Predigt am Totensonntag, 20.11.2022
Predigttext: Joh 6, 35-40
35Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir
kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird
nimmermehr dürsten. 36Aber ich habe euch gesagt: Ihr habt mich
gesehen und glaubt doch nicht. 37Alles, was mir der Vater gibt, das
kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht
hinausstoßen. 38Denn ich bin vom Himmel gekommen, nicht damit ich
meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.
39Das ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich nichts
verliere von allem, was er mir gegeben hat, sondern dass ich’s
auferwecke am Jüngsten Tage. 40Denn das ist der Wille meines Vaters,
dass, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben habe; und
ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.
Liebe Leserin, lieber Leser!
Ein Ding Verlieren und deswegen unruhig oder traurig sein; etwas Wiederfinden, Erleichtert- und Frohsein – das geschieht beinahe täglich. Das Finden, leider, ist jedoch nicht so selbstverständlich. Manches bleibt verloren.
Verlust ist immer. So sagt der Obsthändler, der am Morgen die Waren ausbreitet und weiß, alles werde ich nicht verkaufen können. Manches landet abends in der Tonne. Verlust ist immer, sagt auch die Töpferin, die ihre Ware verschickt. Und so sorgsam sie auch alles einpackt, immer geht etwas zu Bruch.
Verlust ist immer. Wer so spricht, der hat sich damit abgefunden.
Du musst dich damit abfinden, dass der Mensch, den du geliebt hast, nicht mehr da ist. So versucht man uns zu trösten. Geborenwerden, Leben und Leben verlieren – das gehört doch ganz natürlich zusammen. Schau nach vorn. Auch mit dem Verlust geht das Leben weiter. Es muss!
Heute legen wir im Namen Gottes Widerspruch ein gegen das Verlieren. Und das ausgerechnet am Totensonntag, wo doch der Tod, der uns zu Verlierern macht, so präsent ist. Trauer und Schmerz hat er uns gebracht in einem uns aufgezwungenen Tausch gegen die Menschen, die wir verloren haben.
Wir stemmen uns gegen das Verlieren, versuchen festzuhalten, was wir noch in Händen halten: den Klang der Stimme, das Aussehen, gemeinsam Erlebtes, Lachen und Weinen. Und doch sind alle Erinnerungen wie der Sand, der zwischen den Fingern hindurch rinnt.
Auch wenn wir noch mit ihnen reden, Bilder aufstellen, ihre Sachen unangetastet lassen – nichts kann darüber hinwegtäuschen: Sie sind nicht mehr unter uns.
Am Grab sprechen wir die Worte: Christus wird sie auferwecken. Ist das Ausdruck unserer Hilflosigkeit angesichts des Todes oder unserer Hoffnung? Ich habe es noch nicht erlebt, dass Tränen dann plötzlich versiegen oder Trauer aus den Gesichtern verschwindet. Was gibt uns das Recht, so zu sprechen? Den Tod auszulachen? Woher diese Gewissheit?
Dass die Bäume nach dem Winter wieder neue Blätter bekommen, sagt uns die Erfahrung. Es war schon immer so. Und es gibt keinen Grund zu der Annahme, im nächsten Frühjahr könnte es anders sein. Aber Worte wie Auferstehung oder ewiges Leben reichen hinüber in ein Land, von dem wir nichts wissen, von dem wir keine Erfahrung haben. Stochern wir damit nur im Nebel? So habe ich es bei profanen Trauerreden schon erlebt, die auch trösten wollten und ohne eine diffuse Hoffnung auf ein Später nicht auskamen? Unsere Hoffnung hat einen Grund, an dem sie sich festmacht: Jesus Christus, der sagt: Ich bin das Brot des Lebens.
Wenn es um Brot geht, da können wir mitreden. Da kennen wir uns aus. Jeder hat so seine Erfahrung mit Brot; ob es nun alt oder frisch, weich oder hart ist. Wie es duften muss, welche Sorte gut ist; kurzum: Wie es sein muss, damit es mir richtig schmeckt.
Jesus hat einmal gesagt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Nun ist uns vielleicht gerade das Wasser im Mund zusammengelaufen – und dann so ein Bibelwort. Das soll uns jedoch nicht den gerade geweckten Appetit nehmen. Im Gegenteil! Denn es geht hier nicht um eine Abwertung des Leiblichen gegenüber dem Geistigen. Es geht um Brot – wie so oft in der Bibel. Wie beim Manna, dem Brot, das vom Himmel fiel, um Israel vor dem Hungertod zu retten. Wie bei der Speisung der 5000 oder dem Brotbrechen Jesu mit Zöllnern oder seinen Jüngern.
Brot.
Brot allein.
Brot allein ist Mist.
Brot allein ist Brot nur für mich allein, ohne andere. Brot allein ist einsames, hartes Brot, wie es manche von ihnen nun zu essen haben.
Freilich: Brot allein sichert Überleben. Aber wer will schon ein Über-Leben und das Leben dabei verpassen?
Brot des Lebens kann nur geteiltes Brot sein. Weil es das Leben ausmacht, dass wir es mit anderen teilen. Erst in Gemeinschaft wird das Brot zum Brot des Lebens. In der Gemeinschaft mit anderen Menschen und mit dem, der dieses Brot zugleich ist und austeilt – Jesus Christus.
Dieses Brot, könnte man mit Worten des Apostels Paulus sagen, schmeckt nach der Gewissheit, dass nichts uns trennen kann von der Liebe Gottes. Es schmeckt nach Geborgenheit. Wir sind diejenigen, die Jesus anvertraut sind: Alles, was mir der Vater gibt... Wir sind die, die nach Gottes Willen Jesus nicht verlieren darf. So wie ein Hirte keines der Schafe verlieren darf. Nach Jesu Worten macht das den guten Hirten aus, dass er sogar unter Einsatz seines Lebens denen nachgeht, die verloren gehen könnten. Auch denen, die sich selbst verlieren in Trauer, Verzweiflung, Bitterkeit.
Verlieren kann man aber nur, was man schon besitzt. Wir sind in Gottes Hand. Wir gehören zu Jesus Christus. Das Brot, das er mit uns teilt, macht uns dessen gewiss. Es erinnert nicht einfach nur an Jesus. Dann würde es hart werden, wenn die Erinnerung verblasst. Aber es ist frisches, lebendiges Brot, weil er auferstanden ist, und wir mit ihm den Auferstandenen mitten in unserem Leben entdecken – als Trost, Geborgenheit, Frieden.
So wird unser Hunger gestillt werden. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Nein, das stimmt nicht ganz. Ein Hunger bleibt. Der nach diesem Brot. Denn wer einmal erfahren hat, wie es schmeckt, der vergisst es nicht. Dem bleibt die Sehnsucht.
Wir haben in diesem Jahr viele Menschen verloren. Trauer ist immer wieder unser Begleiter. Sie hat ihr Recht und braucht ihren Ort und ihre Zeit. Doch die, deren Verlust wir beklagen, sind bei Gott nicht verloren. Christus wird sie auferwecken. Das wissen wir durch das Brot des Lebens, das Jesus selbst ist. Dieses Brot wäre trügerisch, wäre seine Haltbarkeit begrenzt; reichte es nur für dieses Leben. Es schmeckt nach Liebe, die nicht aufhört; nach Gemeinschaft, die durch den Tod nicht zerbricht; nach Leben, ewigem Leben, das Gott neu schafft. Es macht uns hier schon gewiss, dass wir selbst und die, die wir vermissen bei Gott auch durch den Tod nicht verloren gehen. Amen.
Pfarrer Cyriakus Alpermann
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