Predigt zur Jubiläumskonfirmation 12.7.2020
Liebe Gemeinde!
So ein Fest wie heute ist für Predigende ein willkommener Anlass, einmal aus der Reihe der vorgegebenen Predigttexte auszuscheren und einen hierfür besonders passenden Bibelabschnitt heranzuziehen. Ich hätte das auch bedenkenlos getan; aber es war überhaupt nicht nötig. Passender könnte es gar nicht sein!
Wir blicken heute zurück auf den Tag der Konfirmation; auf unser erstes öffentlich gesprochenes Ja zu unserer Taufe und zur Nachfolge Jesu Christi. Und so lese ich auch den Predigttext. Ich lese ihn mit den Augen des alten Simon Petrus, der zurückblickt auf eben dieses, sein erstes Ja zu Jesus.
1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth.
2 Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.
6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen.
7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
8 Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,
10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.
11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach. (Lk 5,1-11)
Heute ist ein Tag des Rückblickes. Es ist, als ob wir das Lot durch die Fülle der Jahre herablassen, wie der Seemann es auswirft, um die Tiefe des Meeres zu bestimmen. So ein Lot, wenn es denn schwer genug ist, hat die Eigenschaft, dass es zwei Punkte auf dem kürzesten Weg miteinander verbindet. Das ist die Gerade. Auch auf einem gedachten Zeitstrahl ist die direkte Verbindung eine Gerade. Sie suggeriert das immer gleiche Maß der Zeit, so wie wir sie mit der Uhr messen. Doch so erleben wir die Zeit nicht. Das merken wir, wenn wir aus unserem Leben erzählen. Da können wir uns an einem Tag eine Stunde aufhalten und zehn Jahre in einem Nebensatz verschwinden lassen. Immerhin: Das Lot kommt an seinen Bestimmungsort: Heute ist es der Tag unserer Konfirmation. Und wenn sie sich nachher austauschen und fragen: „Weißt du noch…? Erinnerst du dich noch…? Kennst du noch…?“, dann lichtet sich der Nebel über den vielen vergangenen Jahren, und der Tag der Konfirmation steht uns wieder deutlich vor Augen. Die Kirche, der Pfarrer, unser gesprochenes Ja und der Segen in der Gemeinde. Und vielleicht auch unser Kleid oder Anzug und die Menschen, mit denen wir damals gefeiert haben. Und bestimmt sind sie sich in dem Urteil einig, dass es damals alles viel einfacher zuging als heute.
Bei Simon, dem Fischer, ging es an diesem Tag auch einfach zu. Er trug keinen gebügelten Anzug, sondernd die schon etwas muffig gewordene Arbeitskleidung eines Fischers. Und er war auch nicht voll festlicher Vorfreude, sondern zutiefst deprimiert an diesem Morgen. Mitten in der Nacht war er mit seinen Gesellen aufgestanden. Sie hatten Netze und Boote fertig gemacht und waren auf den See hinausgefahren. Keiner wusste so gut wie Simon, wann und wo der See einen guten Fang versprach. Aber in dieser Nacht war alles anders. Wieder und wieder warfen sie die Netze aus, doch alle Mühe war vergeblich. Kein Fischlein blieb im Netz hängen. Im Morgengrauen gaben sie auf und ruderten zum Ufer zurück. Sie legten die Netze zum Trocknen aus, an denen es heute nichts zu reinigen und zu säubern gab. Dann machten sie die Boote fertig für die nächste Nacht und setzten sich noch für einen Moment stumm ans Ufer, um sich zu wappnen für den schweren Gang nach Hause, wo man berichten musste: „Heute haben wir nichts gefangen. Nichts für das Feuer, nichts für den Markt, um es einzutauschen gegen etwas anderes Essbares.“
Da näherte sich ihnen Jesus, umringt von einer großen Menschenmenge. Ausgerechnet auf Simon ging er zu und bat ihn, mit dem Boot ein Stück auf den See hinauszufahren, damit er unbedrängt von der Menge zu den Menschen sprechen könne. Simon tat, was Jesus ihm sagte. Und nachdem Jesus gesprochen hatte, sagte er zu ihm: „Und nun wirf noch einmal die Netze aus.“ In Simon kochte es. Jesus sah nicht aus wie einer, der sich mit dem Fischen auskannte. Und er wollte ihm, dem erfahrenen Fischer, sagen, wie er sein Handwerk auszuüben hatte? Aber nun war es auch schon egal. Und seine Widerstandskraft war gebrochen an diesem Morgen. So warf er die Netze aus. Es dauerte nicht lange, bis die Stricke sich strafften und die Netze sich mit Fischen füllten. Und es waren so viele, dass Simon seine Gefährten zu Hilfe rufen musste. Und sie fürchteten, das Boot könnte sinken, so viel Fisch hatten sie gefangen. Da erschrak Simon. Er fühlte sich beschämt von diesem Fang. Und die Vergeblichkeit seines bisherigen Lebens wurde ihm bewusst. Und er sagte zu Jesus: „Herr, geh fort von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch.“ Aber Jesus tröstete ihn, indem er sagte: „Simon hab keine Angst. Von nun an wirst du keine Fische mehr fangen, sondern Menschen gewinnen für Gottes Sache auf der Erde.“ Und Simon? Er hat einfach Ja gesagt, dieses erste, entscheidende Ja und ist mit Jesus mitgegangen.
Ich weiß nicht, ob Simon seitdem die Jahre gezählt hat und dann auch irgendwann so ein Jubiläum gefeiert hat, wie wir es heute tun. Aber ganz sicher hat er diesen Tag nicht vergessen. Und die Eindeutigkeit, mit der er sich damals zur Nachfolge Jesu bekannt hat, wird ihm ein Maßstab gewesen sein für die Beurteilung der vielen Jahre, die kommen sollten.
Am Anfang stand die Begeisterung. Wie leicht hatte er die Verheißung eines neuen Lebens ergriffen, nachdem ihm die Armseligkeit des alten bewusst geworden war. Auch war der Bruch zu seiner Familie wohl gar nicht so radikal, wie wir uns das denken. Denn schon bald finden wir Jesus und Simon im Haus seiner Schwiegermutter. Sie hat Fieber, und Jesus wird sie heilen.
Simon hatte immer eine besonders große Nähe zu Jesus. Er, Jakobus und Johannes waren dabei, als Gott sich auf dem Berg der Verklärung zu Jesus, seinem Sohn, bekannte. Es war Simon, der zuerst gegenüber Jesus erklärte: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Und Jesus antwortete: „Du bist Petrus, der Fels, auf den ich meine Gemeinde bauen will.“
Alles klar zwischen Jesus und Petrus, wie Simon nun genannt wurde? Nur wenig später ist es dieser Petrus, der sein tiefes Unverständnis gegenüber Jesus äußert, als er von seinem bevorstehenden Weg durch das Leiden spricht: „Das widerfahre dir nur nicht!“ Und Jesus ist entsetzt über seinen Jünger.
Petrus ist es, der Jesus auf dem Wasser entgegengeht. Und es ist sein Glaube, der sich dann als nicht tragfähig erweist. Wie oft ist uns dieser sinkenden Petrus schon nahe gewesen, wenn uns der Glaube nicht den erhofften Halt gegeben hat; gerade dann, wenn wir ihn so nötig gebraucht hätten.
So wenig, wie es uns gelingt, die Eindeutigkeit dieses Jas zur Nachfolge Jesu durchzuhalten, so wenig ist es Simon Petrus gelungen. Als Jesus den Beistand seiner Jünger gebraucht hätte, in jener Nacht in Gethsemane als er um seinen Weg mit Gott rang, da sind sie einfach eingeschlafen und haben ihn im Stich gelassen.
Es kam noch schlimmer. Während Jesus vom Hohepriester verhört wurde, verleugnet Petrus ihn draußen auf dem Hof. Ja, er schwört sogar bei seinem Leben, dass er Jesus nicht kenne. Aber es sind nicht nur Worte, mit denen Jesus verleugnet wird. Es geschieht auch durch Dinge, die wir tun oder unterlassen.
Was wir aber auch an der Geschichte dieses wankelmütigen Simon Petrus sehen können: Jesus hat ihn nicht losgelassen. Wen er einmal berufen hat, den lässt er nicht los. So ist Petrus zu einem der ersten Augenzeugen des Auferstandenen geworden und dann neben Paulus zum führenden Apostel.
So lässt sich mit Petrus auf die eigenen verflossenen Jahre zurückblicken. Erinnerung ist nötig. Ohne Erinnerung könnten wir uns nicht vorstellen, dass es früher einmal anders gewesen ist als heute, und dass es morgen und übermorgen anders sein kann und wird, denn Gottes Geschichte mit uns ist noch nicht zu Ende. Wir erinnern uns, um daraus Kraft für das Morgen zu schöpfen. Für das Morgen werden wir gesegnet. Es wird nicht ohne Gott sein. Der einmal die Hand auf unser Leben gelegt hat, der lässt uns nicht los. Nicht aber ist der Segen die Erfüllung all unserer Wünsche. Ein letztes Mal schauen wir auf Petrus. Am Ende des Johannesevangeliums sagt Jesus zu ihm: „Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst.“ Es kommt die Zeit – oder hat sie schon längst begonnen? -, wo wir auf Wege geführt werden, die wir uns nicht selbst ausgesucht haben. Wege, auf denen unser Ja ein schwaches, vielleicht brüchiges ist. Doch wenn wir uns jetzt erneut unter den Segen Gottes stellen, dann dürfen wir wissen, dass Gott sein Ja zu uns niemals zurücknimmt. Vielmehr wird er uns – das können wir an dem Weg Jesu erkennen – durch alles Schwere hindurch nur tiefer in seine Liebe hineinführen. Amen.
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