Predigt vom 18. Oktober 2020

I.

Liebe Gemeinde,

niemand von uns sitzt im Nachthemd oder im Schlafanzug hier. Das ist selbstverständlich. Alle sind dem Anlass entsprechend gekleidet: Gottesdienstbesuch am Sonntag. Vorher haben wir uns schon einmal oder zweimal umgezogen. Beim ersten Mal raus aus dem nächtlichen Gewand in etwas für “daheim rum”. Beim zweiten Mal dann dieses wieder aus- und etwas Sonntägliches angezogen. So oder so haben wir jetzt an, was wir zuletzt angezogen haben.

Ich nehme an, Sie wundern und fragen sich, warum ich davon rede. Nun, iIm heutigen Predigtwort geht es ums Umziehen. Aber nicht um Schlafanzug oder Jogginghose, Arbeitsklamotten oder Sonntagsmantel geht es heute. Es geht um etwas anderes, das wir ausziehen und etwas, das wir anziehen sollen.

Ich lese das heutige Predigtwort aus dem Epheserbrief, im 4. Kapitel:

22 Legt den alten Menschen des früheren Lebenswandels ab, der sich in den Begierden des Trugs zugrunde richtet,

23 und lasst euch erneuern durch den Geist in eurem Denken!

24 Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit!

25 Legt deshalb die Lüge ab und redet die Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten; denn wir sind als Glieder miteinander verbunden. 26 Wenn ihr zürnt, sündigt nicht! Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen.

27 Gebt dem Teufel keinen Raum! 28 Der Dieb soll nicht mehr stehlen, vielmehr soll er sich abmühen und mit seinen Händen etwas verdienen, damit er den Notleidenden davon geben kann.

29 Über eure Lippen komme kein böses Wort, sondern nur ein gutes, das den, der es braucht, auferbaut und denen, die es hören, Nutzen bringt!

30 Betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, den ihr als Siegel empfangen habt für den Tag der Erlösung!

31 Jede Art von Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung mit allem Bösen verbannt aus eurer Mitte!

32 Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, wie auch Gott euch in Christus vergeben hat.

II.

Kleiderwechsel. – Den alten Menschen sollen wir ablegen und den neuen Menschen anziehen. Denn der alte Mensch ist unbrauchbar oder verschlissen, nicht mehr zeitgemäß.

Der neue Mensch aber ist so, wie es Gott will. Geschaffen in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. So schreibt es der Verfasser des Epheserbriefes.

Mit dieser besonderen Form des Umziehens war ursprünglich gemeint, sich taufen zu lassen. Juden und Heiden, die sich zu einer frühen Gemeinde zusammengefunden hatten, waren berührt von den Predigten über Jesus Christus. Sie hörten von einem neuen Leben aus Gnade, von der Einheit im Glauben an Christus, von der Vielfalt der Gaben. Sie glaubten, was sie hörten und sie versuchten, sich danach zu richten.

Da kam ihnen dieser Brief zu Hilfe. Darin lasen sie sinngemäß: “Ihr sollt nun so leben, dass Menschen sagen: “Die sind tatsächlich anders geworden!” Euer bisheriges Leben sollt ihr hinter euch lassen. So, wie ihr ein altes Gewand auszieht, das nicht mehr zu euch passt.” Stattdessen sollten sie den neuen Menschen anziehen, wie ein neues Kleid.

Besonders gut sichtbar ist das in der Taufe. Die Christinnen und Christen in Ephesus sollten sich taufen lassen. Wer getauft wird, ist ein neuer Mensch. Sie oder er gehört ganz zu Gott.

Die meisten von uns sind getauft. Die Mahnung aus dem Epheserbrief zieht den neuen Menschen an gilt für alle Getauften. Denn dieser Kleiderwechsel geschieht nicht nur in der Taufe.

Er ist kein einmaliger Akt. Wir müssen ihn immer wieder vollziehen. So, wie wir uns im alltäglichen Leben immer wieder umziehen. Oft mehrmals am Tag. Was alt ist, taugt vielleicht noch für Zuhause oder zum Arbeiten. Oder es wandert in die Kleidersammlung.

Außerdem kleiden wir uns einem Anlass entsprechend. Zu einem Grillabend anders als zum Gottesdienst. Und zum Wandern anders als für ein Hochzeitsfest.

Denen, die an Jesus Christus glauben und die getauft sind, sollen andere es ansehen können, dass das so ist.

Wir kennen auch das Sprichwort “Kleider machen Leute”. Geschichten und Filme gibt es dazu etliche. Da führen Menschen andere auf falsche Fährten, weil sie anders gekleidet sind, als eigentlich zu ihnen passt.

Das sollen wir Christinnen und Christen nicht machen. Wir sollen nicht auf falsche Fährten führen. Vielmehr können wir auch mit unserem Verhalten auf Christus hinweisen. Was nicht dazu passt, sollen wir ablegen. Was dazu passt, damit kleiden wir uns.

III.

Christus ist unser Kleid.

Ich bitte Sie, im Gesangbuch[1] die Seite 1478 aufzuschlagen, gegenüber Nr. 871. Dort finden wir eine Radierung von Hans Thoma aus dem Jahr 1919.

Ein sportlich gebauter junger Mann ist zu sehen. In sich versunken sitzt er auf einem Felsen in einer kargen und grauen Landschaft. Der junge Mann ist nackt. Nicht, weil er sich sonnen oder baden will. Seine Nacktheit ist vielmehr Ausdruck dafür, was in ihm vorgeht.

Was ist mit ihm? Und warum wirkt er so nachdenklich und verzweifelt? – Es ist der verlorene Sohn, von dem Jesus in einem Gleichnis erzählt hat. Er hat alles von seinem Vater erhaltene Geld ausgegeben und verprasst. Am Ende besitzt er nichts mehr außer seiner schmutzigen und stinkenden Kleidung auf dem Leib. Aber auch die hat ihm der Maler Hans Thoma auf dem Bild ausgezogen.

Jetzt denkt der junge Mann darüber nach, zu seinem Vater zurückzugehen und eventuell als Tagelöhner bei ihm zu arbeiten.

Wir wissen, wie das Gleichnis weitergeht: Der verlorene Sohn geht zu seinem Vater zurück. Der Vater läuft ihm entgegen, als er seinen Sohn kommen sieht, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Die Freude des Vaters über die Heimkehr seines verloren geglaubten Sohnes ist riesengroß. Er lässt für ihn das beste Gewand und neue Schuhe bringen und kleidet ihn damit neu ein. Danach feiern sie ein rauschendes Fest.

Das neue Gewand im Gleichnis vom verlorenen Sohn steht für sein neues Leben. Er, der gegen den Vater gesündigt hat und nicht mehr sein Sohn sein kann, ist für den Vater wie neu gefunden und neu geboren. Ein neuer Mensch. Der Vater gibt ihm seine Existenz und Würde zurück. Auch der heimgekehrte Sohn hat den alten Menschen ausgezogen und den neuen Menschen angezogen.

Wer getauft ist und an Jesus Christus glaubt, ist ein neuer Mensch.

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, schreibt Paulus im 2. Korintherbrief[2] Wir können das so verstehen: Jesus Christus selbst ist das neue Kleid, das uns zu einem neuen Menschen macht. Im Brief an die Galater lesen wir: … alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.[3]

Dennoch ist, wie vorhin schon gesagt, das Anziehen des neuen Menschen kein einmaliger Akt, sondern muss immer wieder vollzogen werden.

Martin Luther hat im Kleinen Katechismus im Blick auf die Taufe geschrieben: Der alte Mensch – Luther schreibt “der alte Adam” – soll “durch tägliche Reue und Buße ersäuft werden.” Und “täglich herauskommen” soll ein “neuer Mensch”. – Auch wenn wir es vermutlich nicht täglich tun, so ist doch das Anziehen des neuen Menschen eine immer wiederkehrende geistliche Übung.

IV.

Dass Christus unser “Ehrenkleid” ist und wir somit neue Menschen sind, hat Konsequenzen. Das war für die Christinnen und Christen, an die der Epheserbrief zunächst geschrieben ist, genauso wichtig wie für uns heute.

Wer Christus und damit den neuen Menschen angezogen hat, weiß: Trügerische Begierden – von denen das Predigtwort redet – Lüge, Zorn, Bitterkeit, Bosheit, faules Geschwätz und Lästerungen passen jetzt nicht mehr. Sie müssen abgelegt und weggegeben werden wie alte, zu eng gewordene und unbrauchbare Kleidungsstücke.

Aber die neue Garderobe liegt schon bereit. Im Predigtwort hören wir, woraus sie besteht: Wahrheit, Nachsicht, Bereitschaft zu vergeben, Freigiebigkeit, Freundlichkeit und Herzlichkeit. Diese Outfits hängen bei denen im Schrank, die durch Christus zu neuen Menschen geworden sind.

Ob wir diese neuen Kleidungsstücke herausholen und anziehen, das ist unsere Entscheidung. Wenn wir es tun, sehen wir darin auf jedem Fall immer gut aus. Gnädig und freigiebig miteinander umzugehen, untereinander freundlich und herzlich zu sein, steht uns als Christinnen und Christen immer. Damit können wir uns überall sehen lassen, wie in einem schicken Mantel.

Auf unser Tun und Verhalten kommt es an. Daran können andere uns als Leute erkennen, die zu Gott gehören. Auch wie wir reden, kann das deutlich machen. Deshalb schreibt der Verfasser des Epheserbriefes: Wer den neuen Menschen angezogen hat, soll die Wahrheit reden, und das, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist.

Mit aufrichtigen, ehrlichen, guten, aufbauenden und die Not wendenden Worten bringen wir Gnade unter die Leute und in die Welt. Gott hat uns durch seine Gnade und Vergebung neu gemacht, wie der Vater seinen verlorenen Sohn im Gleichnis.

Wir sind neue Menschen. Immer wieder müssen wir uns daran erinnern und den “neuen Menschen” anziehen.

Übung macht den Meister. Wir sind darin gut geübt, uns jeden Tag an- und umzukleiden.

Ebenso kann es eine häufige, vielleicht tägliche Übung sein, sich klar zu machen: Ja, ich gehöre zu Gott. Aus Gnade bin ich gerettet. Ich bin ein neuer Mensch. Durch Christus. Dann will ich auch so leben. - Das hört sich einfach an. Wir wissen jedoch, dass es ziemlich schwer sein kann und oft nicht gelingt. Deshalb ist es gut, wenn wir dran bleiben und nicht aufgeben. Übung macht den Meister. Der alte Adam muss täglich ersäuft werden.

Deshalb: Jeden Tag alte Klamotten weg! Und den neuen Menschen anziehen! Beharrlich, geduldig und gnädig mit uns selbst.

 

Amen.

 

Lektor Dr. Arno Mattejat

nach einer Vorlage von Pfarrer Günter Bauer

Kirchenbuck 4, 91465 Ergersheim

pfarramt [punkt] ergersheim [klammeraffe] t-online [punkt] de

 

[1]              Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe Bayern und Thüringen. Hans Thoma, Der verlorene Sohn (1919, Radierung, 27,2x20,3, Ulm, Museum der Stadt Ulm) Falls das Bild im EG nicht zur Verfügung steht, kann das Bild auch beschrieben oder einfach die Geschichte vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) erzählt werden.

[2]              2Kor 5,17

[3]              Gal 3,27

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