Predigt
Pfarrerin Ulla Knauer
3. Advent
(11.12.2022)
Jesaja 40, 1-11
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.
- Einleitung
Liebe Gemeinde!
Letztens sagte zu Hause die Oma über die Kinder: Was man Kindern nicht beibringen muss, ist der Befehlston. Der ist angeboren. Hol! Mach! Bring! Gib! Kauf ein! Mal ein Haus! Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich am Tisch gesagt habe: Das heißt: „Kannst du mir bitte die Butter geben!“ Und nicht „Butter!“ oder „Her damit!“ Kennen Sie das?
Man muss den Kindern allerdings eins lassen. Der Vorteil des Befehlstons, des Imperativs ist, dass die Aussage absolut eindeutig und unmissverständlich ist. Und damit sind sie sehr nah an Gott in der Bibel. Wenn er einen Menschen direkt anspricht, beruft, einen Auftrag erteilt, ist das auch äußerst direkt und klar. Denken wir an Mose, an Jona, an Abraham. Gott sagt ganz klar: Geh nach Ägyptenland! Sag dem Pharao! Oder zu Jona: Geh nach Ninive! Da hören wir kein „Überleg mal, kannst du bitte für mich nach Ägypten gehen?“ Klar und deutlich ertönt Gottes Wille. In der Regel wird mit wenig Begeisterung reagiert. Aber am Auftrag vorbei kommen sie nicht.
Auch unser Predigttext ist heute im Imperativ. Viele Aufforderungen und Befehle ertönen hier. Unmissverständlich spricht Gott bei Jesaja im 40. Kapitel sein Volk in Gefangenschaft an. Wir befinden uns in Babylon. Im Exil. Die Heimat, Jerusalem, besiegt. Die Häuser zerstört. Das Heiligtum nicht mehr da, ausgeraubt. Die Menschen in Kriegsgefangenschaft, als Zwangsarbeiter. All das vor ungefähr 2600 Jahren.
Der Text ist sprachlich sehr dicht verfasst, darum habe ich mich entschlossen, dass ich ihn in Teilen lesen werde und jeweils dazu etwas sage. Wir beginnen mit der Überschrift, den ersten beiden Versen:
- Überschrift „Tröstet!“
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.
„Tröstet! Redet! Predigt!“ Gleich drei Aufforderungen zu Beginn. Wer reden soll, wissen wir noch nicht. Aber es soll so geredet werden, dass das Wort Trost bringt. Wer braucht den Trost? Die Gefangenen. Die Heimatlosen. Das Volk fern von Jerusalem.
Liebe Gemeinde,
Bei der Beschäftigung mit diesem Predigttext. Wir hören gleich, wie es weitergeht, ging mir immer wieder durch den Kopf, zu wem der Text redet. Die Adressaten waren die Gefangenen, die Exilierten, die Machtlosen. Und ich könnte von mir nicht behaupten, dass ich authentisch sprechen könnte, was diese Menschen durchgemacht haben.
Ich persönlich hatte einfach Glück in meinem Leben. Ich persönlich stand nie in der Schlange der Tafel oder musste Hunger leiden. Ich persönlich war nie in Gefangenschaft. Ich persönlich musste nie mein Zuhause verlassen und in ein fremdes Land fliehen. Ich persönlich habe nie meine Familie verloren. Ich persönlich hatte nie eine Krankheit, für die es kein Medikament gab. Ich hatte Glück. Kann ich dann hier predigen? Darum habe ich mich dafür entschieden, dass ich eher zur Hörenden werden muss. Was haben andere erlebt in ähnlichen Situationen? Die Predigt wird daher eine literarische Predigt. Es kommen verschiedene Stimmen zu Wort.
- Erste Aufforderung: Eine Prozession für den wahren Gott
Drei Aufforderungen folgen der Trostüberschrift. Hören wir die Erste:
3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.
Die Bildsprache, dieses sprachliche Kunstwerk ist beeindruckend und fragwürdig zugleich. Wir wissen sofort: Kein Mensch kann das schaffen: Berge zu Täler. Eine gewaltige Veränderung der Schöpfung. Wozu also diese Sprachgewalt?
Blicken wir nach Babylon, wo sich das exilierte Volk befindet. Bei den Persern wie bei den Römern waren Prachtstraßen in den Hauptstädten üblich. Dort feierte man Prozessionen, zu Ehren der Siege, die errungen wurden oder zu Ehren der für Israel fremden Götter. Wer die Prachtstraße bestimmte und die Prozession abhielt, der hatte im Land die Macht. Der hatte Recht. Eine Prozession für den Gott Israels, würde alles umkehren. Aus Gefangenschaft wird Freiheit. Aus Demütigung, neue Achtung und Stolz. Und wenn der wahre Gott, viel mächtiger und größer ist als die Scheingötter der Anderen, dann wäre auch die Prachtstraße unvorstellbar größer als die in der Fremdherrschaft. Darum dieses Bild: Eine Straße, ein Weg, quer durch die Wüste. Wohin? In die Heimat. Der lebendige Gott bringt sie heim.
Wie aber können wir Christen diese Prophezeiung lesen? Wir kennen die Geschichte schon. Wir wissen von der Rückkehr. Wir wissen vom 2. Tempel. Noch mehr: Wir bekennen Christus, als unseren Retter. Ihn brauchen wir, nicht den Weg durch die Wüste. Kann uns der Text auch heute noch was sagen? Interessant ist der letzte Satz nach diesem phantastischen Bild. Mancher Zuhörer in der Gefangenschaft mag den Kopf geschüttelt haben bei diesem Luftschloss: „Ja, klar wünschen wir uns Freiheit. Aber schau dich doch mal um!“ Aber dann: „Denn des HERRn Mund hat’s geredet!“ Es ist kein Wunsch. Es ist das Ziel des lebendigen Gottes. Dann ist es gültig.
Wenn wir Christen Weihnachten feiern, dann erinnern wir uns genauso an eine Gültigkeit: An die Gültigkeit der Rettung in Jesus. Hören wir auf Worte von Kurt Marti:
Kurt Marti, Weltsaite
An Weihnachten wurde die „Weltsaite“ gespannt, die Gott und Mensch verbindet, die den Prozess unserer Menschwerdung hält und steuert. Und wenn es zuweilen scheint, dass alle Stricke reißen – diese Saite reißt nicht. Zu tief, zu endgültig hat Gott sich an Weihnachten mit uns Menschen eingelassen. Zu sehr ist er nun am Prozess unserer Menschwerdung beteiligt. Die Stürme der Unmenschlichkeit, die durch uns selber, durch unser Leben, durch unsere Welt fegen und gefährlich an allen Hoffnungen rütteln, sie können die an Weihnachten ein für allemal gespannte Saite nicht mehr entzweireißen, sie bringen sie immer nur zum Singen: Sie singt vom kommenden Menschen, wie Gott ihn vollenden wird nach dem Bilde des Menschen Christus. Das ist die Zukunftsmusik, die erstmals über dem nächtlichen Bethlehem aufklang.
- Der zweite Aufruf, „Predige!“
6 Es spricht eine Stimme: Predige!,
und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein.
Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Hier passiert die Berufung. Eine Person, vermutlich Jesaja, wird angesprochen. Er soll den Trost ausrichten. „Predige!“ Wie so oft im Alten Testament keine Begeisterung zu spüren, sondern die Gegenfrage: Was soll ich hier schon sagen können? Angesichts der Katastrophe! Wäre es nicht Hohn, vor den Menschen von Trost zu sprechen? Jesaja solidarisiert sich mit seinen Landsleuten, und sagt: Schau doch hin: Wir sind hier am Verdorren, wie das Gras im Sommer. Doch die Aufforderung wird wiederholt, zum Teil wird Jesaja Recht gegeben. Ja, der Mensch ist sterblich und muss viel leiden. Aber Gott ist nicht weg. Sein Ziel bleibt gültig.
Anscheinend spürt Jesaja, dass die Stimme, dass Gott es ernst meint. Zumindest hören wir keine Widerrede mehr.
Wie leicht oder schwer wird man zum Propheten? Ein Beispiel aus unserer Zeit ist Diana Ezerex, 27 Jahre alt, aus Karlsruhe. Ihre Begabung: Ihr Gesang, und ihr Engagement in der offenen Jugendarbeit. Eher zufällig lernt sie auf einem Konzert einen Gefängnisdirektor einer Jugendhaftanstalt kennen. Daraus entsteht die Idee, Konzerte im Gefängnis zu geben. Bei ihrem ersten Auftritt war sie nervös, vor erwachsenen Männern, manche mit lebenslangen Haftstrafen. Sie sagt „Geschockt hat mich, wie normal diese Männer aussehen können.“ Ein anderes Mal beteiligte sie sich musikalisch an einem Gottesdienst für Frauen in Untersuchungshaft. „Ich habe noch nie mit so einem Kloß im Hals singen müssen. Das war heftig. Das ist für mich jetzt immer noch emotional.“ – berichtete sie beim Interview. Sie konnte den Frauen ansehen, dass sie noch nicht wissen, wie es für sie ausgeht. Manche sind schuldig. Manche unschuldig. Wie lange werden sie bleiben müssen? Manche hatten Besuch von ihren Kindern während des Konzerts und wussten: Ist das Konzert vorbei, müssen sie sich wieder vorerst trennen. Manche Zuhörer wollen danach mit ihr reden. Sagen ganz liebe Sachen. Es sind einfach Menschen, die Ermutigung brauchen. Leider ist es für Diana Ezerex kompliziert, teilweise mit 1 Jahr Voranmeldung. Doch sie will dabeibleiben. Weil sie merkt, welche Wirkung sie mit ihren Auftritten erzielt:
Ermutigung. Trost.
- Gott braucht einen Chor an Boten, nicht nur Einen, auch uns?!
Kommen wir zum dritten und letzten Imperativ:
9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.
Plötzlich ein Ortswechsel. Wir sind nicht mehr in Babylon. Angesprochen ist nicht mehr Jesaja. Angesprochen ist Zion, Jerusalem. Da heißt, Jerusalem lebt. Ist nicht verödet und tot. Jerusalem lebt. Was ist Jerusalem? Gemeint ist hier nicht die geographische Stadt. Jerusalem, „Ir shalom“ auf Hebräisch, die Stadt des Friedens. Die Gesellschaft mit dem Friedensherrscher. Also das Volk und sein lebendiger Gott. Seit Jesus können auch wir uns mit dem Namen Israel und Jerusalem angesprochen fühlen. Auch wir sind Teil, des Friedensreichs, des Königreich Gottes. Was macht diese Identität mit uns? Wir bekommen eine Aufgabe. Wem klar ist, dass er zu Gottes Reich gehört, kann nicht stumm bleiben, kann seine Stimme zum Trost benutzen.
Hören wir Frau Meike Winnemuth, ein Bericht von einem Besuch in Israel:
„Dass ich Dir ausgerechnet aus Israel scheibe, dem Gelobten Land, ist kein Zufall. Seit ich hier bin, denke ich noch mehr als sonst schon in diesem Jahr darüber nach, was mir heilig ist. Woran ich glaube. Was meine Werte sind. Dagegen kann man sich gar nicht wehren: Dieses Land nötigt jeden zu einer Grundsatzdebatte mit sich selbst. Wenn du im Bus sitzt und links geht es nach Bethlehem und rechts zum See Genezareth, bist Du so sehr im Großenganzen, an der Quelle, bei den Fundamenten von Glaube, Liebe, Hoffnung und Menschsein, dass du nicht unberührt bleibst, nicht mal ich. … Woran ich also glaube? … An Empathie, Aufmerksamkeit füreinander … an sinnlose Freundlichkeit, die keine Gegenleistung erwartet. Ich glaube, die wirkt …. ansteckend. Ich glaube, dass sich ein Leben daran misst, wozu man Ja und wozu man Nein sagt.“ (Meike Winnemuth, Was mir heilig ist)
- Was bleibt? „Tröstet, tröstet!“
Ich komme zum Schluss nochmal zur Überschrift des Textes: Tröstet! Das ist das Thema. Gottes Boten haben die Aufgabe zu trösten. Wer sind diese Boten? Ja, es sind auf der einen Seite die Profis, die Propheten, die Prediger, die Rabbis, heute die Seelsorgerinnen und Seelsorger.
Doch es sind noch mehr. „Jerusalem, erhebe deine Stimme!“ Jerusalem, alle, die Gott anerkennen als ihren wahren König. Also auch du und ich. Auch wir dürfen trösten. Wie? Es braucht nicht viel, es braucht das Wort. Ein Wort, das schon mich getröstet hat.
Vielleicht nehmen wir diesen Gedanken heute mit nach Hause: Welches Wort hat mich getröstet? Welche Geschichte hat mir Kraft gegeben? Das ist der Imperativ des 3. Advents für mich: Erinnere dich! Und: Rede! So werden wir Teil der Zukunftsmusik Gottes.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
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