn Jesus wiederkommt, erst dann wird wirkliche Gerechtigkeit herrschen.
III.
In der Lesung haben wir aus dem Matthäus-Evangelium Jesu Rede vom Weltgericht gehört.
Der Weltenrichter fordert Rechenschaft, erinnert an die Verantwortung zum Handeln, wenn Menschen Hilfe brauchen, erinnert an Nächstenliebe und Barmherzigkeit als christliche Tugenden.
Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan, sagt Jesus.
Zu den Werken der Barmherzigkeit gehört die Sorge um Gefangene.
Die Gefangenen-Hilfsorganisation Amnesty international – keine christliche Organisation, aber viele Christen engagieren sich darin -
kümmert sich um Gefangene, die zu Unrecht im Gefängnis sitzen und denen Folter und Tod drohen.
Sie schreibt Briefe an Gerichtshöfe und Regierungen der betroffenen Länder, um sich für die Gefangenen einzusetzen, ihnen Hafterleichterungen zu verschaffen und ihre Freilassung zu erwirken. Die Erlanger Ortsgruppe legt in unserer Kirche solche „Briefe gegen das Vergessen“ aus. Im Gottesdienstblatt werden wir immer wieder gebeten, Briefe abzuschicken.
(Vielleicht sind manche von der Daueraktion genervt, aber manchmal hilft sie, wie in Projektberichten von AI zu lesen ist.)
Und die Briefe gegen das Vergessen sind wie ein Gebet…
…. ich will doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage…
Eine Witwe kämpft um ihr Recht, zur Zeit Jesu ist sie chancenlos.
Sie kann nur eins: Bitten, Hartnäckig sein, Dranbleiben. Immer und immer wieder.
Für Lukas ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte.
Handeln lässt sich nicht durch Beten ersetzen,
aber wie oft stoßen wir mit unseren Möglichkeiten, zu handeln, an Grenzen.
Dann ist Beten christliches Handeln.
Wir kommen in unserer Not zu Gott,
liegen mit unseren Bitten Gott in den Ohren.
Wenn es um die schiffbrüchigen Flüchtlinge im Mittelmeer geht
oder um die Demonstranten in Iran, die um Leib und Leben fürchten müssen.
„Beten hilft.“, hört man manchmal so lapidar.
Je nach dem, was Menschen in ihrem Leben erfahren, wenn das Beten scheinbar nicht geholfen hat, kann das auch bitter, zynisch klingen.
Aber wir haben Jesu Zusage: Gott wird Recht schaffen.
Wenn wir bitten, wird uns gegeben, wenn auch nicht immer so, wie wir es erwarten.
IV:
Beten – trotz allem, wenn ich ratlos bin und nichts tun kann,
Der erwachsene Sohn lebt sein eigenes Leben, ich sollte und kann ihn nicht umstimmen.
Die Schwester, weit entfernt, leidet unter ihrer Parkinson-Krankheit, ich kann sie nicht besuchen.
Der Partner braucht eine belastende Therapie gegen seine Krankheit, Ich kann ihm nur zur Seite stehen.
Alles kann ich vor Gott bringen, für sie alle kann ich beten
und darauf vertrauen, dass sie nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Eine Bekannte erzählt von ihrer schweren Krankheit.
„Ich bete für dich“ verspreche ich.
Es gibt ihr Kraft, jemand ist da, der glaubt, dass es Hoffnung gibt.
Allezeit beten und nicht nachlassen –.
In Kirchen ist Raum für Gebet:
eine Kerze anzünden, einen Zettel an die Gebetswand heften,– Formen des Gebets, bei denen es nicht viel Worte braucht.
Die Fürbitte ist in der Gemeinde, besonders im Gottesdienst, zentrales Element, als Hilferuf zu Gott.
Wir wollen uns mit den bestehenden Verhältnissen nicht abfinden,
wir sind mit der Welt noch nicht fertig,
wir erwarten noch etwas von Gott.
Wir gewöhnen uns nicht an den Gedanken ,
dass mitten in Europa wieder ein Krieg tobt,
für den auf beiden Seiten Soldaten in die Schlacht geschickt werden, verwundet werden, sterben…
Volkstrauertag aktuell - Weltgebetstag.
Beten als christliche Tugend.
Nicht vergessen. Nicht dran gewöhnen. Dranbleiben, allezeit beten und nicht nachlassen.
Es gibt Gebetskreise,
in der Johannesgemeinde mittwochs das „Gebet für die Gemeinde“,
in der Martin-Luther-Gemeinde beten „Eltern für ihre Kinder“,
und Sonntag abends gibt es ein Friedensgebet.
Sollte aber Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, fragt Jesus.
Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Das ist Jesu Zusage.
Das ist die große Hoffnung, die uns zum Beten ermutigt, die unsere Gebete und Fürbitten, ja unser ganzes Leben trägt.
Doch wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?, fragt Jesus.
Glauben wir an die Macht des Gebets?
… nicht mit Gleichgültigkeit und Ungerechtigkeit abfinden;
nicht verzweifeln und nicht in Hoffnungslosigkeit versinken.
Das Vaterunser beten:
Vater unser im Himmel, Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden ... Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen
Prädikantin Friedegard Brohm-Gedeon
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