Predigt zu 1. Mose 8,4-12
Im ersten Buch Mose in den Kapiteln 6 bis 8 steht die Erzählung von der Sintflut. Sie gehört zur so genannten Urgeschichte. Die Urgeschichte sind die ersten elf Kapitel in der Bibel. Die stehen in gewisser Weise chronologisch am Anfang. Aber bedeutend ist die Urgeschichte vor allem deshalb, weil sie von der grundlegenden Beziehung zwischen Gott und den Menschen erzählt.
Am Anfang erschafft Gott den Menschen. Damit beginnt Gott eine Beziehung. Dann kommt ein ganz wesentlicher Schritt in der Beziehung zwischen Gott und Mensch: Gott gibt dem Menschen Freiheit. Er sagt: „Gestaltet die Welt! Ihr könnt alles tun, ihr dürft auch von allem essen, außer von einem Baum.“ Und was macht der Mensch? Er isst ausgerechnet die Frucht von diesem Baum. Das ist ein Vertrauensbruch des Menschen. In der nächsten Generation geht es so weiter: Da kommt noch ein Mord dazu. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Die Menschheit vermehrt sich trotzdem, Generation folgt auf Generation. Und dann kommt die Sintflutgeschichte. Gott sieht, wie das Verderben seinen Lauf genommen hat. Und er beschließt, die Menschen zu vertilgen und die Tiere gleich mit dazu. Nach menschlichen Maßstäben wäre die Bibel jetzt zu Ende.
Vielleicht haben Sie das auch schon erlebt: Eine Beziehung anfangen ist das Eine. Das geht oft ganz gut und leicht. Aber wenn der erste Schwung vorbei ist und es folgt Enttäuschung um Enttäuschung: Was soll das dann noch? Lassen wir lieber die Finger davon.
Nach menschlichen Maßstäben ist es mehr als verständlich, dass Gott eine Sintflut kommen lässt. Ich lass mir doch nicht auf der Nase herumtanzen. Dann halt ned.
Aber die Urgeschichte überschreitet unsere Maßstäbe. Sie erzählt, wie Gott an der Beziehung festhält. Er rettet Noah und seine Familie und die Tiere. Und damit rettet er die Menschheit und die ganze Welt.
Die Sintflutgeschichte ist in ihrem Kern deshalb keine Geschichte von Vernichtung, sondern von Rettung. Gott rettet den Menschen, obwohl er enttäuscht, verletzt worden ist. Gott hat die Beziehung mit den Menschen nicht nur angefangen. Er hält sie auch durch. Das ist das eine, die theologische Seite der Sintflutgeschichte.
Und dann gibt es auch die anthropologische, die menschliche Seite. Der Mensch – Noah – nimmt das Rettungsangebot Gottes an. Er baut einen großen Kasten, die Arche, und bringt sich und seine Familie und die Tiere in Sicherheit.
So was kennen wir ja aus der jüngsten Vergangenheit. „Bring dich in Sicherheit! Bleib zuhause!“ Sicherheit ist aber nicht nur ein Bedürfnis der Corona-Zeit. Es gibt auch sonst Situationen im Leben, die von Sicherheit, von Rückzug geprägt sind. Manche Paare reagieren zum Beispiel so, wenn sie ein Kind bekommen. Dann igeln sie sich regelrecht ein. Die Außenwelt wird für sie unwichtig, sie leben in ihrer eigenen kleinen Welt. Das soll man auch nicht kritisieren. Manche brauchen das eine Zeitlang. Die Trendforschung spricht dabei von Cocooning. Wenn die Welt draußen zu komplex wird, zu unübersichtlich, zu stressig, oder auch wenn sie zu anstrengend, zu enttäuschend ist, dann begeben sich Menschen gern in die Sicherheit eines selbst gemachten Kokons. Wie Noah und seine Familie in der Arche. Monatelang waren sie in dem Kasten. Das hat sie über Wasser gehalten, über die unwirtlich gewordene Welt getragen. Ein Kokon angesichts der Stürme des Lebens.
Die Frage ist nur: Wie kommt man da wieder raus?
Die Bibel erzählt davon:
Am siebzehnten Tag des siebenten Monats setzte die Arche auf dem Gebirge Ararat auf. Es nahmen aber die Wasser immer mehr ab bis auf den zehnten Monat. Am ersten Tage des zehnten Monats sahen die Spitzen der Berge hervor. Nach vierzig Tagen tat Noah an der Arche das Fenster auf, das er gemacht hatte, und ließ einen Raben ausfliegen; der flog immer hin und her, bis die Wasser vertrockneten auf Erden. Danach ließ er eine Taube ausfliegen, um zu erfahren, ob die Wasser sich verlaufen hätten auf Erden. Da aber die Taube nichts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu ihm in die Arche; denn noch war Wasser auf dem ganzen Erdboden. Da tat er die Hand heraus und nahm sie zu sich in die Arche. Da harrte er noch weitere sieben Tage und ließ abermals die Taube fliegen aus der Arche. Sie kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, sie hatte ein frisches Ölblatt in ihrem Schnabel. Da merkte Noah, dass die Wasser sich verlaufen hatten auf Erden. Aber er harrte noch weitere sieben Tage und ließ die Taube ausfliegen; sie kam nicht wieder zu ihm.
Die Taube ist in der Bibel ein Tier, das dem Menschen nahe ist. Das merkt man daran, dass sie zu den biblischen Opfertieren gehört. Man hat ja früher Tiere geopfert, um Gott zu danken. Oder auch um Buße zu tun. Dazu hat man Schafe genommen, Ziegen, in besonderen Fällen einen Stier. Und eben auch Tauben. Die Opfertiere hat man natürlich auch greifbar haben müssen. Es hat wenig Sinn zum Beispiel vorzuschreiben: Opfere einen Steinbock. Bis man da einen findet und fängt – das kann Jahre dauern. Die Taube aber, die war ein Haustier.
Sieben Monate und siebzehn Tage, heißt es, war die Arche auf dem Wasser unterwegs. Dann ist sie auf Grund aufgesessen. Und Noah wartet. Und wartet. Zweieinhalb Monate. Und dann nochmal 40 Tage. Eigentlich denkt man, hätte er in dieser Zeit doch mal schauen können. Auf einer Leiter zur Dachluke der Arche hochklettern und mal gucken, was da zu sehen ist. Aber das macht Noah nicht. Allein schon dieser Schritt ist zu groß für ihn.
Und dann nimmt Noah Tiere zu Hilfe. Vögel. Erst einen Raben. Der bringt ihm aber nichts. Der Rabe ist ein wildes Tier, hat keine Bindung zum Menschen. Er fliegt immer hin und her und kommt nicht zurück. Dann probiert es Noah mit einer Taube. Die ist ein Haustier und sie kommt zu ihm zurück. Tauben fliegen immer nach Hause. Nach sieben Tagen lässt Noah die Taube zum zweiten Mal raus. Wieder kommt sie zurück. Und dieses Mal hat sie einen frischen Ölzweig im Schnabel. Jetzt weiß Noah, dass draußen wieder was wächst.
Und dann wartet Noah nochmal sieben Tage. Außer dass die Geschichte insgesamt sehr vom Abwarten geprägt ist, ist das jetzt auch ein interessantes Detail, finde ich. Denn eigentlich könnte Noah die Taube doch jeden Tag rauslassen. Mal schauen, was die noch so bringt. Aber was würde dann passieren? Die Taube würde wahrscheinlich noch einen Ölzweig bringen. Vielleicht auch einen Buchenzweig. Oder ein Stückchen von einem Palmenblatt. Und was würde die Taube mit den Zweigen machen? – Sie würde ein Nest bauen. Und dann würde die Arche ihr bleibendes Zuhause.
Bleib zuhause! Die Welt ist chaotisch – igele dich lieber ein! Bau dir ein Nest, da wo es sicher ist! Eine Zeitlang kann das genau richtig sein. Aber die Zeit muss begrenzt bleiben.
Die Noah-Geschichte ist eine Urerzählung. Sie bringt die tiefen Wahrheiten über Gott und Mensch zur Sprache. Und die beiden grundlegenden Wahrheiten der Sintfluterzählung sind: Zum einen: Gott rettet den Menschen. Er hält an der Beziehung zum Menschen fest. Zum anderen: Gott hält auch daran fest, dass der Mensch frei sein soll. Er rettet den Menschen nicht, damit er einfach überlebt und mit seiner Familie in einem selbst gezimmerten Kasten, einem Kokon, dahinschwimmt. Gott rettet den Menschen, damit er frei ist. Am Anfang der Schöpfung hat Gott dem Menschen Freiheit gegeben. Und jetzt macht er es wieder. Obwohl Gott weiß, dass der Mensch die Freiheit missbrauchen wird, dass er wieder gegen Gebote verstoßen wird, dass es auch wieder Mord und Totschlag geben wird, schenkt Gott dem Menschen erneut Freiheit.
Gott braucht den Menschen in seiner Freiheit. Eine wahre Beziehung gibt es nur, wenn beide Partner frei sind. Wenn einer den anderen einsperrt, ihm die Freiheit nimmt, auch wenn es gut gemeint ist – ich will dich ja nur schützen – dann kann daraus letztendlich keine wahre Beziehung entstehen.
Nachdem die Taube mit dem Ölzweig gekommen ist, sperrt Noah sie sieben Tage lang in der Arche ein. Dann lässt er sie ein letztes Mal hinausfliegen. Und diesmal kommt die Taube nicht mehr zurück. Obwohl sie ein Haustier ist, nah bei den Menschen, findet sie ihren eigenen Platz, draußen, wo nach der Sintflut wieder Raum zum Leben entsteht.
Noah und seine Familie bleiben noch einige Wochen in der Arche. Alles hat seine Zeit und jeder braucht seine Zeit. Aber die Taube hat ihnen die Richtung vorgegeben. Den Weg in die Freiheit, zu der Gott uns berufen hat.
Und am siebenundzwanzigsten Tage des zweiten Monats war die Erde ganz trocken. Da redete Gott mit Noah und sprach: Geh aus der Arche.
Amen.
Pfrin. Barbara Eberhardt, Frauenaurach und Kriegenbrunn
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